Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

Moneren, die einfachsten aller Organismen.
müssen. Diese allereinfachsten uns bis jetzt bekannten, und zugleich
die denkbar einfachsten Organismen sind die Moneren: sehr kleine
lebendige Körperchen, welche eigentlich streng genommen den Namen
des Organismus gar nicht verdienen. Denn die Bezeichnung "Orga-
nismus" für die lebenden Wesen beruht auf der Vorstellung, daß jeder
belebte Naturkörper aus Organen zusammengesetzt ist, aus verschieden-
artigen Theilen, die als Werkzeuge, ähnlich den verschiedenen Theilen
einer künstlichen Maschine, in einander greifen und zusammenwirken,
um die Thätigkeit des Ganzen hervorzubringen. Nun haben wir aber
in den Moneren während der letzten Jahre Organismen kennen ge-
lernt, welche in der That nicht aus Organen zusammengesetzt sind, son-
dern ganz und gar aus einer structurlosen, einfachen, gleichartigen Ma-
terie bestehen. (Vergl. Fig. 1. auf S. 144). Der ganze Körper dieser
Moneren ist zeitlebens weiter Nichts, als ein formloses bewegliches
Schleimklümpchen, das aus einer eiweißartigen Kohlenstoffverbindung
besteht. Einfachere, unvollkommnere Organismen sind gar nicht denkbar.
Die Moneren leben zum Theil im Süßwasser (Protamoeba, Protomo-
nas, Vampyrella),
zum Theil im Meere (Protogenes, Protomyxa, Myx-
astrum)
15). Jm Ruhezustande erscheint jedes Moner als ein kleines
Schleimkügelchen, für das unbewaffnete Auge nicht sichtbar oder eben
sichtbar, höchstens von der Größe eines Stecknadelkopfes. Wenn das
Moner sich bewegt, bilden sich an der Oberfläche der kleinen Schleim-
kugel formlose fingerartige Fortsätze oder sehr feine strahlende Fäden,
sogenannte Scheinfüße oder Pseudopodien. Diese Scheinfüße sind
einfache, unmittelbare Fortsetzungen der eiweißartigen schleimigen
Masse, aus der der ganze Körper besteht. Bei der stärksten Vergrö-
ßerung, mit unseren schärfsten Jnstrumenten untersucht, stellt der ge-
sammte Körper der Moneren immer nur eine structurlose, vollkommen
gleichartige Masse dar. Wir sind nicht im Stande, verschiedenartige
Theile in demselben wahrzunehmen, und wir können den directen Be-
weis für die absolute Einfachheit der festflüssigen Eiweißmasse dadurch
führen, daß wir die Nahrungsaufnahme der Moneren verfolgen.
Wenn kleine Körperchen, die zur Ernährung derselben tauglich sind,

Moneren, die einfachſten aller Organismen.
muͤſſen. Dieſe allereinfachſten uns bis jetzt bekannten, und zugleich
die denkbar einfachſten Organismen ſind die Moneren: ſehr kleine
lebendige Koͤrperchen, welche eigentlich ſtreng genommen den Namen
des Organismus gar nicht verdienen. Denn die Bezeichnung „Orga-
nismus“ fuͤr die lebenden Weſen beruht auf der Vorſtellung, daß jeder
belebte Naturkoͤrper aus Organen zuſammengeſetzt iſt, aus verſchieden-
artigen Theilen, die als Werkzeuge, aͤhnlich den verſchiedenen Theilen
einer kuͤnſtlichen Maſchine, in einander greifen und zuſammenwirken,
um die Thaͤtigkeit des Ganzen hervorzubringen. Nun haben wir aber
in den Moneren waͤhrend der letzten Jahre Organismen kennen ge-
lernt, welche in der That nicht aus Organen zuſammengeſetzt ſind, ſon-
dern ganz und gar aus einer ſtructurloſen, einfachen, gleichartigen Ma-
terie beſtehen. (Vergl. Fig. 1. auf S. 144). Der ganze Koͤrper dieſer
Moneren iſt zeitlebens weiter Nichts, als ein formloſes bewegliches
Schleimkluͤmpchen, das aus einer eiweißartigen Kohlenſtoffverbindung
beſteht. Einfachere, unvollkommnere Organismen ſind gar nicht denkbar.
Die Moneren leben zum Theil im Suͤßwaſſer (Protamoeba, Protomo-
nas, Vampyrella),
zum Theil im Meere (Protogenes, Protomyxa, Myx-
astrum)
15). Jm Ruhezuſtande erſcheint jedes Moner als ein kleines
Schleimkuͤgelchen, fuͤr das unbewaffnete Auge nicht ſichtbar oder eben
ſichtbar, hoͤchſtens von der Groͤße eines Stecknadelkopfes. Wenn das
Moner ſich bewegt, bilden ſich an der Oberflaͤche der kleinen Schleim-
kugel formloſe fingerartige Fortſaͤtze oder ſehr feine ſtrahlende Faͤden,
ſogenannte Scheinfuͤße oder Pſeudopodien. Dieſe Scheinfuͤße ſind
einfache, unmittelbare Fortſetzungen der eiweißartigen ſchleimigen
Maſſe, aus der der ganze Koͤrper beſteht. Bei der ſtaͤrkſten Vergroͤ-
ßerung, mit unſeren ſchaͤrfſten Jnſtrumenten unterſucht, ſtellt der ge-
ſammte Koͤrper der Moneren immer nur eine ſtructurloſe, vollkommen
gleichartige Maſſe dar. Wir ſind nicht im Stande, verſchiedenartige
Theile in demſelben wahrzunehmen, und wir koͤnnen den directen Be-
weis fuͤr die abſolute Einfachheit der feſtfluͤſſigen Eiweißmaſſe dadurch
fuͤhren, daß wir die Nahrungsaufnahme der Moneren verfolgen.
Wenn kleine Koͤrperchen, die zur Ernaͤhrung derſelben tauglich ſind,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0163" n="142"/><fw place="top" type="header">Moneren, die einfach&#x017F;ten aller Organismen.</fw><lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Die&#x017F;e allereinfach&#x017F;ten uns bis jetzt bekannten, und zugleich<lb/>
die denkbar einfach&#x017F;ten Organismen &#x017F;ind die <hi rendition="#g">Moneren:</hi> &#x017F;ehr kleine<lb/>
lebendige Ko&#x0364;rperchen, welche eigentlich &#x017F;treng genommen den Namen<lb/>
des Organismus gar nicht verdienen. Denn die Bezeichnung &#x201E;Orga-<lb/>
nismus&#x201C; fu&#x0364;r die lebenden We&#x017F;en beruht auf der Vor&#x017F;tellung, daß jeder<lb/>
belebte Naturko&#x0364;rper aus Organen zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzt i&#x017F;t, aus ver&#x017F;chieden-<lb/>
artigen Theilen, die als Werkzeuge, a&#x0364;hnlich den ver&#x017F;chiedenen Theilen<lb/>
einer ku&#x0364;n&#x017F;tlichen Ma&#x017F;chine, in einander greifen und zu&#x017F;ammenwirken,<lb/>
um die Tha&#x0364;tigkeit des Ganzen hervorzubringen. Nun haben wir aber<lb/>
in den <hi rendition="#g">Moneren</hi> wa&#x0364;hrend der letzten Jahre Organismen kennen ge-<lb/>
lernt, welche in der That nicht aus Organen zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzt &#x017F;ind, &#x017F;on-<lb/>
dern ganz und gar aus einer &#x017F;tructurlo&#x017F;en, einfachen, gleichartigen Ma-<lb/>
terie be&#x017F;tehen. (Vergl. Fig. 1. auf S. 144). Der ganze Ko&#x0364;rper die&#x017F;er<lb/>
Moneren i&#x017F;t zeitlebens weiter Nichts, als ein formlo&#x017F;es bewegliches<lb/>
Schleimklu&#x0364;mpchen, das aus einer eiweißartigen Kohlen&#x017F;toffverbindung<lb/>
be&#x017F;teht. Einfachere, unvollkommnere Organismen &#x017F;ind gar nicht denkbar.<lb/>
Die Moneren leben zum Theil im Su&#x0364;ßwa&#x017F;&#x017F;er <hi rendition="#aq">(Protamoeba, Protomo-<lb/>
nas, Vampyrella),</hi> zum Theil im Meere <hi rendition="#aq">(Protogenes, Protomyxa, Myx-<lb/>
astrum)</hi> <hi rendition="#sup">15</hi>). Jm Ruhezu&#x017F;tande er&#x017F;cheint jedes Moner als ein kleines<lb/>
Schleimku&#x0364;gelchen, fu&#x0364;r das unbewaffnete Auge nicht &#x017F;ichtbar oder eben<lb/>
&#x017F;ichtbar, ho&#x0364;ch&#x017F;tens von der Gro&#x0364;ße eines Stecknadelkopfes. Wenn das<lb/>
Moner &#x017F;ich bewegt, bilden &#x017F;ich an der Oberfla&#x0364;che der kleinen Schleim-<lb/>
kugel formlo&#x017F;e fingerartige Fort&#x017F;a&#x0364;tze oder &#x017F;ehr feine &#x017F;trahlende Fa&#x0364;den,<lb/>
&#x017F;ogenannte Scheinfu&#x0364;ße oder P&#x017F;eudopodien. Die&#x017F;e Scheinfu&#x0364;ße &#x017F;ind<lb/>
einfache, unmittelbare Fort&#x017F;etzungen der eiweißartigen &#x017F;chleimigen<lb/>
Ma&#x017F;&#x017F;e, aus der der ganze Ko&#x0364;rper be&#x017F;teht. Bei der &#x017F;ta&#x0364;rk&#x017F;ten Vergro&#x0364;-<lb/>
ßerung, mit un&#x017F;eren &#x017F;cha&#x0364;rf&#x017F;ten Jn&#x017F;trumenten unter&#x017F;ucht, &#x017F;tellt der ge-<lb/>
&#x017F;ammte Ko&#x0364;rper der Moneren immer nur eine &#x017F;tructurlo&#x017F;e, vollkommen<lb/>
gleichartige Ma&#x017F;&#x017F;e dar. Wir &#x017F;ind nicht im Stande, ver&#x017F;chiedenartige<lb/>
Theile in dem&#x017F;elben wahrzunehmen, und wir ko&#x0364;nnen den directen Be-<lb/>
weis fu&#x0364;r die ab&#x017F;olute Einfachheit der fe&#x017F;tflu&#x0364;&#x017F;&#x017F;igen Eiweißma&#x017F;&#x017F;e dadurch<lb/>
fu&#x0364;hren, daß wir die Nahrungsaufnahme der Moneren verfolgen.<lb/>
Wenn kleine Ko&#x0364;rperchen, die zur Erna&#x0364;hrung der&#x017F;elben tauglich &#x017F;ind,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[142/0163] Moneren, die einfachſten aller Organismen. muͤſſen. Dieſe allereinfachſten uns bis jetzt bekannten, und zugleich die denkbar einfachſten Organismen ſind die Moneren: ſehr kleine lebendige Koͤrperchen, welche eigentlich ſtreng genommen den Namen des Organismus gar nicht verdienen. Denn die Bezeichnung „Orga- nismus“ fuͤr die lebenden Weſen beruht auf der Vorſtellung, daß jeder belebte Naturkoͤrper aus Organen zuſammengeſetzt iſt, aus verſchieden- artigen Theilen, die als Werkzeuge, aͤhnlich den verſchiedenen Theilen einer kuͤnſtlichen Maſchine, in einander greifen und zuſammenwirken, um die Thaͤtigkeit des Ganzen hervorzubringen. Nun haben wir aber in den Moneren waͤhrend der letzten Jahre Organismen kennen ge- lernt, welche in der That nicht aus Organen zuſammengeſetzt ſind, ſon- dern ganz und gar aus einer ſtructurloſen, einfachen, gleichartigen Ma- terie beſtehen. (Vergl. Fig. 1. auf S. 144). Der ganze Koͤrper dieſer Moneren iſt zeitlebens weiter Nichts, als ein formloſes bewegliches Schleimkluͤmpchen, das aus einer eiweißartigen Kohlenſtoffverbindung beſteht. Einfachere, unvollkommnere Organismen ſind gar nicht denkbar. Die Moneren leben zum Theil im Suͤßwaſſer (Protamoeba, Protomo- nas, Vampyrella), zum Theil im Meere (Protogenes, Protomyxa, Myx- astrum) 15). Jm Ruhezuſtande erſcheint jedes Moner als ein kleines Schleimkuͤgelchen, fuͤr das unbewaffnete Auge nicht ſichtbar oder eben ſichtbar, hoͤchſtens von der Groͤße eines Stecknadelkopfes. Wenn das Moner ſich bewegt, bilden ſich an der Oberflaͤche der kleinen Schleim- kugel formloſe fingerartige Fortſaͤtze oder ſehr feine ſtrahlende Faͤden, ſogenannte Scheinfuͤße oder Pſeudopodien. Dieſe Scheinfuͤße ſind einfache, unmittelbare Fortſetzungen der eiweißartigen ſchleimigen Maſſe, aus der der ganze Koͤrper beſteht. Bei der ſtaͤrkſten Vergroͤ- ßerung, mit unſeren ſchaͤrfſten Jnſtrumenten unterſucht, ſtellt der ge- ſammte Koͤrper der Moneren immer nur eine ſtructurloſe, vollkommen gleichartige Maſſe dar. Wir ſind nicht im Stande, verſchiedenartige Theile in demſelben wahrzunehmen, und wir koͤnnen den directen Be- weis fuͤr die abſolute Einfachheit der feſtfluͤſſigen Eiweißmaſſe dadurch fuͤhren, daß wir die Nahrungsaufnahme der Moneren verfolgen. Wenn kleine Koͤrperchen, die zur Ernaͤhrung derſelben tauglich ſind,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/163
Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/163>, abgerufen am 13.05.2024.