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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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VIII. Character des Pflanzenreiches.
bildungen und Intercellularsubstanzen, als Hornsubstanz, elastische,
leimgebende, Chitin-Substanzen etc. eine sehr grosse Rolle spielen.
Ebenso fehlen den Pflanzen die stickstoffhaltigen Säuren (Harnsäure,
Hippursäure, Inosinsäure etc.), während die stickstofffreien Säuren
eine sehr viel grössere Verbreitung und Bedeutung als bei den Thieren
haben. Die stickstoffhaltigen Basen der Pflanzen (Pflanzen-
alkaloide: Strychnin, Morphin, Nicotin etc.) sind stark alkalisch und
von äusserst mannichfaltiger Zusammensetzung, umgekehrt wie bei
den Thieren. Der wichtigste Pflanzenfarbstoff ist das Chlorophyll,
welches jedoch bloss den Cormophyten fast allgemein zukommt, den
meisten Nematophyten und Phycophyten dagegen fehlt. Fette kom-
men in allen Pflanzen vor. Eine der wichtigsten chemischen Eigen-
thümlichkeiten aller Pflanzen ist aber die massenhafte und allgemein
verbreitete Bildung von stickstofffreien Producten aus der Gruppe der
sogenannten Kohlenhydrate, welche theils (Cellulose) von den
Plastiden nach aussen abgeschieden werden (wie die Membranen und
Intercellularsubstanzen, welche aus Cellulose und ihren Modificationen
bestehen), theils als Ablagerungen im Innern der Plastiden abgesetzt
werden (Stärke, Dextrin, Gummi, Zucker etc.). Anorganische, d. h.
nicht kohlenstoffhaltige Verbindungen, insbesondere phosphorsaure
Salze und Chlorverbindungen der Alkalien und alkalischen Erden,
kommen allgemein in den Pflanzen vor, aber in viel wechselnderen
Mengenverhältnissen, und viel häufiger sich gegenseitig substituirend,
als in den Thieren. Kieselsäure und Kalksalze treten in den
Pflanzen nur in geringer Menge und niemals so, wie in den Thieren
und Protisten, als selbstständige geformte Massen, skeletbildend auf.
Der Mangel dieser mineralischen Skelete wird den Pflanzen durch ihr
Cellulose-Skelet ersetzt.

Ab. Character der chemischen Processe der Pflanzen.

Der wesentliche Character der chemischen Processe, welche im
Pflanzenkörper vor sich gehen, beruht auf Reduction und Synthese
einfacher Verbindungen, und lässt sich in den wenigen Worten zu-
sammenfassen: Die Pflanze ist ein Reductions-Organismus.
Das Pflanzenleben im Grossen und Ganzen ist ein Reductions-Process.
Die Pflanzen bilden aus den einfacheren "anorganischen" Verbindungen,
besonders Kohlensäure, Wasser und Ammoniak, durch Synthese und
Reduction
die sehr zusammengesetzten "organischen" oder Kohlen-
stoff-Verbindungen (Albuminate, Fette etc.), welche nachher dem Thier
als Nahrung dienen. Doch kommen daneben allgemein in untergeord-
netem Maasse (und auch vielfach im Einzelnen) analytische und Oxy-
dations-Processe vor.

VIII. Character des Pflanzenreiches.
bildungen und Intercellularsubstanzen, als Hornsubstanz, elastische,
leimgebende, Chitin-Substanzen etc. eine sehr grosse Rolle spielen.
Ebenso fehlen den Pflanzen die stickstoffhaltigen Säuren (Harnsäure,
Hippursäure, Inosinsäure etc.), während die stickstofffreien Säuren
eine sehr viel grössere Verbreitung und Bedeutung als bei den Thieren
haben. Die stickstoffhaltigen Basen der Pflanzen (Pflanzen-
alkaloide: Strychnin, Morphin, Nicotin etc.) sind stark alkalisch und
von äusserst mannichfaltiger Zusammensetzung, umgekehrt wie bei
den Thieren. Der wichtigste Pflanzenfarbstoff ist das Chlorophyll,
welches jedoch bloss den Cormophyten fast allgemein zukommt, den
meisten Nematophyten und Phycophyten dagegen fehlt. Fette kom-
men in allen Pflanzen vor. Eine der wichtigsten chemischen Eigen-
thümlichkeiten aller Pflanzen ist aber die massenhafte und allgemein
verbreitete Bildung von stickstofffreien Producten aus der Gruppe der
sogenannten Kohlenhydrate, welche theils (Cellulose) von den
Plastiden nach aussen abgeschieden werden (wie die Membranen und
Intercellularsubstanzen, welche aus Cellulose und ihren Modificationen
bestehen), theils als Ablagerungen im Innern der Plastiden abgesetzt
werden (Stärke, Dextrin, Gummi, Zucker etc.). Anorganische, d. h.
nicht kohlenstoffhaltige Verbindungen, insbesondere phosphorsaure
Salze und Chlorverbindungen der Alkalien und alkalischen Erden,
kommen allgemein in den Pflanzen vor, aber in viel wechselnderen
Mengenverhältnissen, und viel häufiger sich gegenseitig substituirend,
als in den Thieren. Kieselsäure und Kalksalze treten in den
Pflanzen nur in geringer Menge und niemals so, wie in den Thieren
und Protisten, als selbstständige geformte Massen, skeletbildend auf.
Der Mangel dieser mineralischen Skelete wird den Pflanzen durch ihr
Cellulose-Skelet ersetzt.

Ab. Character der chemischen Processe der Pflanzen.

Der wesentliche Character der chemischen Processe, welche im
Pflanzenkörper vor sich gehen, beruht auf Reduction und Synthese
einfacher Verbindungen, und lässt sich in den wenigen Worten zu-
sammenfassen: Die Pflanze ist ein Reductions-Organismus.
Das Pflanzenleben im Grossen und Ganzen ist ein Reductions-Process.
Die Pflanzen bilden aus den einfacheren „anorganischen“ Verbindungen,
besonders Kohlensäure, Wasser und Ammoniak, durch Synthese und
Reduction
die sehr zusammengesetzten „organischen“ oder Kohlen-
stoff-Verbindungen (Albuminate, Fette etc.), welche nachher dem Thier
als Nahrung dienen. Doch kommen daneben allgemein in untergeord-
netem Maasse (und auch vielfach im Einzelnen) analytische und Oxy-
dations-Processe vor.

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[221/0260] VIII. Character des Pflanzenreiches. bildungen und Intercellularsubstanzen, als Hornsubstanz, elastische, leimgebende, Chitin-Substanzen etc. eine sehr grosse Rolle spielen. Ebenso fehlen den Pflanzen die stickstoffhaltigen Säuren (Harnsäure, Hippursäure, Inosinsäure etc.), während die stickstofffreien Säuren eine sehr viel grössere Verbreitung und Bedeutung als bei den Thieren haben. Die stickstoffhaltigen Basen der Pflanzen (Pflanzen- alkaloide: Strychnin, Morphin, Nicotin etc.) sind stark alkalisch und von äusserst mannichfaltiger Zusammensetzung, umgekehrt wie bei den Thieren. Der wichtigste Pflanzenfarbstoff ist das Chlorophyll, welches jedoch bloss den Cormophyten fast allgemein zukommt, den meisten Nematophyten und Phycophyten dagegen fehlt. Fette kom- men in allen Pflanzen vor. Eine der wichtigsten chemischen Eigen- thümlichkeiten aller Pflanzen ist aber die massenhafte und allgemein verbreitete Bildung von stickstofffreien Producten aus der Gruppe der sogenannten Kohlenhydrate, welche theils (Cellulose) von den Plastiden nach aussen abgeschieden werden (wie die Membranen und Intercellularsubstanzen, welche aus Cellulose und ihren Modificationen bestehen), theils als Ablagerungen im Innern der Plastiden abgesetzt werden (Stärke, Dextrin, Gummi, Zucker etc.). Anorganische, d. h. nicht kohlenstoffhaltige Verbindungen, insbesondere phosphorsaure Salze und Chlorverbindungen der Alkalien und alkalischen Erden, kommen allgemein in den Pflanzen vor, aber in viel wechselnderen Mengenverhältnissen, und viel häufiger sich gegenseitig substituirend, als in den Thieren. Kieselsäure und Kalksalze treten in den Pflanzen nur in geringer Menge und niemals so, wie in den Thieren und Protisten, als selbstständige geformte Massen, skeletbildend auf. Der Mangel dieser mineralischen Skelete wird den Pflanzen durch ihr Cellulose-Skelet ersetzt. Ab. Character der chemischen Processe der Pflanzen. Der wesentliche Character der chemischen Processe, welche im Pflanzenkörper vor sich gehen, beruht auf Reduction und Synthese einfacher Verbindungen, und lässt sich in den wenigen Worten zu- sammenfassen: Die Pflanze ist ein Reductions-Organismus. Das Pflanzenleben im Grossen und Ganzen ist ein Reductions-Process. Die Pflanzen bilden aus den einfacheren „anorganischen“ Verbindungen, besonders Kohlensäure, Wasser und Ammoniak, durch Synthese und Reduction die sehr zusammengesetzten „organischen“ oder Kohlen- stoff-Verbindungen (Albuminate, Fette etc.), welche nachher dem Thier als Nahrung dienen. Doch kommen daneben allgemein in untergeord- netem Maasse (und auch vielfach im Einzelnen) analytische und Oxy- dations-Processe vor.

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/260>, abgerufen am 27.04.2024.