Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Wille. XVII. Buch.
ben, wenn sie ihren Körper bildet, daß sie ohngefehr ih-
res gleichen erbaut, und daß sie ein Gesicht eines unver-
nünftigen Thieres modeln würde, wenn sie dumm wäre.

§. 10.
Die Erregung der Affekten.

Dem Menschen ist eine Leichtigkeit oder Neigung zu
Nachahmungen angebohren, die ohne Zweifel aus der
Zueignung der Jdeen entsteht. Gähnt jemand, so gäh-
net, wie ganz bekannt ist, der ganze Haufe der Gesell-
schaft mit. Menschen, sonderlich wenn sie jung und zärt-
lich sind, weinen, wenn sie andre weinen sehen (i). Se-
nak
hat von der blossen Erzählung eines schauderden
Dinges Krämpfe (k), Ohnmachten, und den Tod selbst
beobachtet (l). Ja man weis, daß auf den Anblikk der
Krämpfe, und der Epilepsie ähnliche (l*) Uebel (l**)
erfolgt sind.

Es ist dieses der Grund, Affekten durch das Lesen,
durch die Musik, und selbst durch die Geberden zu er-
wekken; denn es hat Quintilian Komödianten, wenn
sie Trauerspiele vorgestellt, weinend den Schauplazz ver-
lassen gesehen. Ein Tragödienspieler starb auf der Schau-
bühne (m).

Daher kömmt es, daß die Muskel in Erwekkung
und Besänftigung der Leidenschaften eine grosse Gewalt
hat. Sie erinnert uns an diejenigen Personen, deren
Karakter man mit der Stimme oder dem Jnstrumente
vorstellt (n).

Drit-
(i) [Spaltenumbruch] BOERHAAVE morb. nerv,
T. II. p.
512.
(k) KLOEKHOF morb. anim.
p.
55. von Einbildung.
(l) T. II pag. 464. Blut ange-
häuft in den Herzgefässen.
(l*) [Spaltenumbruch] RIVIN. imagin. vir. med.
(l**) HILD. L. III. obs. 8.
(m) KLOEKHOF morb. anim.
p. 55. KAUW impet. fac. n.
406.
(n) L. XV. p. 304. 305.

Der Wille. XVII. Buch.
ben, wenn ſie ihren Koͤrper bildet, daß ſie ohngefehr ih-
res gleichen erbaut, und daß ſie ein Geſicht eines unver-
nuͤnftigen Thieres modeln wuͤrde, wenn ſie dumm waͤre.

§. 10.
Die Erregung der Affekten.

Dem Menſchen iſt eine Leichtigkeit oder Neigung zu
Nachahmungen angebohren, die ohne Zweifel aus der
Zueignung der Jdeen entſteht. Gaͤhnt jemand, ſo gaͤh-
net, wie ganz bekannt iſt, der ganze Haufe der Geſell-
ſchaft mit. Menſchen, ſonderlich wenn ſie jung und zaͤrt-
lich ſind, weinen, wenn ſie andre weinen ſehen (i). Se-
nak
hat von der bloſſen Erzaͤhlung eines ſchauderden
Dinges Kraͤmpfe (k), Ohnmachten, und den Tod ſelbſt
beobachtet (l). Ja man weis, daß auf den Anblikk der
Kraͤmpfe, und der Epilepſie aͤhnliche (l*) Uebel (l**)
erfolgt ſind.

Es iſt dieſes der Grund, Affekten durch das Leſen,
durch die Muſik, und ſelbſt durch die Geberden zu er-
wekken; denn es hat Quintilian Komoͤdianten, wenn
ſie Trauerſpiele vorgeſtellt, weinend den Schauplazz ver-
laſſen geſehen. Ein Tragoͤdienſpieler ſtarb auf der Schau-
buͤhne (m).

Daher koͤmmt es, daß die Muſkel in Erwekkung
und Beſaͤnftigung der Leidenſchaften eine groſſe Gewalt
hat. Sie erinnert uns an diejenigen Perſonen, deren
Karakter man mit der Stimme oder dem Jnſtrumente
vorſtellt (n).

Drit-
(i) [Spaltenumbruch] BOERHAAVE morb. nerv,
T. II. p.
512.
(k) KLOEKHOF morb. anim.
p.
55. von Einbildung.
(l) T. II pag. 464. Blut ange-
haͤuft in den Herzgefaͤſſen.
(l*) [Spaltenumbruch] RIVIN. imagin. vir. med.
(l**) HILD. L. III. obſ. 8.
(m) KLOEKHOF morb. anim.
p. 55. KAUW impet. fac. n.
406.
(n) L. XV. p. 304. 305.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f1154" n="1136"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Der Wille. <hi rendition="#aq">XVII.</hi> Buch.</hi></fw><lb/>
ben, wenn &#x017F;ie ihren Ko&#x0364;rper bildet, daß &#x017F;ie ohngefehr ih-<lb/>
res gleichen erbaut, und daß &#x017F;ie ein Ge&#x017F;icht eines unver-<lb/>
nu&#x0364;nftigen Thieres modeln wu&#x0364;rde, wenn &#x017F;ie dumm wa&#x0364;re.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 10.<lb/>
Die Erregung der Affekten.</head><lb/>
            <p>Dem Men&#x017F;chen i&#x017F;t eine Leichtigkeit oder Neigung zu<lb/>
Nachahmungen angebohren, die ohne Zweifel aus der<lb/>
Zueignung der Jdeen ent&#x017F;teht. Ga&#x0364;hnt jemand, &#x017F;o ga&#x0364;h-<lb/>
net, wie ganz bekannt i&#x017F;t, der ganze Haufe der Ge&#x017F;ell-<lb/>
&#x017F;chaft mit. Men&#x017F;chen, &#x017F;onderlich wenn &#x017F;ie jung und za&#x0364;rt-<lb/>
lich &#x017F;ind, weinen, wenn &#x017F;ie andre weinen &#x017F;ehen <note place="foot" n="(i)"><cb/><hi rendition="#aq">BOERHAAVE morb. nerv,<lb/>
T. II. p.</hi> 512.</note>. <hi rendition="#fr">Se-<lb/>
nak</hi> hat von der blo&#x017F;&#x017F;en Erza&#x0364;hlung eines &#x017F;chauderden<lb/>
Dinges Kra&#x0364;mpfe <note place="foot" n="(k)"><hi rendition="#aq">KLOEKHOF morb. anim.<lb/>
p.</hi> 55. von Einbildung.</note>, Ohnmachten, und den Tod &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
beobachtet <note place="foot" n="(l)"><hi rendition="#aq">T. II pag.</hi> 464. Blut ange-<lb/>
ha&#x0364;uft in den Herzgefa&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.</note>. Ja man weis, daß auf den Anblikk der<lb/>
Kra&#x0364;mpfe, und der Epilep&#x017F;ie a&#x0364;hnliche <note place="foot" n="(l*)"><cb/><hi rendition="#aq">RIVIN. imagin. vir. med.</hi></note> Uebel <note place="foot" n="(l**)"><hi rendition="#aq">HILD. L. III. ob&#x017F;.</hi> 8.</note><lb/>
erfolgt &#x017F;ind.</p><lb/>
            <p>Es i&#x017F;t die&#x017F;es der Grund, Affekten durch das Le&#x017F;en,<lb/>
durch die Mu&#x017F;ik, und &#x017F;elb&#x017F;t durch die Geberden zu er-<lb/>
wekken; denn es hat <hi rendition="#fr">Quintilian</hi> Komo&#x0364;dianten, wenn<lb/>
&#x017F;ie Trauer&#x017F;piele vorge&#x017F;tellt, weinend den Schauplazz ver-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en ge&#x017F;ehen. Ein Trago&#x0364;dien&#x017F;pieler &#x017F;tarb auf der Schau-<lb/>
bu&#x0364;hne <note place="foot" n="(m)"><hi rendition="#aq">KLOEKHOF morb. anim.<lb/>
p. 55. KAUW impet. fac. n.</hi> 406.</note>.</p><lb/>
            <p>Daher ko&#x0364;mmt es, daß die Mu&#x017F;kel in Erwekkung<lb/>
und Be&#x017F;a&#x0364;nftigung der Leiden&#x017F;chaften eine gro&#x017F;&#x017F;e Gewalt<lb/>
hat. Sie erinnert uns an diejenigen Per&#x017F;onen, deren<lb/>
Karakter man mit der Stimme oder dem Jn&#x017F;trumente<lb/>
vor&#x017F;tellt <note place="foot" n="(n)"><hi rendition="#aq">L. XV. p.</hi> 304. 305.</note>.</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">Drit-</hi> </fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1136/1154] Der Wille. XVII. Buch. ben, wenn ſie ihren Koͤrper bildet, daß ſie ohngefehr ih- res gleichen erbaut, und daß ſie ein Geſicht eines unver- nuͤnftigen Thieres modeln wuͤrde, wenn ſie dumm waͤre. §. 10. Die Erregung der Affekten. Dem Menſchen iſt eine Leichtigkeit oder Neigung zu Nachahmungen angebohren, die ohne Zweifel aus der Zueignung der Jdeen entſteht. Gaͤhnt jemand, ſo gaͤh- net, wie ganz bekannt iſt, der ganze Haufe der Geſell- ſchaft mit. Menſchen, ſonderlich wenn ſie jung und zaͤrt- lich ſind, weinen, wenn ſie andre weinen ſehen (i). Se- nak hat von der bloſſen Erzaͤhlung eines ſchauderden Dinges Kraͤmpfe (k), Ohnmachten, und den Tod ſelbſt beobachtet (l). Ja man weis, daß auf den Anblikk der Kraͤmpfe, und der Epilepſie aͤhnliche (l*) Uebel (l**) erfolgt ſind. Es iſt dieſes der Grund, Affekten durch das Leſen, durch die Muſik, und ſelbſt durch die Geberden zu er- wekken; denn es hat Quintilian Komoͤdianten, wenn ſie Trauerſpiele vorgeſtellt, weinend den Schauplazz ver- laſſen geſehen. Ein Tragoͤdienſpieler ſtarb auf der Schau- buͤhne (m). Daher koͤmmt es, daß die Muſkel in Erwekkung und Beſaͤnftigung der Leidenſchaften eine groſſe Gewalt hat. Sie erinnert uns an diejenigen Perſonen, deren Karakter man mit der Stimme oder dem Jnſtrumente vorſtellt (n). Drit- (i) BOERHAAVE morb. nerv, T. II. p. 512. (k) KLOEKHOF morb. anim. p. 55. von Einbildung. (l) T. II pag. 464. Blut ange- haͤuft in den Herzgefaͤſſen. (l*) RIVIN. imagin. vir. med. (l**) HILD. L. III. obſ. 8. (m) KLOEKHOF morb. anim. p. 55. KAUW impet. fac. n. 406. (n) L. XV. p. 304. 305.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1154
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1154>, abgerufen am 28.04.2024.