Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Schlaf. XVII. Buch.
heftigen Umlauf gerathen, gleichsam ein kleines Fieber (q),
es schmerzen die ermüdete Muskeln, und besonders ermat-
ten die langen. Hierauf äussert sich eine unangenehme
Betäubung an den Knieen. Dazwischen nöthigt uns die
Natur einmal über das andere zu gähnen, es schlägt der
Puls langsamer (r) und schwächer, und bleibt in Kindern
aus (s). Hierauf werden die Geschäfte des Kopfes hin-
fällig, es vergeht die Wißbegierde, die Sorge verläßt uns,
wir sind nicht mehr zu denken aufgelegt, und Leib und
Seele fühlen eine Neigung zur Ruhe. Es werden die
Eindrükke aller äusserlichen Sinne matt, die Augen sehen
und lesen nicht wohl, und die Seele stellt sich, die vom
Gedächtnisse entspringende Empfindungen, weder mit ei-
niger Lebhaftigkeit, noch ordentlich mehr vor. Hingegen
läst sich ein sanfter Zug, der unwiderstehlich ist, zum
Schlafe verspühren, wobei an der zusammenfügenden
Haut der Augenlieder, nicht weit vom grossen Winkel
einiges Brennen vermerkt wird; man kann die Augen
nicht mehr mit Bequemlichkeit offen halten (t), sie schlies-
sen sich wider unsern Willen, und es verbirgt sich die in
die Höhe gezogne Pupille (u). Zugleicher Zeit sinkt der
Kopf vorwerts nieder, er nikkt einmal über das andere,
der Kinnbakken öffnet sich, und es würde der ganze Kör-
per fallen, wenn man stehen bleiben wollte. Jndessen
wacht und lauscht noch lange Zeit das Ohr (x), man
hört die Stimme der nahe stehenden Personen, man ver-
steht sie, wenn bereits die Kraft der Augen gleichsam
gebrochen ist. Und nunmehr trennen sich die Jdeen von
einander, die Seele phantasirt einiger maassen, und es
sind alsdann die innerlichen Empfindungen, die das Ge-

dächt-
(q) [Spaltenumbruch] pag. 598.
(r) TRALLES de opio pag. 250.
STRUTHIUS ars sphygmic. p. 200.
STEMZEL peri hipnos Conf.
GORTER Exerc. de somn. vigil.
tot. PUSCHER de pervigil.
(s) BAGLIO prax L. I. p. 73.
(t) [Spaltenumbruch] Die kleinen Muskeln schla-
fen erst ein. SUPPRIAN pag. 41.
als der levat. palpeb.
(u) PARSONS p. 16.
(x) Diesen Zustand unterschei-
det er vom Schlafe, nennt ihn
Schlummer Cl. MEYER Nacht-
wandler.

Der Schlaf. XVII. Buch.
heftigen Umlauf gerathen, gleichſam ein kleines Fieber (q),
es ſchmerzen die ermuͤdete Muſkeln, und beſonders ermat-
ten die langen. Hierauf aͤuſſert ſich eine unangenehme
Betaͤubung an den Knieen. Dazwiſchen noͤthigt uns die
Natur einmal uͤber das andere zu gaͤhnen, es ſchlaͤgt der
Puls langſamer (r) und ſchwaͤcher, und bleibt in Kindern
aus (s). Hierauf werden die Geſchaͤfte des Kopfes hin-
faͤllig, es vergeht die Wißbegierde, die Sorge verlaͤßt uns,
wir ſind nicht mehr zu denken aufgelegt, und Leib und
Seele fuͤhlen eine Neigung zur Ruhe. Es werden die
Eindruͤkke aller aͤuſſerlichen Sinne matt, die Augen ſehen
und leſen nicht wohl, und die Seele ſtellt ſich, die vom
Gedaͤchtniſſe entſpringende Empfindungen, weder mit ei-
niger Lebhaftigkeit, noch ordentlich mehr vor. Hingegen
laͤſt ſich ein ſanfter Zug, der unwiderſtehlich iſt, zum
Schlafe verſpuͤhren, wobei an der zuſammenfuͤgenden
Haut der Augenlieder, nicht weit vom groſſen Winkel
einiges Brennen vermerkt wird; man kann die Augen
nicht mehr mit Bequemlichkeit offen halten (t), ſie ſchlieſ-
ſen ſich wider unſern Willen, und es verbirgt ſich die in
die Hoͤhe gezogne Pupille (u). Zugleicher Zeit ſinkt der
Kopf vorwerts nieder, er nikkt einmal uͤber das andere,
der Kinnbakken oͤffnet ſich, und es wuͤrde der ganze Koͤr-
per fallen, wenn man ſtehen bleiben wollte. Jndeſſen
wacht und lauſcht noch lange Zeit das Ohr (x), man
hoͤrt die Stimme der nahe ſtehenden Perſonen, man ver-
ſteht ſie, wenn bereits die Kraft der Augen gleichſam
gebrochen iſt. Und nunmehr trennen ſich die Jdeen von
einander, die Seele phantaſirt einiger maaſſen, und es
ſind alsdann die innerlichen Empfindungen, die das Ge-

daͤcht-
(q) [Spaltenumbruch] pag. 598.
(r) TRALLES de opio pag. 250.
STRUTHIUS ars ſphygmic. p. 200.
STEMZEL peri hipnos Conf.
GORTER Exerc. de ſomn. vigil.
tot. PUSCHER de pervigil.
(s) BAGLIO prax L. I. p. 73.
(t) [Spaltenumbruch] Die kleinen Muſkeln ſchla-
fen erſt ein. SUPPRIAN pag. 41.
als der levat. palpeb.
(u) PARSONS p. 16.
(x) Dieſen Zuſtand unterſchei-
det er vom Schlafe, nennt ihn
Schlummer Cl. MEYER Nacht-
wandler.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f1158" n="1140"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Der Schlaf. <hi rendition="#aq">XVII.</hi> Buch.</hi></fw><lb/>
heftigen Umlauf gerathen, gleich&#x017F;am ein kleines Fieber <note place="foot" n="(q)"><cb/><hi rendition="#aq">pag.</hi> 598.</note>,<lb/>
es &#x017F;chmerzen die ermu&#x0364;dete Mu&#x017F;keln, und be&#x017F;onders ermat-<lb/>
ten die langen. Hierauf a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ert &#x017F;ich eine unangenehme<lb/>
Beta&#x0364;ubung an den Knieen. Dazwi&#x017F;chen no&#x0364;thigt uns die<lb/>
Natur einmal u&#x0364;ber das andere zu ga&#x0364;hnen, es &#x017F;chla&#x0364;gt der<lb/>
Puls lang&#x017F;amer <note place="foot" n="(r)"><hi rendition="#aq">TRALLES de opio pag. 250.<lb/>
STRUTHIUS ars &#x017F;phygmic. p. 200.<lb/><hi rendition="#g">STEMZEL</hi> peri hipnos Conf.<lb/>
GORTER Exerc. de &#x017F;omn. vigil.<lb/>
tot. PUSCHER de pervigil.</hi></note> und &#x017F;chwa&#x0364;cher, und bleibt in Kindern<lb/>
aus <note place="foot" n="(s)"><hi rendition="#aq">BAGLIO prax L. I. p.</hi> 73.</note>. Hierauf werden die Ge&#x017F;cha&#x0364;fte des Kopfes hin-<lb/>
fa&#x0364;llig, es vergeht die Wißbegierde, die Sorge verla&#x0364;ßt uns,<lb/>
wir &#x017F;ind nicht mehr zu denken aufgelegt, und Leib und<lb/>
Seele fu&#x0364;hlen eine Neigung zur Ruhe. Es werden die<lb/>
Eindru&#x0364;kke aller a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erlichen Sinne matt, die Augen &#x017F;ehen<lb/>
und le&#x017F;en nicht wohl, und die Seele &#x017F;tellt &#x017F;ich, die vom<lb/>
Geda&#x0364;chtni&#x017F;&#x017F;e ent&#x017F;pringende Empfindungen, weder mit ei-<lb/>
niger Lebhaftigkeit, noch ordentlich mehr vor. Hingegen<lb/>
la&#x0364;&#x017F;t &#x017F;ich ein &#x017F;anfter Zug, der unwider&#x017F;tehlich i&#x017F;t, zum<lb/>
Schlafe ver&#x017F;pu&#x0364;hren, wobei an der zu&#x017F;ammenfu&#x0364;genden<lb/>
Haut der Augenlieder, nicht weit vom gro&#x017F;&#x017F;en Winkel<lb/>
einiges Brennen vermerkt wird; man kann die Augen<lb/>
nicht mehr mit Bequemlichkeit offen halten <note place="foot" n="(t)"><cb/>
Die kleinen Mu&#x017F;keln &#x017F;chla-<lb/>
fen er&#x017F;t ein. <hi rendition="#aq">SUPPRIAN pag.</hi> 41.<lb/>
als der <hi rendition="#aq">levat. palpeb.</hi></note>, &#x017F;ie &#x017F;chlie&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en &#x017F;ich wider un&#x017F;ern Willen, und es verbirgt &#x017F;ich die in<lb/>
die Ho&#x0364;he gezogne Pupille <note place="foot" n="(u)"><hi rendition="#aq">PARSONS p.</hi> 16.</note>. Zugleicher Zeit &#x017F;inkt der<lb/>
Kopf vorwerts nieder, er nikkt einmal u&#x0364;ber das andere,<lb/>
der Kinnbakken o&#x0364;ffnet &#x017F;ich, und es wu&#x0364;rde der ganze Ko&#x0364;r-<lb/>
per fallen, wenn man &#x017F;tehen bleiben wollte. Jnde&#x017F;&#x017F;en<lb/>
wacht und lau&#x017F;cht noch lange Zeit das Ohr <note place="foot" n="(x)">Die&#x017F;en Zu&#x017F;tand unter&#x017F;chei-<lb/>
det er vom Schlafe, nennt ihn<lb/>
Schlummer <hi rendition="#aq">Cl. MEYER Nacht-<lb/>
wandler.</hi></note>, man<lb/>
ho&#x0364;rt die Stimme der nahe &#x017F;tehenden Per&#x017F;onen, man ver-<lb/>
&#x017F;teht &#x017F;ie, wenn bereits die Kraft der Augen gleich&#x017F;am<lb/>
gebrochen i&#x017F;t. Und nunmehr trennen &#x017F;ich die Jdeen von<lb/>
einander, die Seele phanta&#x017F;irt einiger maa&#x017F;&#x017F;en, und es<lb/>
&#x017F;ind alsdann die innerlichen Empfindungen, die das Ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">da&#x0364;cht-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1140/1158] Der Schlaf. XVII. Buch. heftigen Umlauf gerathen, gleichſam ein kleines Fieber (q), es ſchmerzen die ermuͤdete Muſkeln, und beſonders ermat- ten die langen. Hierauf aͤuſſert ſich eine unangenehme Betaͤubung an den Knieen. Dazwiſchen noͤthigt uns die Natur einmal uͤber das andere zu gaͤhnen, es ſchlaͤgt der Puls langſamer (r) und ſchwaͤcher, und bleibt in Kindern aus (s). Hierauf werden die Geſchaͤfte des Kopfes hin- faͤllig, es vergeht die Wißbegierde, die Sorge verlaͤßt uns, wir ſind nicht mehr zu denken aufgelegt, und Leib und Seele fuͤhlen eine Neigung zur Ruhe. Es werden die Eindruͤkke aller aͤuſſerlichen Sinne matt, die Augen ſehen und leſen nicht wohl, und die Seele ſtellt ſich, die vom Gedaͤchtniſſe entſpringende Empfindungen, weder mit ei- niger Lebhaftigkeit, noch ordentlich mehr vor. Hingegen laͤſt ſich ein ſanfter Zug, der unwiderſtehlich iſt, zum Schlafe verſpuͤhren, wobei an der zuſammenfuͤgenden Haut der Augenlieder, nicht weit vom groſſen Winkel einiges Brennen vermerkt wird; man kann die Augen nicht mehr mit Bequemlichkeit offen halten (t), ſie ſchlieſ- ſen ſich wider unſern Willen, und es verbirgt ſich die in die Hoͤhe gezogne Pupille (u). Zugleicher Zeit ſinkt der Kopf vorwerts nieder, er nikkt einmal uͤber das andere, der Kinnbakken oͤffnet ſich, und es wuͤrde der ganze Koͤr- per fallen, wenn man ſtehen bleiben wollte. Jndeſſen wacht und lauſcht noch lange Zeit das Ohr (x), man hoͤrt die Stimme der nahe ſtehenden Perſonen, man ver- ſteht ſie, wenn bereits die Kraft der Augen gleichſam gebrochen iſt. Und nunmehr trennen ſich die Jdeen von einander, die Seele phantaſirt einiger maaſſen, und es ſind alsdann die innerlichen Empfindungen, die das Ge- daͤcht- (q) pag. 598. (r) TRALLES de opio pag. 250. STRUTHIUS ars ſphygmic. p. 200. STEMZEL peri hipnos Conf. GORTER Exerc. de ſomn. vigil. tot. PUSCHER de pervigil. (s) BAGLIO prax L. I. p. 73. (t) Die kleinen Muſkeln ſchla- fen erſt ein. SUPPRIAN pag. 41. als der levat. palpeb. (u) PARSONS p. 16. (x) Dieſen Zuſtand unterſchei- det er vom Schlafe, nennt ihn Schlummer Cl. MEYER Nacht- wandler.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1158
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1158>, abgerufen am 29.04.2024.