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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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Scheide. Man plänkelt nur gegen einander, es ist ein kurzer Waffenstillstand in dem großen Kampfe, dem noch so viel Schlachten, so viel Menschenherzen geliefert werden sollen. Wo aber die Frauen das Uebergewicht haben, oder die Harmlosigkeit sich ein wenig fester eingebürgert hat, nun, da sind es drei Dinge, die das stockende Gespräch ersetzen: die Musik, das Spiel und sogar der Tanz.

Die Musik ist beinahe keine bloße Kunstfertigkeit mehr, sondern fast eine konversationelle Tugend. Wer sie nicht übt, muß sie wenigstens zu schätzen wissen. Wer nicht die zweite Stimme übernimmt, muß sich wenigstens an das Pianoforte stellen und das Notenblatt umschlagen. Die Musik ist dazu benuzt worden, eine Lücke in unsrer heutigen Bildung auszufüllen und gleichsam eine angenehme Politur auch denen zu geben, welche nicht im Entferntesten eine Verwandtschaft mit dem hohen Geiste haben, in welchem die Werke eines Mozart und Beethoven empfangen und geschaffen sind. Was vermißt man bei dem größten Theil unsrer Frauen? Esprit. Der Grund dieses Mangels liegt auf der Hand. Esprit ist eine gefährliche Geistesgabe; Mitgift in einem Zeitalter, wo man die Beschränktheit Gemüth und die Frivolität Geist nennt. Soll man den Frauen jene witzige Dialektik gestatten und sie in ihrem empfänglichen Geiste auszubilden suchen, welche sie auf die Höhe der jetzigen Männerwelt stellt? Die Aufgabe ist schwierig und

Scheide. Man plänkelt nur gegen einander, es ist ein kurzer Waffenstillstand in dem großen Kampfe, dem noch so viel Schlachten, so viel Menschenherzen geliefert werden sollen. Wo aber die Frauen das Uebergewicht haben, oder die Harmlosigkeit sich ein wenig fester eingebürgert hat, nun, da sind es drei Dinge, die das stockende Gespräch ersetzen: die Musik, das Spiel und sogar der Tanz.

Die Musik ist beinahe keine bloße Kunstfertigkeit mehr, sondern fast eine konversationelle Tugend. Wer sie nicht übt, muß sie wenigstens zu schätzen wissen. Wer nicht die zweite Stimme übernimmt, muß sich wenigstens an das Pianoforte stellen und das Notenblatt umschlagen. Die Musik ist dazu benuzt worden, eine Lücke in unsrer heutigen Bildung auszufüllen und gleichsam eine angenehme Politur auch denen zu geben, welche nicht im Entferntesten eine Verwandtschaft mit dem hohen Geiste haben, in welchem die Werke eines Mozart und Beethoven empfangen und geschaffen sind. Was vermißt man bei dem größten Theil unsrer Frauen? Esprit. Der Grund dieses Mangels liegt auf der Hand. Esprit ist eine gefährliche Geistesgabe; Mitgift in einem Zeitalter, wo man die Beschränktheit Gemüth und die Frivolität Geist nennt. Soll man den Frauen jene witzige Dialektik gestatten und sie in ihrem empfänglichen Geiste auszubilden suchen, welche sie auf die Höhe der jetzigen Männerwelt stellt? Die Aufgabe ist schwierig und

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[35/0037] Scheide. Man plänkelt nur gegen einander, es ist ein kurzer Waffenstillstand in dem großen Kampfe, dem noch so viel Schlachten, so viel Menschenherzen geliefert werden sollen. Wo aber die Frauen das Uebergewicht haben, oder die Harmlosigkeit sich ein wenig fester eingebürgert hat, nun, da sind es drei Dinge, die das stockende Gespräch ersetzen: die Musik, das Spiel und sogar der Tanz. Die Musik ist beinahe keine bloße Kunstfertigkeit mehr, sondern fast eine konversationelle Tugend. Wer sie nicht übt, muß sie wenigstens zu schätzen wissen. Wer nicht die zweite Stimme übernimmt, muß sich wenigstens an das Pianoforte stellen und das Notenblatt umschlagen. Die Musik ist dazu benuzt worden, eine Lücke in unsrer heutigen Bildung auszufüllen und gleichsam eine angenehme Politur auch denen zu geben, welche nicht im Entferntesten eine Verwandtschaft mit dem hohen Geiste haben, in welchem die Werke eines Mozart und Beethoven empfangen und geschaffen sind. Was vermißt man bei dem größten Theil unsrer Frauen? Esprit. Der Grund dieses Mangels liegt auf der Hand. Esprit ist eine gefährliche Geistesgabe; Mitgift in einem Zeitalter, wo man die Beschränktheit Gemüth und die Frivolität Geist nennt. Soll man den Frauen jene witzige Dialektik gestatten und sie in ihrem empfänglichen Geiste auszubilden suchen, welche sie auf die Höhe der jetzigen Männerwelt stellt? Die Aufgabe ist schwierig und

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/37>, abgerufen am 28.04.2024.