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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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geben. Einen noch gleichsam in der Luft liegenden Hang zu romantischen Spezialitäten kann man nicht mehr voraussetzen, wenn auch zuweilen von der Liebe ganz ernste Dramen ausnahmsweise aufgeführt werden. Der finanzielle Kalkül zerstört oft den der Liebe, und manches Frauenherz, das verkauft wird, verblutet in Schmerz und Verzweiflung. Jst einmal erst die Tragödie oder wenigstens das ernste Drama in der Liebe eingefädelt, so kann man gewiß seyn, daß es sich gewaltsamer endigt, als in frühern Zeiten; denn in einer Zeit, wo so viel sich fügen muß und wo der Kleinste in so große Begebenheiten sich verflochten fühlte, da werden Eltern von dem Eigensinn ihrer Kinder nicht mehr viel Wesen machen. Es entspricht dem Charakter unsrer Zeit, daß vieles, was in Sachen der Liebe vorgeht, krampfhafter und verzerrter Natur ist. Der Prozeß des La Ronciere kann eine Perspektive eröffnen auf die Leidenschaft unsrer jungen Leute, wenn sie einmal angefangen, aus dem gewöhnlichen Gleise herauszutreten.

Natürlich mußte gegen die im Allgemeinen herrschende Oberflächlichkeit in Liebesverhältnissen eine Reaktion kommen, und, bedenklich genug für die Sitten des Zeitalters, es findet diese erst im Verlauf der Ehe statt. Man würde heutiges Tags nicht so viel über die Ehe grübeln, die Dichter würden sich nicht darin gefallen, so zahlreiche Verletzungen derselben zu schildern, wenn über dies Jnstitut nicht eine unbehagliche

geben. Einen noch gleichsam in der Luft liegenden Hang zu romantischen Spezialitäten kann man nicht mehr voraussetzen, wenn auch zuweilen von der Liebe ganz ernste Dramen ausnahmsweise aufgeführt werden. Der finanzielle Kalkül zerstört oft den der Liebe, und manches Frauenherz, das verkauft wird, verblutet in Schmerz und Verzweiflung. Jst einmal erst die Tragödie oder wenigstens das ernste Drama in der Liebe eingefädelt, so kann man gewiß seyn, daß es sich gewaltsamer endigt, als in frühern Zeiten; denn in einer Zeit, wo so viel sich fügen muß und wo der Kleinste in so große Begebenheiten sich verflochten fühlte, da werden Eltern von dem Eigensinn ihrer Kinder nicht mehr viel Wesen machen. Es entspricht dem Charakter unsrer Zeit, daß vieles, was in Sachen der Liebe vorgeht, krampfhafter und verzerrter Natur ist. Der Prozeß des La Roncière kann eine Perspektive eröffnen auf die Leidenschaft unsrer jungen Leute, wenn sie einmal angefangen, aus dem gewöhnlichen Gleise herauszutreten.

Natürlich mußte gegen die im Allgemeinen herrschende Oberflächlichkeit in Liebesverhältnissen eine Reaktion kommen, und, bedenklich genug für die Sitten des Zeitalters, es findet diese erst im Verlauf der Ehe statt. Man würde heutiges Tags nicht so viel über die Ehe grübeln, die Dichter würden sich nicht darin gefallen, so zahlreiche Verletzungen derselben zu schildern, wenn über dies Jnstitut nicht eine unbehagliche

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[43/0045] geben. Einen noch gleichsam in der Luft liegenden Hang zu romantischen Spezialitäten kann man nicht mehr voraussetzen, wenn auch zuweilen von der Liebe ganz ernste Dramen ausnahmsweise aufgeführt werden. Der finanzielle Kalkül zerstört oft den der Liebe, und manches Frauenherz, das verkauft wird, verblutet in Schmerz und Verzweiflung. Jst einmal erst die Tragödie oder wenigstens das ernste Drama in der Liebe eingefädelt, so kann man gewiß seyn, daß es sich gewaltsamer endigt, als in frühern Zeiten; denn in einer Zeit, wo so viel sich fügen muß und wo der Kleinste in so große Begebenheiten sich verflochten fühlte, da werden Eltern von dem Eigensinn ihrer Kinder nicht mehr viel Wesen machen. Es entspricht dem Charakter unsrer Zeit, daß vieles, was in Sachen der Liebe vorgeht, krampfhafter und verzerrter Natur ist. Der Prozeß des La Roncière kann eine Perspektive eröffnen auf die Leidenschaft unsrer jungen Leute, wenn sie einmal angefangen, aus dem gewöhnlichen Gleise herauszutreten. Natürlich mußte gegen die im Allgemeinen herrschende Oberflächlichkeit in Liebesverhältnissen eine Reaktion kommen, und, bedenklich genug für die Sitten des Zeitalters, es findet diese erst im Verlauf der Ehe statt. Man würde heutiges Tags nicht so viel über die Ehe grübeln, die Dichter würden sich nicht darin gefallen, so zahlreiche Verletzungen derselben zu schildern, wenn über dies Jnstitut nicht eine unbehagliche

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/45>, abgerufen am 29.04.2024.