Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

III. Verschiedene Ansichten über die organischen Grundformen.
theilung in irreguläre, reguläre und symmetrische beschäftigt. Hier
ist sogar vielfach die Ansicht verbreitet, dass man symmetrische oder
Bilateral-Thiere und reguläre oder Strahl-Thiere als zwei Hauptgrund-
formen des Thierreiches unterscheiden könne. Zu den bilateralen oder
symmetrischen Thieren, bei denen der Körper aus zwei gleichen oder
ähnlichen Theilhälften besteht, werden von den meisten Zoologen die
drei Stämme der Vertebraten, Articulaten und Mollusken gerechnet,
zu den regulären oder strahligen Thieren dagegen, bei denen der
Körper aus drei oder mehr gleichen Theilen besteht, die beiden
Stämme der Echinodermen und Coelenteraten. Einige Autoren stellen
zu den Strahlthieren als einen dritten Stamm auch noch die bunte
Collectivgruppe der "Protozoen", während Andere die Gruppe der
Strahlthiere auf die Echinodermen und Coelenteraten beschränken und
die Protozoen als eine dritte, unregelmässige oder unsymmetrische
Gruppe des Thierreiches aufstellen, bei welcher gleiche Theile über-
haupt nicht zu unterscheiden seien. Eine weitere Unterscheidung von
thierischen Grundformen, als diese zwei oder drei, ist gewöhnlich nicht
zu finden, ebenso wenig eine ausführlichere Erörterung der wichtigen
Unterschiede, welche diese Differenzen im ganzen Körperbau bedin-
gen. Von den meisten Zoologen wird diese Frage, welche die wich-
tigsten Grundsätze der allgemeinen Morphologie berührt, und die ganze
Auffassung der organischen Form wissenschaftlich reguliren muss,
vielmehr als eine gleichgültige Nebensache vernachlässigt.

Derjenige Naturforscher, welcher sich mit diesen morphologischen
Grundfragen am eingehendsten beschäftigt hat, ist Bronn, auf dessen
treffliche Arbeiten wir nachher zurückkommen. Ausserdem sind Bur-
meister
und G. Jäger unter den wenigen Zoologen hervorzuheben, wel-
che auf diese Verhältnisse mehr Gewicht gelegt und darauf sogar eine
Eintheilung des ganzen Thierreiches basirt haben. Die "Strahlform" der
Radiaten hat neuerdings Agassiz besonders betont. Burmeister 1) theilt
das ganze Thierreich nach der dreifach verschiedenen Grundform in drei
verschiedene Hauptabtheilungen: I. Irreguläre, II. Reguläre, III. Symmetri-
sche Thiere, und definirt dieselben folgendermaassen: I. Irreguläre
Thiere
(1. Infusorien. 2. Rhizopoden). Nicht halbirbar. "Die Ober-
fläche ist in ihrem Abstande vom Mittelpunkt ohne alles bestimmte Gesetz;
d. h. die verschiedenen Punkte der Oberfläche verhalten sich in ihren Distan-
zen vom Mittelpunkt verschieden, sie folgen absolut keiner angebbaren Regel."
II. Reguläre Thiere (1. Polypina, 2. Medusina, 3. Radiata). Nach mehr
als einer einzigen Richtung halbirbar
. "Die Oberfläche verhält
sich zum Mittelpunkt gesetzlich, aber das Gesetz ist nicht für alle Punkte
dasselbe, sondern nur für gewisse, nach endlichem Zahlenwerthe bestimm-
bare. Alle natürlichen Formen dieser Kategorie lassen sich nicht nach un-

1) Burmeister, Zoonomische Briefe, 1856, I. Bd., p. 26--36.

III. Verschiedene Ansichten über die organischen Grundformen.
theilung in irreguläre, reguläre und symmetrische beschäftigt. Hier
ist sogar vielfach die Ansicht verbreitet, dass man symmetrische oder
Bilateral-Thiere und reguläre oder Strahl-Thiere als zwei Hauptgrund-
formen des Thierreiches unterscheiden könne. Zu den bilateralen oder
symmetrischen Thieren, bei denen der Körper aus zwei gleichen oder
ähnlichen Theilhälften besteht, werden von den meisten Zoologen die
drei Stämme der Vertebraten, Articulaten und Mollusken gerechnet,
zu den regulären oder strahligen Thieren dagegen, bei denen der
Körper aus drei oder mehr gleichen Theilen besteht, die beiden
Stämme der Echinodermen und Coelenteraten. Einige Autoren stellen
zu den Strahlthieren als einen dritten Stamm auch noch die bunte
Collectivgruppe der „Protozoen“, während Andere die Gruppe der
Strahlthiere auf die Echinodermen und Coelenteraten beschränken und
die Protozoen als eine dritte, unregelmässige oder unsymmetrische
Gruppe des Thierreiches aufstellen, bei welcher gleiche Theile über-
haupt nicht zu unterscheiden seien. Eine weitere Unterscheidung von
thierischen Grundformen, als diese zwei oder drei, ist gewöhnlich nicht
zu finden, ebenso wenig eine ausführlichere Erörterung der wichtigen
Unterschiede, welche diese Differenzen im ganzen Körperbau bedin-
gen. Von den meisten Zoologen wird diese Frage, welche die wich-
tigsten Grundsätze der allgemeinen Morphologie berührt, und die ganze
Auffassung der organischen Form wissenschaftlich reguliren muss,
vielmehr als eine gleichgültige Nebensache vernachlässigt.

Derjenige Naturforscher, welcher sich mit diesen morphologischen
Grundfragen am eingehendsten beschäftigt hat, ist Bronn, auf dessen
treffliche Arbeiten wir nachher zurückkommen. Ausserdem sind Bur-
meister
und G. Jäger unter den wenigen Zoologen hervorzuheben, wel-
che auf diese Verhältnisse mehr Gewicht gelegt und darauf sogar eine
Eintheilung des ganzen Thierreiches basirt haben. Die „Strahlform“ der
Radiaten hat neuerdings Agassiz besonders betont. Burmeister 1) theilt
das ganze Thierreich nach der dreifach verschiedenen Grundform in drei
verschiedene Hauptabtheilungen: I. Irreguläre, II. Reguläre, III. Symmetri-
sche Thiere, und definirt dieselben folgendermaassen: I. Irreguläre
Thiere
(1. Infusorien. 2. Rhizopoden). Nicht halbirbar. „Die Ober-
fläche ist in ihrem Abstande vom Mittelpunkt ohne alles bestimmte Gesetz;
d. h. die verschiedenen Punkte der Oberfläche verhalten sich in ihren Distan-
zen vom Mittelpunkt verschieden, sie folgen absolut keiner angebbaren Regel.“
II. Reguläre Thiere (1. Polypina, 2. Medusina, 3. Radiata). Nach mehr
als einer einzigen Richtung halbirbar
. „Die Oberfläche verhält
sich zum Mittelpunkt gesetzlich, aber das Gesetz ist nicht für alle Punkte
dasselbe, sondern nur für gewisse, nach endlichem Zahlenwerthe bestimm-
bare. Alle natürlichen Formen dieser Kategorie lassen sich nicht nach un-

1) Burmeister, Zoonomische Briefe, 1856, I. Bd., p. 26—36.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0422" n="383"/><fw place="top" type="header">III. Verschiedene Ansichten über die organischen Grundformen.</fw><lb/>
theilung in irreguläre, reguläre und symmetrische beschäftigt. Hier<lb/>
ist sogar vielfach die Ansicht verbreitet, dass man symmetrische oder<lb/>
Bilateral-Thiere und reguläre oder Strahl-Thiere als zwei Hauptgrund-<lb/>
formen des Thierreiches unterscheiden könne. Zu den bilateralen oder<lb/>
symmetrischen Thieren, bei denen der Körper aus zwei gleichen oder<lb/>
ähnlichen Theilhälften besteht, werden von den meisten Zoologen die<lb/>
drei Stämme der Vertebraten, Articulaten und Mollusken gerechnet,<lb/>
zu den regulären oder strahligen Thieren dagegen, bei denen der<lb/>
Körper aus drei oder mehr gleichen Theilen besteht, die beiden<lb/>
Stämme der Echinodermen und Coelenteraten. Einige Autoren stellen<lb/>
zu den Strahlthieren als einen dritten Stamm auch noch die bunte<lb/>
Collectivgruppe der &#x201E;Protozoen&#x201C;, während Andere die Gruppe der<lb/>
Strahlthiere auf die Echinodermen und Coelenteraten beschränken und<lb/>
die Protozoen als eine dritte, unregelmässige oder unsymmetrische<lb/>
Gruppe des Thierreiches aufstellen, bei welcher gleiche Theile über-<lb/>
haupt nicht zu unterscheiden seien. Eine weitere Unterscheidung von<lb/>
thierischen Grundformen, als diese zwei oder drei, ist gewöhnlich nicht<lb/>
zu finden, ebenso wenig eine ausführlichere Erörterung der wichtigen<lb/>
Unterschiede, welche diese Differenzen im ganzen Körperbau bedin-<lb/>
gen. Von den meisten Zoologen wird diese Frage, welche die wich-<lb/>
tigsten Grundsätze der allgemeinen Morphologie berührt, und die ganze<lb/>
Auffassung der organischen Form wissenschaftlich reguliren muss,<lb/>
vielmehr als eine gleichgültige Nebensache vernachlässigt.</p><lb/>
            <p>Derjenige Naturforscher, welcher sich mit diesen morphologischen<lb/>
Grundfragen am eingehendsten beschäftigt hat, ist <hi rendition="#g">Bronn,</hi> auf dessen<lb/>
treffliche Arbeiten wir nachher zurückkommen. Ausserdem sind <hi rendition="#g">Bur-<lb/>
meister</hi> und G. <hi rendition="#g">Jäger</hi> unter den wenigen Zoologen hervorzuheben, wel-<lb/>
che auf diese Verhältnisse mehr Gewicht gelegt und darauf sogar eine<lb/>
Eintheilung des ganzen Thierreiches basirt haben. Die &#x201E;Strahlform&#x201C; der<lb/>
Radiaten hat neuerdings <hi rendition="#g">Agassiz</hi> besonders betont. <hi rendition="#g">Burmeister</hi> <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#g">Burmeister,</hi> Zoonomische Briefe, 1856, I. Bd., p. 26&#x2014;36.</note> theilt<lb/>
das ganze Thierreich nach der dreifach verschiedenen Grundform in drei<lb/>
verschiedene Hauptabtheilungen: I. Irreguläre, II. Reguläre, III. Symmetri-<lb/>
sche Thiere, und definirt dieselben folgendermaassen: I. <hi rendition="#g">Irreguläre<lb/>
Thiere</hi> (1. Infusorien. 2. Rhizopoden). <hi rendition="#g">Nicht halbirbar</hi>. &#x201E;Die Ober-<lb/>
fläche ist in ihrem Abstande vom Mittelpunkt ohne alles bestimmte Gesetz;<lb/>
d. h. die verschiedenen Punkte der Oberfläche verhalten sich in ihren Distan-<lb/>
zen vom Mittelpunkt verschieden, sie folgen absolut keiner angebbaren Regel.&#x201C;<lb/>
II. <hi rendition="#g">Reguläre Thiere</hi> (1. Polypina, 2. Medusina, 3. Radiata). <hi rendition="#g">Nach mehr<lb/>
als einer einzigen Richtung halbirbar</hi>. &#x201E;Die Oberfläche verhält<lb/>
sich zum Mittelpunkt gesetzlich, aber das Gesetz ist nicht für alle Punkte<lb/>
dasselbe, sondern nur für gewisse, nach <hi rendition="#g">endlichem</hi> Zahlenwerthe bestimm-<lb/>
bare. Alle natürlichen Formen dieser Kategorie lassen sich nicht nach un-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[383/0422] III. Verschiedene Ansichten über die organischen Grundformen. theilung in irreguläre, reguläre und symmetrische beschäftigt. Hier ist sogar vielfach die Ansicht verbreitet, dass man symmetrische oder Bilateral-Thiere und reguläre oder Strahl-Thiere als zwei Hauptgrund- formen des Thierreiches unterscheiden könne. Zu den bilateralen oder symmetrischen Thieren, bei denen der Körper aus zwei gleichen oder ähnlichen Theilhälften besteht, werden von den meisten Zoologen die drei Stämme der Vertebraten, Articulaten und Mollusken gerechnet, zu den regulären oder strahligen Thieren dagegen, bei denen der Körper aus drei oder mehr gleichen Theilen besteht, die beiden Stämme der Echinodermen und Coelenteraten. Einige Autoren stellen zu den Strahlthieren als einen dritten Stamm auch noch die bunte Collectivgruppe der „Protozoen“, während Andere die Gruppe der Strahlthiere auf die Echinodermen und Coelenteraten beschränken und die Protozoen als eine dritte, unregelmässige oder unsymmetrische Gruppe des Thierreiches aufstellen, bei welcher gleiche Theile über- haupt nicht zu unterscheiden seien. Eine weitere Unterscheidung von thierischen Grundformen, als diese zwei oder drei, ist gewöhnlich nicht zu finden, ebenso wenig eine ausführlichere Erörterung der wichtigen Unterschiede, welche diese Differenzen im ganzen Körperbau bedin- gen. Von den meisten Zoologen wird diese Frage, welche die wich- tigsten Grundsätze der allgemeinen Morphologie berührt, und die ganze Auffassung der organischen Form wissenschaftlich reguliren muss, vielmehr als eine gleichgültige Nebensache vernachlässigt. Derjenige Naturforscher, welcher sich mit diesen morphologischen Grundfragen am eingehendsten beschäftigt hat, ist Bronn, auf dessen treffliche Arbeiten wir nachher zurückkommen. Ausserdem sind Bur- meister und G. Jäger unter den wenigen Zoologen hervorzuheben, wel- che auf diese Verhältnisse mehr Gewicht gelegt und darauf sogar eine Eintheilung des ganzen Thierreiches basirt haben. Die „Strahlform“ der Radiaten hat neuerdings Agassiz besonders betont. Burmeister 1) theilt das ganze Thierreich nach der dreifach verschiedenen Grundform in drei verschiedene Hauptabtheilungen: I. Irreguläre, II. Reguläre, III. Symmetri- sche Thiere, und definirt dieselben folgendermaassen: I. Irreguläre Thiere (1. Infusorien. 2. Rhizopoden). Nicht halbirbar. „Die Ober- fläche ist in ihrem Abstande vom Mittelpunkt ohne alles bestimmte Gesetz; d. h. die verschiedenen Punkte der Oberfläche verhalten sich in ihren Distan- zen vom Mittelpunkt verschieden, sie folgen absolut keiner angebbaren Regel.“ II. Reguläre Thiere (1. Polypina, 2. Medusina, 3. Radiata). Nach mehr als einer einzigen Richtung halbirbar. „Die Oberfläche verhält sich zum Mittelpunkt gesetzlich, aber das Gesetz ist nicht für alle Punkte dasselbe, sondern nur für gewisse, nach endlichem Zahlenwerthe bestimm- bare. Alle natürlichen Formen dieser Kategorie lassen sich nicht nach un- 1) Burmeister, Zoonomische Briefe, 1856, I. Bd., p. 26—36.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/422
Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/422>, abgerufen am 16.06.2024.