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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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und provisorische, nämlich so, daß einerseits gewisse unumstößliche moralische Wahrheiten und andererseits manche dem Herzen wohlthuende Gefühlsthatsachen gleichsam jene Fähnchen in der Geschichte bilden, nach welchen der Feldmesser das Terrain absticht und seine Augenmerke nimmt.

Warum macht die Philosophie all diesen unbstimmten Lagen und Methoden der Wissenschaft kein Ende? Warum benuzt sie den großen Vorsprung, den sie in ihrem einmal gegebenen unveränderten Gegenstand besizt, nicht, um in die streitenden Elemente der empirischen Wissenschaften Friede und eine ihrem Stoffe fortdauernd angemessene Methode zu bringen? Allein die Philosophie selbst ist wohl die bewegteste aller Wissenschaften. Die Feststeckung ihres Gebietes nüzt ihr nichts, denn es ist eine unsichtbare Region. Wie oft bestreitet sie nicht selbst jenen Jnhalt, den ihr Jahrhunderte zugestanden haben. Unter diesen Verhältnissen ergab sich das auffallende Resultat, daß die Philosophie in unserer Zeit weit weniger Achtung genießt, als im Alterthum. Sie, die hätte vor allen leuchten und die Fackel tragen sollen, wurde von den historischen und Naturwissenschaften überflügelt, und was man auch an Einrichtungen und Gesetzen in unserer Zeit trifft, selten hat man die Philosophie um Rath gefragt und beachtet sie, wenn sie selbst aus freien Stücken einen gibt.

und provisorische, nämlich so, daß einerseits gewisse unumstößliche moralische Wahrheiten und andererseits manche dem Herzen wohlthuende Gefühlsthatsachen gleichsam jene Fähnchen in der Geschichte bilden, nach welchen der Feldmesser das Terrain absticht und seine Augenmerke nimmt.

Warum macht die Philosophie all diesen unbstimmten Lagen und Methoden der Wissenschaft kein Ende? Warum benuzt sie den großen Vorsprung, den sie in ihrem einmal gegebenen unveränderten Gegenstand besizt, nicht, um in die streitenden Elemente der empirischen Wissenschaften Friede und eine ihrem Stoffe fortdauernd angemessene Methode zu bringen? Allein die Philosophie selbst ist wohl die bewegteste aller Wissenschaften. Die Feststeckung ihres Gebietes nüzt ihr nichts, denn es ist eine unsichtbare Region. Wie oft bestreitet sie nicht selbst jenen Jnhalt, den ihr Jahrhunderte zugestanden haben. Unter diesen Verhältnissen ergab sich das auffallende Resultat, daß die Philosophie in unserer Zeit weit weniger Achtung genießt, als im Alterthum. Sie, die hätte vor allen leuchten und die Fackel tragen sollen, wurde von den historischen und Naturwissenschaften überflügelt, und was man auch an Einrichtungen und Gesetzen in unserer Zeit trifft, selten hat man die Philosophie um Rath gefragt und beachtet sie, wenn sie selbst aus freien Stücken einen gibt.

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[344/0346] und provisorische, nämlich so, daß einerseits gewisse unumstößliche moralische Wahrheiten und andererseits manche dem Herzen wohlthuende Gefühlsthatsachen gleichsam jene Fähnchen in der Geschichte bilden, nach welchen der Feldmesser das Terrain absticht und seine Augenmerke nimmt. Warum macht die Philosophie all diesen unbstimmten Lagen und Methoden der Wissenschaft kein Ende? Warum benuzt sie den großen Vorsprung, den sie in ihrem einmal gegebenen unveränderten Gegenstand besizt, nicht, um in die streitenden Elemente der empirischen Wissenschaften Friede und eine ihrem Stoffe fortdauernd angemessene Methode zu bringen? Allein die Philosophie selbst ist wohl die bewegteste aller Wissenschaften. Die Feststeckung ihres Gebietes nüzt ihr nichts, denn es ist eine unsichtbare Region. Wie oft bestreitet sie nicht selbst jenen Jnhalt, den ihr Jahrhunderte zugestanden haben. Unter diesen Verhältnissen ergab sich das auffallende Resultat, daß die Philosophie in unserer Zeit weit weniger Achtung genießt, als im Alterthum. Sie, die hätte vor allen leuchten und die Fackel tragen sollen, wurde von den historischen und Naturwissenschaften überflügelt, und was man auch an Einrichtungen und Gesetzen in unserer Zeit trifft, selten hat man die Philosophie um Rath gefragt und beachtet sie, wenn sie selbst aus freien Stücken einen gibt.

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/346>, abgerufen am 28.05.2024.