Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 1. Berlin, 1759.

Bild:
<< vorherige Seite

Ursachen des Herzschlages.
nenjenigen Thieren das Schlagen des Herzens nicht in
der gehörigen Ordnung fortgesezzet werde, an denen man
weder einen Kopf, noch ein Gehirn, noch eine Nerven-
faser mit einiger Gewißheit hat deutlich zeigen können;
wie z. E. bei dem Geschlechte derer Würmer, die keine
Köpfe haben (g*).

§. 6.
Was eigentlich die Ursache der fortwährenden
und beständigen Bewegung im Herzen
sey.

Nunmehro müssen wir, der Ordnung nach, diese ver-
borgene Ursache im Herzen aufsuchen. Es wird aber ei-
ne solche Ursache erfordert, welche veranlasset, daß das
Herz seine Bewegung länger als irgend ein anderer Mus-

kel
(g*) [Spaltenumbruch] Es ist die Analogie unter
den grösten Thieren und den klein-
sten Gläserthierchen so genau be-
festigt, daß ich an allen solche
Theile, die den Kopf, den Leib,
oder auch die Füsse unterscheiden,
antreffe. Würmer, die sich zer-
schneiden lassen, und die unter der
anatomischen Scheere zu wahren
Phönixen auferstehen, behalten im-
mer einen Theil, der die Stelle
des Kopfes vertritt, oder wohin
sich künftig das Thier bewegt, und
dem die andern Theile blindlings
nachfolgen. Es scheint der neue
Kopf nur eine neu aufgeblühte
Knospe zu seyn, von den nächsten
zerrissnen Nervenfäserchen zusam-
mengeballt. Der Polipe ist ein
aus groben Knoten gestrikter häu-
tiger Sak, mit eben so knotigen
langen Zipfeln, und es hängen die-
se Knoten mit zarten Fäden zu-
sammen, welche die Maschen ver-
weben. Die Vegetation macht,
daß die Kotte an diesem zerschnit-
[Spaltenumbruch] tenen Zeuge auf der Stelle zunt
Einschlage wird. Aber ein schla-
gend Herz im Polipen, ein Kno-
ten, aus dessen zerrissner Kapsel
Seelen hervorspringen, darunter
sich die nächste an der Scheere zur
herrschenden kleinen Tyrannin über
die übrigen Geschwister aufwirft,
ein Gehirn, wie wir es zu sehen
gewohnt sind, ein Kopf nach dem
phisiologischen Fusse, Nerben nach
unsrer Art, gehören für keine Po-
lipen, und gar keine Jusekten und
Würmer. Und doch lebt der Po-
lipe ohne solches Herz, und ohne
allem Herzähnlichen, und die Kno-
ten seines Gewebes bleiben für uns
Gordische Knoten, die wir nur zer-
schneiden, aber nicht auflösen kon-
nen. Die Vegetation ist vielleicht
in Pflanzen eben ein solcher Trieb
im kleinen, als das Schlagen des
Herzens im Thiere, im grossen ist,
das Spiel des feineren Aethers,
den ich nicht kenne. Uebersezzer.
L l l 4

Urſachen des Herzſchlages.
nenjenigen Thieren das Schlagen des Herzens nicht in
der gehoͤrigen Ordnung fortgeſezzet werde, an denen man
weder einen Kopf, noch ein Gehirn, noch eine Nerven-
faſer mit einiger Gewißheit hat deutlich zeigen koͤnnen;
wie z. E. bei dem Geſchlechte derer Wuͤrmer, die keine
Koͤpfe haben (g*).

§. 6.
Was eigentlich die Urſache der fortwaͤhrenden
und beſtaͤndigen Bewegung im Herzen
ſey.

Nunmehro muͤſſen wir, der Ordnung nach, dieſe ver-
borgene Urſache im Herzen aufſuchen. Es wird aber ei-
ne ſolche Urſache erfordert, welche veranlaſſet, daß das
Herz ſeine Bewegung laͤnger als irgend ein anderer Mus-

kel
(g*) [Spaltenumbruch] Es iſt die Analogie unter
den groͤſten Thieren und den klein-
ſten Glaͤſerthierchen ſo genau be-
feſtigt, daß ich an allen ſolche
Theile, die den Kopf, den Leib,
oder auch die Fuͤſſe unterſcheiden,
antreffe. Wuͤrmer, die ſich zer-
ſchneiden laſſen, und die unter der
anatomiſchen Scheere zu wahren
Phoͤnixen auferſtehen, behalten im-
mer einen Theil, der die Stelle
des Kopfes vertritt, oder wohin
ſich kuͤnftig das Thier bewegt, und
dem die andern Theile blindlings
nachfolgen. Es ſcheint der neue
Kopf nur eine neu aufgebluͤhte
Knoſpe zu ſeyn, von den naͤchſten
zerriſſnen Nervenfaͤſerchen zuſam-
mengeballt. Der Polipe iſt ein
aus groben Knoten geſtrikter haͤu-
tiger Sak, mit eben ſo knotigen
langen Zipfeln, und es haͤngen die-
ſe Knoten mit zarten Faͤden zu-
ſammen, welche die Maſchen ver-
weben. Die Vegetation macht,
daß die Kotte an dieſem zerſchnit-
[Spaltenumbruch] tenen Zeuge auf der Stelle zunt
Einſchlage wird. Aber ein ſchla-
gend Herz im Polipen, ein Kno-
ten, aus deſſen zerriſſner Kapſel
Seelen hervorſpringen, darunter
ſich die naͤchſte an der Scheere zur
herrſchenden kleinen Tyrannin uͤber
die uͤbrigen Geſchwiſter aufwirft,
ein Gehirn, wie wir es zu ſehen
gewohnt ſind, ein Kopf nach dem
phiſiologiſchen Fuſſe, Nerben nach
unſrer Art, gehoͤren fuͤr keine Po-
lipen, und gar keine Juſekten und
Wuͤrmer. Und doch lebt der Po-
lipe ohne ſolches Herz, und ohne
allem Herzaͤhnlichen, und die Kno-
ten ſeines Gewebes bleiben fuͤr uns
Gordiſche Knoten, die wir nur zer-
ſchneiden, aber nicht aufloͤſen kon-
nen. Die Vegetation iſt vielleicht
in Pflanzen eben ein ſolcher Trieb
im kleinen, als das Schlagen des
Herzens im Thiere, im groſſen iſt,
das Spiel des feineren Aethers,
den ich nicht kenne. Ueberſezzer.
L l l 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0959" n="903"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Ur&#x017F;achen des Herz&#x017F;chlages.</hi></fw><lb/>
nenjenigen Thieren das Schlagen des Herzens nicht in<lb/>
der geho&#x0364;rigen Ordnung fortge&#x017F;ezzet werde, an denen man<lb/>
weder einen Kopf, noch ein Gehirn, noch eine Nerven-<lb/>
fa&#x017F;er mit einiger Gewißheit hat deutlich zeigen ko&#x0364;nnen;<lb/>
wie z. E. bei dem Ge&#x017F;chlechte derer Wu&#x0364;rmer, die keine<lb/>
Ko&#x0364;pfe haben <note place="foot" n="(g*)"><cb/>
Es i&#x017F;t die Analogie unter<lb/>
den gro&#x0364;&#x017F;ten Thieren und den klein-<lb/>
&#x017F;ten Gla&#x0364;&#x017F;erthierchen &#x017F;o genau be-<lb/>
fe&#x017F;tigt, daß ich an allen &#x017F;olche<lb/>
Theile, die den Kopf, den Leib,<lb/>
oder auch die Fu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e unter&#x017F;cheiden,<lb/>
antreffe. Wu&#x0364;rmer, die &#x017F;ich zer-<lb/>
&#x017F;chneiden la&#x017F;&#x017F;en, und die unter der<lb/>
anatomi&#x017F;chen Scheere zu wahren<lb/>
Pho&#x0364;nixen aufer&#x017F;tehen, behalten im-<lb/>
mer einen Theil, der die Stelle<lb/>
des Kopfes vertritt, oder wohin<lb/>
&#x017F;ich ku&#x0364;nftig das Thier bewegt, und<lb/>
dem die andern Theile blindlings<lb/>
nachfolgen. Es &#x017F;cheint der neue<lb/>
Kopf nur eine neu aufgeblu&#x0364;hte<lb/>
Kno&#x017F;pe zu &#x017F;eyn, von den na&#x0364;ch&#x017F;ten<lb/>
zerri&#x017F;&#x017F;nen Nervenfa&#x0364;&#x017F;erchen zu&#x017F;am-<lb/>
mengeballt. Der Polipe i&#x017F;t ein<lb/>
aus groben Knoten ge&#x017F;trikter ha&#x0364;u-<lb/>
tiger Sak, mit eben &#x017F;o knotigen<lb/>
langen Zipfeln, und es ha&#x0364;ngen die-<lb/>
&#x017F;e Knoten mit zarten Fa&#x0364;den zu-<lb/>
&#x017F;ammen, welche die Ma&#x017F;chen ver-<lb/>
weben. Die Vegetation macht,<lb/>
daß die Kotte an die&#x017F;em zer&#x017F;chnit-<lb/><cb/>
tenen Zeuge auf der Stelle zunt<lb/>
Ein&#x017F;chlage wird. Aber ein &#x017F;chla-<lb/>
gend Herz im Polipen, ein Kno-<lb/>
ten, aus de&#x017F;&#x017F;en zerri&#x017F;&#x017F;ner Kap&#x017F;el<lb/>
Seelen hervor&#x017F;pringen, darunter<lb/>
&#x017F;ich die na&#x0364;ch&#x017F;te an der Scheere zur<lb/>
herr&#x017F;chenden kleinen Tyrannin u&#x0364;ber<lb/>
die u&#x0364;brigen Ge&#x017F;chwi&#x017F;ter aufwirft,<lb/>
ein Gehirn, wie wir es zu &#x017F;ehen<lb/>
gewohnt &#x017F;ind, ein Kopf nach dem<lb/>
phi&#x017F;iologi&#x017F;chen Fu&#x017F;&#x017F;e, Nerben nach<lb/>
un&#x017F;rer Art, geho&#x0364;ren fu&#x0364;r keine Po-<lb/>
lipen, und gar keine Ju&#x017F;ekten und<lb/>
Wu&#x0364;rmer. Und doch lebt der Po-<lb/>
lipe ohne &#x017F;olches Herz, und ohne<lb/>
allem Herza&#x0364;hnlichen, und die Kno-<lb/>
ten &#x017F;eines Gewebes bleiben fu&#x0364;r uns<lb/>
Gordi&#x017F;che Knoten, die wir nur zer-<lb/>
&#x017F;chneiden, aber nicht auflo&#x0364;&#x017F;en kon-<lb/>
nen. Die Vegetation i&#x017F;t vielleicht<lb/>
in Pflanzen eben ein &#x017F;olcher Trieb<lb/>
im kleinen, als das Schlagen des<lb/>
Herzens im Thiere, im gro&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t,<lb/>
das Spiel des feineren Aethers,<lb/>
den ich nicht kenne. <hi rendition="#fr">Ueber&#x017F;ezzer.</hi></note>.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 6.<lb/>
Was eigentlich die Ur&#x017F;ache der fortwa&#x0364;hrenden<lb/>
und be&#x017F;ta&#x0364;ndigen Bewegung im Herzen<lb/>
&#x017F;ey.</head><lb/>
            <p>Nunmehro mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en wir, der Ordnung nach, die&#x017F;e ver-<lb/>
borgene Ur&#x017F;ache im Herzen auf&#x017F;uchen. Es wird aber ei-<lb/>
ne &#x017F;olche Ur&#x017F;ache erfordert, welche veranla&#x017F;&#x017F;et, daß das<lb/>
Herz &#x017F;eine Bewegung la&#x0364;nger als irgend ein anderer Mus-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">L l l 4</fw><fw place="bottom" type="catch">kel</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[903/0959] Urſachen des Herzſchlages. nenjenigen Thieren das Schlagen des Herzens nicht in der gehoͤrigen Ordnung fortgeſezzet werde, an denen man weder einen Kopf, noch ein Gehirn, noch eine Nerven- faſer mit einiger Gewißheit hat deutlich zeigen koͤnnen; wie z. E. bei dem Geſchlechte derer Wuͤrmer, die keine Koͤpfe haben (g*). §. 6. Was eigentlich die Urſache der fortwaͤhrenden und beſtaͤndigen Bewegung im Herzen ſey. Nunmehro muͤſſen wir, der Ordnung nach, dieſe ver- borgene Urſache im Herzen aufſuchen. Es wird aber ei- ne ſolche Urſache erfordert, welche veranlaſſet, daß das Herz ſeine Bewegung laͤnger als irgend ein anderer Mus- kel (g*) Es iſt die Analogie unter den groͤſten Thieren und den klein- ſten Glaͤſerthierchen ſo genau be- feſtigt, daß ich an allen ſolche Theile, die den Kopf, den Leib, oder auch die Fuͤſſe unterſcheiden, antreffe. Wuͤrmer, die ſich zer- ſchneiden laſſen, und die unter der anatomiſchen Scheere zu wahren Phoͤnixen auferſtehen, behalten im- mer einen Theil, der die Stelle des Kopfes vertritt, oder wohin ſich kuͤnftig das Thier bewegt, und dem die andern Theile blindlings nachfolgen. Es ſcheint der neue Kopf nur eine neu aufgebluͤhte Knoſpe zu ſeyn, von den naͤchſten zerriſſnen Nervenfaͤſerchen zuſam- mengeballt. Der Polipe iſt ein aus groben Knoten geſtrikter haͤu- tiger Sak, mit eben ſo knotigen langen Zipfeln, und es haͤngen die- ſe Knoten mit zarten Faͤden zu- ſammen, welche die Maſchen ver- weben. Die Vegetation macht, daß die Kotte an dieſem zerſchnit- tenen Zeuge auf der Stelle zunt Einſchlage wird. Aber ein ſchla- gend Herz im Polipen, ein Kno- ten, aus deſſen zerriſſner Kapſel Seelen hervorſpringen, darunter ſich die naͤchſte an der Scheere zur herrſchenden kleinen Tyrannin uͤber die uͤbrigen Geſchwiſter aufwirft, ein Gehirn, wie wir es zu ſehen gewohnt ſind, ein Kopf nach dem phiſiologiſchen Fuſſe, Nerben nach unſrer Art, gehoͤren fuͤr keine Po- lipen, und gar keine Juſekten und Wuͤrmer. Und doch lebt der Po- lipe ohne ſolches Herz, und ohne allem Herzaͤhnlichen, und die Kno- ten ſeines Gewebes bleiben fuͤr uns Gordiſche Knoten, die wir nur zer- ſchneiden, aber nicht aufloͤſen kon- nen. Die Vegetation iſt vielleicht in Pflanzen eben ein ſolcher Trieb im kleinen, als das Schlagen des Herzens im Thiere, im groſſen iſt, das Spiel des feineren Aethers, den ich nicht kenne. Ueberſezzer. L l l 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende01_1759
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende01_1759/959
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 1. Berlin, 1759, S. 903. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende01_1759/959>, abgerufen am 15.05.2024.