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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

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III. Abschnitt. Ursachen.
sammen zieht, so müsse derselbe kürzer werden (h). Nach
meiner Einsicht, scheint das natürliche Berüren, welches
von dem Leime verrichtet wird, der sich gleich zur Kürze
und runden Figur bequemt, am allereinfachsten zu sein.
Von diesem Bande werden die beugsamen Erdtheilgen
veranlasset, sich einander näher zu berüren, doch ich ver-
lange so wenig, für diese Meinung zu streiten, als jeman-
den zu beunruhigen, welcher anders denket.

Ob ich aber gleich gestehen mus, daß ich für entfernte
Ursachen wenig neugierig bin, so kann ich doch die Frage
überhaupt von der besondren Stelle dieser Gewalt, und
von ihrer nächsten Ursache, nicht vorbei gehen.

Da diese Kraft beständig, und zwar in nicht wenig
Muskeln wirksam ist (i), selbst wenn kein bekannter Reiz
zugegen ist, so frägt es sich, wenn man den Reiz bei Seite
sezzt, woher sie thätig gemacht werde. Es scheinet aber in
den Gegenmuskeln (k), die sich mit ihrem Zusammenzie-
hen einander die Waage halten, im leeren Herzen (l), das
bisweilen auch ohne Blut wieder zu schlagen anfängt, in
dem aufgehängten Fleische todter Thiere (m), welches sich
selbst überlassen wird, in dem ruhigen Gedärme sterbender
Thiere (n), welches oft schnell eine heftige peristaltische
Schlängelung bekömmt, ganz und gar kein Reiz anzu-
treffen zu sein.

Jch verlange nicht, mich der Versuche zu bedienen,
wodurch ich diese, ohne allen Reiz hervorgebrachte Thä-
tigkeit verwerflich machen könnte (n*). Jch gestehe
viel lieber, wie es mir vorkomme, daß den Muskeln eine
immerwärende Kraft anerschaffen sei (n**), wodurch sie

ge-
(h) [Spaltenumbruch] KRAUSE in le CATT.
pag.
48.
(i) pag. 447.
(k) ibid.
(l) L. IV. pag. 490.
(m) L. IX. pag. 446.
(n) [Spaltenumbruch] Ibid. Ohne alle äusserliche
Ursache. BIKKER p. 48.
(n*) CALDANI Lettr. L.
pag.
134 - - 137.
(n**) pag. 447.

III. Abſchnitt. Urſachen.
ſammen zieht, ſo muͤſſe derſelbe kuͤrzer werden (h). Nach
meiner Einſicht, ſcheint das natuͤrliche Beruͤren, welches
von dem Leime verrichtet wird, der ſich gleich zur Kuͤrze
und runden Figur bequemt, am allereinfachſten zu ſein.
Von dieſem Bande werden die beugſamen Erdtheilgen
veranlaſſet, ſich einander naͤher zu beruͤren, doch ich ver-
lange ſo wenig, fuͤr dieſe Meinung zu ſtreiten, als jeman-
den zu beunruhigen, welcher anders denket.

Ob ich aber gleich geſtehen mus, daß ich fuͤr entfernte
Urſachen wenig neugierig bin, ſo kann ich doch die Frage
uͤberhaupt von der beſondren Stelle dieſer Gewalt, und
von ihrer naͤchſten Urſache, nicht vorbei gehen.

Da dieſe Kraft beſtaͤndig, und zwar in nicht wenig
Muſkeln wirkſam iſt (i), ſelbſt wenn kein bekannter Reiz
zugegen iſt, ſo fraͤgt es ſich, wenn man den Reiz bei Seite
ſezzt, woher ſie thaͤtig gemacht werde. Es ſcheinet aber in
den Gegenmuſkeln (k), die ſich mit ihrem Zuſammenzie-
hen einander die Waage halten, im leeren Herzen (l), das
bisweilen auch ohne Blut wieder zu ſchlagen anfaͤngt, in
dem aufgehaͤngten Fleiſche todter Thiere (m), welches ſich
ſelbſt uͤberlaſſen wird, in dem ruhigen Gedaͤrme ſterbender
Thiere (n), welches oft ſchnell eine heftige periſtaltiſche
Schlaͤngelung bekoͤmmt, ganz und gar kein Reiz anzu-
treffen zu ſein.

Jch verlange nicht, mich der Verſuche zu bedienen,
wodurch ich dieſe, ohne allen Reiz hervorgebrachte Thaͤ-
tigkeit verwerflich machen koͤnnte (n*). Jch geſtehe
viel lieber, wie es mir vorkomme, daß den Muſkeln eine
immerwaͤrende Kraft anerſchaffen ſei (n**), wodurch ſie

ge-
(h) [Spaltenumbruch] KRAUSE in le CATT.
pag.
48.
(i) pag. 447.
(k) ibid.
(l) L. IV. pag. 490.
(m) L. IX. pag. 446.
(n) [Spaltenumbruch] Ibid. Ohne alle aͤuſſerliche
Urſache. BIKKER p. 48.
(n*) CALDANI Lettr. L.
pag.
134 - - 137.
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[123/0141] III. Abſchnitt. Urſachen. ſammen zieht, ſo muͤſſe derſelbe kuͤrzer werden (h). Nach meiner Einſicht, ſcheint das natuͤrliche Beruͤren, welches von dem Leime verrichtet wird, der ſich gleich zur Kuͤrze und runden Figur bequemt, am allereinfachſten zu ſein. Von dieſem Bande werden die beugſamen Erdtheilgen veranlaſſet, ſich einander naͤher zu beruͤren, doch ich ver- lange ſo wenig, fuͤr dieſe Meinung zu ſtreiten, als jeman- den zu beunruhigen, welcher anders denket. Ob ich aber gleich geſtehen mus, daß ich fuͤr entfernte Urſachen wenig neugierig bin, ſo kann ich doch die Frage uͤberhaupt von der beſondren Stelle dieſer Gewalt, und von ihrer naͤchſten Urſache, nicht vorbei gehen. Da dieſe Kraft beſtaͤndig, und zwar in nicht wenig Muſkeln wirkſam iſt (i), ſelbſt wenn kein bekannter Reiz zugegen iſt, ſo fraͤgt es ſich, wenn man den Reiz bei Seite ſezzt, woher ſie thaͤtig gemacht werde. Es ſcheinet aber in den Gegenmuſkeln (k), die ſich mit ihrem Zuſammenzie- hen einander die Waage halten, im leeren Herzen (l), das bisweilen auch ohne Blut wieder zu ſchlagen anfaͤngt, in dem aufgehaͤngten Fleiſche todter Thiere (m), welches ſich ſelbſt uͤberlaſſen wird, in dem ruhigen Gedaͤrme ſterbender Thiere (n), welches oft ſchnell eine heftige periſtaltiſche Schlaͤngelung bekoͤmmt, ganz und gar kein Reiz anzu- treffen zu ſein. Jch verlange nicht, mich der Verſuche zu bedienen, wodurch ich dieſe, ohne allen Reiz hervorgebrachte Thaͤ- tigkeit verwerflich machen koͤnnte (n*). Jch geſtehe viel lieber, wie es mir vorkomme, daß den Muſkeln eine immerwaͤrende Kraft anerſchaffen ſei (n**), wodurch ſie ge- (h) KRAUSE in le CATT. pag. 48. (i) pag. 447. (k) ibid. (l) L. IV. pag. 490. (m) L. IX. pag. 446. (n) Ibid. Ohne alle aͤuſſerliche Urſache. BIKKER p. 48. (n*) CALDANI Lettr. L. pag. 134 - - 137. (n**) pag. 447.

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/141>, abgerufen am 29.04.2024.