Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

der an Verrücktheit streift und jedenfalls nur von der fortwährenden Erregung herzuleiten ist, von der Zerstreuungssucht und sogar nicht selten dem Streben, die bessere Stimme in sich zu unterdrücken. Ein anderer Grund für diese manchmal krampfhaften Verstandeszuckungen mag darin liegen, daß diese Wesen weit über ihre Bildung hinaus in Verhältnisse und Umgang gerathen, für welche ihnen die Grundlage und Vorbereitung mangelt. Sie sprechen den ganzen Tag ohne einen Jnhalt zu haben. Sie lassen sich auf Theaterangelegenheiten, auf Lektüre ein, ohne einen Begriff von den einfachsten Vorkenntnissen eines gesunden Urtheils. Dazu kömmt dann das ewige Streben über sich und namentlich über die Vergangenheit hinaus, die Unterdrückung der Erinnerung und die bis zur Ruchlosigkeit sich steigernde Keckheit, wenn erst mehrere mit einander umgehen und eine gegen die andre mit ihren Fortschritten in der Reuelosigkeit trozt. Man hat von einem nicht seltenen Gefühle dieser Geschöpfe gesprochen, von ihrem Mitleiden. Allein entweder ist dies die Schuld, die sie noch immer der weiblichen Natur abtragen müssen, oder die Sympathie findet sich nur bei einer eigenen Klasse dieser Art, nämlich gerade bei denen, die ihre Ausschweifung gerade als ein geduldetes Handwerk behandeln, und, in dem Gefühl polizeilicher Sicherheit, in jedem Auflaufe still stehen, über jeden Bettler, dem sie begegnen, muthig auf den Staat und die

der an Verrücktheit streift und jedenfalls nur von der fortwährenden Erregung herzuleiten ist, von der Zerstreuungssucht und sogar nicht selten dem Streben, die bessere Stimme in sich zu unterdrücken. Ein anderer Grund für diese manchmal krampfhaften Verstandeszuckungen mag darin liegen, daß diese Wesen weit über ihre Bildung hinaus in Verhältnisse und Umgang gerathen, für welche ihnen die Grundlage und Vorbereitung mangelt. Sie sprechen den ganzen Tag ohne einen Jnhalt zu haben. Sie lassen sich auf Theaterangelegenheiten, auf Lektüre ein, ohne einen Begriff von den einfachsten Vorkenntnissen eines gesunden Urtheils. Dazu kömmt dann das ewige Streben über sich und namentlich über die Vergangenheit hinaus, die Unterdrückung der Erinnerung und die bis zur Ruchlosigkeit sich steigernde Keckheit, wenn erst mehrere mit einander umgehen und eine gegen die andre mit ihren Fortschritten in der Reuelosigkeit trozt. Man hat von einem nicht seltenen Gefühle dieser Geschöpfe gesprochen, von ihrem Mitleiden. Allein entweder ist dies die Schuld, die sie noch immer der weiblichen Natur abtragen müssen, oder die Sympathie findet sich nur bei einer eigenen Klasse dieser Art, nämlich gerade bei denen, die ihre Ausschweifung gerade als ein geduldetes Handwerk behandeln, und, in dem Gefühl polizeilicher Sicherheit, in jedem Auflaufe still stehen, über jeden Bettler, dem sie begegnen, muthig auf den Staat und die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0054" n="52"/>
der an Verrücktheit streift und jedenfalls nur von der fortwährenden Erregung herzuleiten ist, von der Zerstreuungssucht und sogar nicht selten dem Streben, die bessere Stimme in sich zu unterdrücken. Ein anderer Grund für diese manchmal krampfhaften Verstandeszuckungen mag darin liegen, daß diese Wesen weit über ihre Bildung hinaus in Verhältnisse und Umgang gerathen, für welche ihnen die Grundlage und Vorbereitung mangelt. Sie sprechen den ganzen Tag ohne einen Jnhalt zu haben. Sie lassen sich auf Theaterangelegenheiten, auf Lektüre ein, ohne einen Begriff von den einfachsten Vorkenntnissen eines gesunden Urtheils. Dazu kömmt dann das ewige Streben über sich und namentlich über die Vergangenheit hinaus, die Unterdrückung der Erinnerung und die bis zur Ruchlosigkeit sich steigernde Keckheit, wenn erst mehrere mit einander umgehen und eine gegen die andre mit ihren Fortschritten in der Reuelosigkeit trozt. Man hat von einem nicht seltenen Gefühle dieser Geschöpfe gesprochen, von ihrem Mitleiden. Allein entweder ist dies die Schuld, die sie noch immer der weiblichen Natur abtragen müssen, oder die Sympathie findet sich nur bei einer eigenen Klasse dieser Art, nämlich gerade bei denen, die ihre Ausschweifung gerade als ein geduldetes Handwerk behandeln, und, in dem Gefühl polizeilicher Sicherheit, in jedem Auflaufe still stehen, über jeden Bettler, dem sie begegnen, muthig auf den Staat und die
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0054] der an Verrücktheit streift und jedenfalls nur von der fortwährenden Erregung herzuleiten ist, von der Zerstreuungssucht und sogar nicht selten dem Streben, die bessere Stimme in sich zu unterdrücken. Ein anderer Grund für diese manchmal krampfhaften Verstandeszuckungen mag darin liegen, daß diese Wesen weit über ihre Bildung hinaus in Verhältnisse und Umgang gerathen, für welche ihnen die Grundlage und Vorbereitung mangelt. Sie sprechen den ganzen Tag ohne einen Jnhalt zu haben. Sie lassen sich auf Theaterangelegenheiten, auf Lektüre ein, ohne einen Begriff von den einfachsten Vorkenntnissen eines gesunden Urtheils. Dazu kömmt dann das ewige Streben über sich und namentlich über die Vergangenheit hinaus, die Unterdrückung der Erinnerung und die bis zur Ruchlosigkeit sich steigernde Keckheit, wenn erst mehrere mit einander umgehen und eine gegen die andre mit ihren Fortschritten in der Reuelosigkeit trozt. Man hat von einem nicht seltenen Gefühle dieser Geschöpfe gesprochen, von ihrem Mitleiden. Allein entweder ist dies die Schuld, die sie noch immer der weiblichen Natur abtragen müssen, oder die Sympathie findet sich nur bei einer eigenen Klasse dieser Art, nämlich gerade bei denen, die ihre Ausschweifung gerade als ein geduldetes Handwerk behandeln, und, in dem Gefühl polizeilicher Sicherheit, in jedem Auflaufe still stehen, über jeden Bettler, dem sie begegnen, muthig auf den Staat und die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/54
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/54>, abgerufen am 15.05.2024.