Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 3. Berlin, 1766.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Atemholen. VIII. Buch.
blik schlaff, so bald wir das Zwerchfell nachlassen, und
den Atem herauslassen,

Wenn man über diese Sache Betrachtungen anstellt,
so scheint sie mir mehr, als eine Ursache zu haben. Es
haben nämlich alle Muskeln am ganzen menschlichen
Körper, ihren Grund in der Brust, und dem in eins
fortgehenden Rükkgrade. Damit demnach diese Muskeln
ihr völliges Spiel haben mögen, so mus dieser Rükkgrad
sehr feste seyn, damit die ganze Kraft der Muskeln, des
Arms, der Schultern, oder andrer Glieder, wenn sie ihre
Gliedmaßen gegen die Brust herbeiziehen, verzert werde,
und keine Kraft sich verzehre, wenn die Brust gegen
die Glieder herbeigezogen wird. Diese Festigkeit aber
verschaffen wir uns, wenn wir die Kräfte des Einatmens
anwenden, den Nakken und Kopf rükkwetts wenden,
und die Brust zurükke halten, damit sie nicht nach vor-
ne zu herabweiche. Ausserdem heben wir die Schultern
mit der Brust in die Höhe, wir stellen sie, nebst dem
gestrekkten unbeweglichen Nakken, und dem zurükke gebog-
nen Kopfe, der Last entgegen.

Es ist ferner gewis, daß im fortgesezzten Einatmen
das Blut im Gehirne verhalten wird, daß es nicht wie-
der zurükke fliessen kann. Doch es kömmt das Blut im
Anstrengen nicht allein nicht vom Gehirne zurükke, son-
dern es wird noch eine Menge Bluts, mittelst der
Schlagadern, daselbst angehäust. Es machen nämlich
die sich bestrebende Muskeln des Bauches, daß sich das
vom untern Theile des Körpers, welcher nunmehr sehr
zusammengedrükkt ist, abwendet, davon fast ganz zu-
rükke gewiesen wird, und sich dagegen im Gehirne an-
häuft. Ob wir nun gleich noch nicht untersuchen, was
das Gehirn über die Muskeln vor eine Gewalt habe, so
wissen wir doch, und es weis es jedermann, daß, wenn
sich im Gehirne das Blut zu sehr anhäuft, wütende oder
rasende Personen alle Muskeln auf das kräftigste anstren-

gen

Das Atemholen. VIII. Buch.
blik ſchlaff, ſo bald wir das Zwerchfell nachlaſſen, und
den Atem herauslaſſen,

Wenn man uͤber dieſe Sache Betrachtungen anſtellt,
ſo ſcheint ſie mir mehr, als eine Urſache zu haben. Es
haben naͤmlich alle Muskeln am ganzen menſchlichen
Koͤrper, ihren Grund in der Bruſt, und dem in eins
fortgehenden Ruͤkkgrade. Damit demnach dieſe Muskeln
ihr voͤlliges Spiel haben moͤgen, ſo mus dieſer Ruͤkkgrad
ſehr feſte ſeyn, damit die ganze Kraft der Muskeln, des
Arms, der Schultern, oder andrer Glieder, wenn ſie ihre
Gliedmaßen gegen die Bruſt herbeiziehen, verzert werde,
und keine Kraft ſich verzehre, wenn die Bruſt gegen
die Glieder herbeigezogen wird. Dieſe Feſtigkeit aber
verſchaffen wir uns, wenn wir die Kraͤfte des Einatmens
anwenden, den Nakken und Kopf ruͤkkwetts wenden,
und die Bruſt zuruͤkke halten, damit ſie nicht nach vor-
ne zu herabweiche. Auſſerdem heben wir die Schultern
mit der Bruſt in die Hoͤhe, wir ſtellen ſie, nebſt dem
geſtrekkten unbeweglichen Nakken, und dem zuruͤkke gebog-
nen Kopfe, der Laſt entgegen.

Es iſt ferner gewis, daß im fortgeſezzten Einatmen
das Blut im Gehirne verhalten wird, daß es nicht wie-
der zuruͤkke flieſſen kann. Doch es koͤmmt das Blut im
Anſtrengen nicht allein nicht vom Gehirne zuruͤkke, ſon-
dern es wird noch eine Menge Bluts, mittelſt der
Schlagadern, daſelbſt angehaͤuſt. Es machen naͤmlich
die ſich beſtrebende Muskeln des Bauches, daß ſich das
vom untern Theile des Koͤrpers, welcher nunmehr ſehr
zuſammengedruͤkkt iſt, abwendet, davon faſt ganz zu-
ruͤkke gewieſen wird, und ſich dagegen im Gehirne an-
haͤuft. Ob wir nun gleich noch nicht unterſuchen, was
das Gehirn uͤber die Muskeln vor eine Gewalt habe, ſo
wiſſen wir doch, und es weis es jedermann, daß, wenn
ſich im Gehirne das Blut zu ſehr anhaͤuft, wuͤtende oder
raſende Perſonen alle Muskeln auf das kraͤftigſte anſtren-

gen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0474" n="468"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das Atemholen. <hi rendition="#aq">VIII.</hi> Buch.</hi></fw><lb/>
blik &#x017F;chlaff, &#x017F;o bald wir das Zwerchfell nachla&#x017F;&#x017F;en, und<lb/>
den Atem herausla&#x017F;&#x017F;en,</p><lb/>
            <p>Wenn man u&#x0364;ber die&#x017F;e Sache Betrachtungen an&#x017F;tellt,<lb/>
&#x017F;o &#x017F;cheint &#x017F;ie mir mehr, als eine Ur&#x017F;ache zu haben. Es<lb/>
haben na&#x0364;mlich alle Muskeln am ganzen men&#x017F;chlichen<lb/>
Ko&#x0364;rper, ihren Grund in der Bru&#x017F;t, und dem in eins<lb/>
fortgehenden Ru&#x0364;kkgrade. Damit demnach die&#x017F;e Muskeln<lb/>
ihr vo&#x0364;lliges Spiel haben mo&#x0364;gen, &#x017F;o mus die&#x017F;er Ru&#x0364;kkgrad<lb/>
&#x017F;ehr fe&#x017F;te &#x017F;eyn, damit die ganze Kraft der Muskeln, des<lb/>
Arms, der Schultern, oder andrer Glieder, wenn &#x017F;ie ihre<lb/>
Gliedmaßen gegen die Bru&#x017F;t herbeiziehen, verzert werde,<lb/>
und keine Kraft &#x017F;ich verzehre, wenn die Bru&#x017F;t gegen<lb/>
die Glieder herbeigezogen wird. Die&#x017F;e Fe&#x017F;tigkeit aber<lb/>
ver&#x017F;chaffen wir uns, wenn wir die Kra&#x0364;fte des Einatmens<lb/>
anwenden, den Nakken und Kopf ru&#x0364;kkwetts wenden,<lb/>
und die Bru&#x017F;t zuru&#x0364;kke halten, damit &#x017F;ie nicht nach vor-<lb/>
ne zu herabweiche. Au&#x017F;&#x017F;erdem heben wir die Schultern<lb/>
mit der Bru&#x017F;t in die Ho&#x0364;he, wir &#x017F;tellen &#x017F;ie, neb&#x017F;t dem<lb/>
ge&#x017F;trekkten unbeweglichen Nakken, und dem zuru&#x0364;kke gebog-<lb/>
nen Kopfe, der La&#x017F;t entgegen.</p><lb/>
            <p>Es i&#x017F;t ferner gewis, daß im fortge&#x017F;ezzten Einatmen<lb/>
das Blut im Gehirne verhalten wird, daß es nicht wie-<lb/>
der zuru&#x0364;kke flie&#x017F;&#x017F;en kann. Doch es ko&#x0364;mmt das Blut im<lb/>
An&#x017F;trengen nicht allein nicht vom Gehirne zuru&#x0364;kke, &#x017F;on-<lb/>
dern es wird noch eine Menge Bluts, mittel&#x017F;t der<lb/>
Schlagadern, da&#x017F;elb&#x017F;t angeha&#x0364;u&#x017F;t. Es machen na&#x0364;mlich<lb/>
die &#x017F;ich be&#x017F;trebende Muskeln des Bauches, daß &#x017F;ich das<lb/>
vom untern Theile des Ko&#x0364;rpers, welcher nunmehr &#x017F;ehr<lb/>
zu&#x017F;ammengedru&#x0364;kkt i&#x017F;t, abwendet, davon fa&#x017F;t ganz zu-<lb/>
ru&#x0364;kke gewie&#x017F;en wird, und &#x017F;ich dagegen im Gehirne an-<lb/>
ha&#x0364;uft. Ob wir nun gleich noch nicht unter&#x017F;uchen, was<lb/>
das Gehirn u&#x0364;ber die Muskeln vor eine Gewalt habe, &#x017F;o<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en wir doch, und es weis es jedermann, daß, wenn<lb/>
&#x017F;ich im Gehirne das Blut zu &#x017F;ehr anha&#x0364;uft, wu&#x0364;tende oder<lb/>
ra&#x017F;ende Per&#x017F;onen alle Muskeln auf das kra&#x0364;ftig&#x017F;te an&#x017F;tren-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gen</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[468/0474] Das Atemholen. VIII. Buch. blik ſchlaff, ſo bald wir das Zwerchfell nachlaſſen, und den Atem herauslaſſen, Wenn man uͤber dieſe Sache Betrachtungen anſtellt, ſo ſcheint ſie mir mehr, als eine Urſache zu haben. Es haben naͤmlich alle Muskeln am ganzen menſchlichen Koͤrper, ihren Grund in der Bruſt, und dem in eins fortgehenden Ruͤkkgrade. Damit demnach dieſe Muskeln ihr voͤlliges Spiel haben moͤgen, ſo mus dieſer Ruͤkkgrad ſehr feſte ſeyn, damit die ganze Kraft der Muskeln, des Arms, der Schultern, oder andrer Glieder, wenn ſie ihre Gliedmaßen gegen die Bruſt herbeiziehen, verzert werde, und keine Kraft ſich verzehre, wenn die Bruſt gegen die Glieder herbeigezogen wird. Dieſe Feſtigkeit aber verſchaffen wir uns, wenn wir die Kraͤfte des Einatmens anwenden, den Nakken und Kopf ruͤkkwetts wenden, und die Bruſt zuruͤkke halten, damit ſie nicht nach vor- ne zu herabweiche. Auſſerdem heben wir die Schultern mit der Bruſt in die Hoͤhe, wir ſtellen ſie, nebſt dem geſtrekkten unbeweglichen Nakken, und dem zuruͤkke gebog- nen Kopfe, der Laſt entgegen. Es iſt ferner gewis, daß im fortgeſezzten Einatmen das Blut im Gehirne verhalten wird, daß es nicht wie- der zuruͤkke flieſſen kann. Doch es koͤmmt das Blut im Anſtrengen nicht allein nicht vom Gehirne zuruͤkke, ſon- dern es wird noch eine Menge Bluts, mittelſt der Schlagadern, daſelbſt angehaͤuſt. Es machen naͤmlich die ſich beſtrebende Muskeln des Bauches, daß ſich das vom untern Theile des Koͤrpers, welcher nunmehr ſehr zuſammengedruͤkkt iſt, abwendet, davon faſt ganz zu- ruͤkke gewieſen wird, und ſich dagegen im Gehirne an- haͤuft. Ob wir nun gleich noch nicht unterſuchen, was das Gehirn uͤber die Muskeln vor eine Gewalt habe, ſo wiſſen wir doch, und es weis es jedermann, daß, wenn ſich im Gehirne das Blut zu ſehr anhaͤuft, wuͤtende oder raſende Perſonen alle Muskeln auf das kraͤftigſte anſtren- gen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende03_1766
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende03_1766/474
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 3. Berlin, 1766, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende03_1766/474>, abgerufen am 05.05.2024.