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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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genöthigt, um leben zu können, mit ihnen sich in eine Kategorie zu stellen *

Obgleich an die Stelle der alten Götter im Katholizismus die Heiligen traten, so gewann dabei doch die Bildhauerkunst Nichts, sondern nur die Malerei. Sie hat sich jedoch mehr in Ehren gehalten, als die Architektur, und blieb trotz ihres Zurückkommens doch immer noch im Zusammenhange mit den wandelbaren Kunsttheorien, wie sie in verschiedenen Epochen aufgestellt wurden. Jm Anfange des achtzehnten Jahrhunderts litt sie an der Geschmacklosigkeit des Zeitalters, an der Unschönheit der Tracht und der konventionellen Gezwungenheit des damaligen Benehmens. Wir begegnen den damals gemeißelten Bildsäulen noch auf den Treppen vieler Paläste, in vielen Grotten fürstlicher Parks, in Windsor und Versailles. Die Schenkel sind zu schmächtig, der Hals und die Arme zu dünn; man glaubt die Menschen der damaligen Zeit zu sehen, die nur zufällig ihre Kleider abgeworfen haben und die sich, um sich zu baden, nackt auszogen. Diese zerbrechliche Götter- und Heroenwelt blieb das ganze Jahrhundert hindurch Typus der plastischen Schönheit, bis das Studium der Antike den

* Die Architektur blüht nur in Zeiten der absolutesten Monarchie oder der absolutesten Republik. Eine starke und weit ausgreifende Souveränität entweder bei den Königen oder beim Volk ist nöthig, um große Bauten zu unternehmen.

genöthigt, um leben zu können, mit ihnen sich in eine Kategorie zu stellen *

Obgleich an die Stelle der alten Götter im Katholizismus die Heiligen traten, so gewann dabei doch die Bildhauerkunst Nichts, sondern nur die Malerei. Sie hat sich jedoch mehr in Ehren gehalten, als die Architektur, und blieb trotz ihres Zurückkommens doch immer noch im Zusammenhange mit den wandelbaren Kunsttheorien, wie sie in verschiedenen Epochen aufgestellt wurden. Jm Anfange des achtzehnten Jahrhunderts litt sie an der Geschmacklosigkeit des Zeitalters, an der Unschönheit der Tracht und der konventionellen Gezwungenheit des damaligen Benehmens. Wir begegnen den damals gemeißelten Bildsäulen noch auf den Treppen vieler Paläste, in vielen Grotten fürstlicher Parks, in Windsor und Versailles. Die Schenkel sind zu schmächtig, der Hals und die Arme zu dünn; man glaubt die Menschen der damaligen Zeit zu sehen, die nur zufällig ihre Kleider abgeworfen haben und die sich, um sich zu baden, nackt auszogen. Diese zerbrechliche Götter- und Heroenwelt blieb das ganze Jahrhundert hindurch Typus der plastischen Schönheit, bis das Studium der Antike den

* Die Architektur blüht nur in Zeiten der absolutesten Monarchie oder der absolutesten Republik. Eine starke und weit ausgreifende Souveränität entweder bei den Königen oder beim Volk ist nöthig, um große Bauten zu unternehmen.
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[268/0270] genöthigt, um leben zu können, mit ihnen sich in eine Kategorie zu stellen * Obgleich an die Stelle der alten Götter im Katholizismus die Heiligen traten, so gewann dabei doch die Bildhauerkunst Nichts, sondern nur die Malerei. Sie hat sich jedoch mehr in Ehren gehalten, als die Architektur, und blieb trotz ihres Zurückkommens doch immer noch im Zusammenhange mit den wandelbaren Kunsttheorien, wie sie in verschiedenen Epochen aufgestellt wurden. Jm Anfange des achtzehnten Jahrhunderts litt sie an der Geschmacklosigkeit des Zeitalters, an der Unschönheit der Tracht und der konventionellen Gezwungenheit des damaligen Benehmens. Wir begegnen den damals gemeißelten Bildsäulen noch auf den Treppen vieler Paläste, in vielen Grotten fürstlicher Parks, in Windsor und Versailles. Die Schenkel sind zu schmächtig, der Hals und die Arme zu dünn; man glaubt die Menschen der damaligen Zeit zu sehen, die nur zufällig ihre Kleider abgeworfen haben und die sich, um sich zu baden, nackt auszogen. Diese zerbrechliche Götter- und Heroenwelt blieb das ganze Jahrhundert hindurch Typus der plastischen Schönheit, bis das Studium der Antike den * Die Architektur blüht nur in Zeiten der absolutesten Monarchie oder der absolutesten Republik. Eine starke und weit ausgreifende Souveränität entweder bei den Königen oder beim Volk ist nöthig, um große Bauten zu unternehmen.

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/270>, abgerufen am 28.05.2024.