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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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andere nach sich ziehe, und drückten wenigstens negativ jene Lehre aus, die das Christenthum predigte: Die Rache sey nicht der Menschen, sondern Gottes.

Das auf die alte Welt folgende germanische Leben brachte das barbarische Recht der Wiedervergeltung, und gestehen müssen wir, diese Barbarei ist von unsern modernen Gesetzgebungen nur übertüncht worden und steht noch in bestem Ansehen. Aug um Auge, Zahn um Zahn, wenigstens soviel Kühe, als ein Auge kostet, soviel Schafe, als man für den Verlust eines Zahnes nehmen würde. Dies Vergeltungsrecht, welches durch das Christenthum gar noch das Ansehen der vikarirenden göttlichen Gerechtigkeit gewann, ist die Grundlage aller unserer Kriminalgesetzgebungen. Man hat neue Begriffe von dem groben alten Stamme abschälen und seine zarten Streifriemen zur Peitsche der Kriminalistik verknüpfen wollen; allein die Rinde ist von jenem alten Stamme der Barbarei, Aug' um Auge, Zahn um Zahn. Die Einen strafen, um abzuschrecken; die Andern, um auszugleichen. Dies Alles ist derselbe grausame Reiz, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, der alte Rachedurst der germanischen Wälder, die Wiedervergeltung.

Eine Betrachtung der heutigen Civilgesetzgebungen, die das Mein und Dein betreffen, würde dieses der Sitte und den Sitten gewidmete Kapitel weniger belehrend ergänzen. Die Prozesse über Besitz und Eigenthum, über Ehrenkränkung, Schulden u. s. w. sind

andere nach sich ziehe, und drückten wenigstens negativ jene Lehre aus, die das Christenthum predigte: Die Rache sey nicht der Menschen, sondern Gottes.

Das auf die alte Welt folgende germanische Leben brachte das barbarische Recht der Wiedervergeltung, und gestehen müssen wir, diese Barbarei ist von unsern modernen Gesetzgebungen nur übertüncht worden und steht noch in bestem Ansehen. Aug um Auge, Zahn um Zahn, wenigstens soviel Kühe, als ein Auge kostet, soviel Schafe, als man für den Verlust eines Zahnes nehmen würde. Dies Vergeltungsrecht, welches durch das Christenthum gar noch das Ansehen der vikarirenden göttlichen Gerechtigkeit gewann, ist die Grundlage aller unserer Kriminalgesetzgebungen. Man hat neue Begriffe von dem groben alten Stamme abschälen und seine zarten Streifriemen zur Peitsche der Kriminalistik verknüpfen wollen; allein die Rinde ist von jenem alten Stamme der Barbarei, Aug’ um Auge, Zahn um Zahn. Die Einen strafen, um abzuschrecken; die Andern, um auszugleichen. Dies Alles ist derselbe grausame Reiz, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, der alte Rachedurst der germanischen Wälder, die Wiedervergeltung.

Eine Betrachtung der heutigen Civilgesetzgebungen, die das Mein und Dein betreffen, würde dieses der Sitte und den Sitten gewidmete Kapitel weniger belehrend ergänzen. Die Prozesse über Besitz und Eigenthum, über Ehrenkränkung, Schulden u. s. w. sind

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[59/0061] andere nach sich ziehe, und drückten wenigstens negativ jene Lehre aus, die das Christenthum predigte: Die Rache sey nicht der Menschen, sondern Gottes. Das auf die alte Welt folgende germanische Leben brachte das barbarische Recht der Wiedervergeltung, und gestehen müssen wir, diese Barbarei ist von unsern modernen Gesetzgebungen nur übertüncht worden und steht noch in bestem Ansehen. Aug um Auge, Zahn um Zahn, wenigstens soviel Kühe, als ein Auge kostet, soviel Schafe, als man für den Verlust eines Zahnes nehmen würde. Dies Vergeltungsrecht, welches durch das Christenthum gar noch das Ansehen der vikarirenden göttlichen Gerechtigkeit gewann, ist die Grundlage aller unserer Kriminalgesetzgebungen. Man hat neue Begriffe von dem groben alten Stamme abschälen und seine zarten Streifriemen zur Peitsche der Kriminalistik verknüpfen wollen; allein die Rinde ist von jenem alten Stamme der Barbarei, Aug’ um Auge, Zahn um Zahn. Die Einen strafen, um abzuschrecken; die Andern, um auszugleichen. Dies Alles ist derselbe grausame Reiz, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, der alte Rachedurst der germanischen Wälder, die Wiedervergeltung. Eine Betrachtung der heutigen Civilgesetzgebungen, die das Mein und Dein betreffen, würde dieses der Sitte und den Sitten gewidmete Kapitel weniger belehrend ergänzen. Die Prozesse über Besitz und Eigenthum, über Ehrenkränkung, Schulden u. s. w. sind

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Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/61>, abgerufen am 15.05.2024.