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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

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III. Abschnitt. Ursachen.
Kraft auch alsdenn noch wonen sollte, wenn die Nerven-
kraft in Ruhe ist. Doch ist der Unterscheid zwischen bei-
den nicht nur wirklich, sondern er hat auch in der That
viel zu bedeuten.

Es wonet die angeborne Kraft im Herzen, im Ge-
därme, im Schlunde, Magen, in der Harnblase, in den
waren Ausstrekkern der männlichen oder weiblichen Ruthe,
in den grossen Schlag- und Blutadern, in den undeut-
lichen Muskeln der kleinsten Schliesmuskeln, welche sich
um die Milchgefässe, und die wieder einsaugende Gefässe
der Haut herumlegen.

Jn diesen Muskeln bleibt auch, ohne alle Nerven,
und wenn selbige zerstört, und die Muskeln losgerissen
worden (s), dennoch eine Bewegung, und ein Trieb, dem
Reize zu gehorchen, noch übrig (t).

Wenn die Kraft diesen Werkzeugen angeboren ist,
warum bekommen sie Nerven? Wenn diese nicht den
Befel der Seele ausrichten, was thun sie denn anders?
Sie theilen die Empfindung mit, denn diese ist ohne Ner-
ven unbegreiflich (u). Sie bringen auch vom Gehirne
wirksame Befele; keine Vorschriften des Willens, sondern
Gesezze zu uns, die dem belebten Körper vorgeschrieben
sind, und welche wollen, daß bei gewissen Reizen gewisse
Bewegungen entstehen sollen. Es empfangen die Strekk-
muskeln der männlichen Ruthe, nämlich die waren, von
den Nerven diejenige Kraft, womit sie die Ruthe aus-
einander dehnen, und es hängt diese Kraft nicht vom
Willen ab, da sie von der Seele weder verursacht noch
zerstört werden kann, sondern es rühret selbige vom Ge-
hirn, bei lustigen Bildern und wollüstigen Vorstellungen
her. Sie sezzen das Herz im Zorn in Feuer, und machen
ein Herzklopfen, nicht, weil es der Wille so haben will,

son-
(s) [Spaltenumbruch] pag. 451. 452.
(t) Ibid.
(u) [Spaltenumbruch] L. X. pag 296. seqq.

III. Abſchnitt. Urſachen.
Kraft auch alsdenn noch wonen ſollte, wenn die Nerven-
kraft in Ruhe iſt. Doch iſt der Unterſcheid zwiſchen bei-
den nicht nur wirklich, ſondern er hat auch in der That
viel zu bedeuten.

Es wonet die angeborne Kraft im Herzen, im Ge-
daͤrme, im Schlunde, Magen, in der Harnblaſe, in den
waren Ausſtrekkern der maͤnnlichen oder weiblichen Ruthe,
in den groſſen Schlag- und Blutadern, in den undeut-
lichen Muſkeln der kleinſten Schliesmuſkeln, welche ſich
um die Milchgefaͤſſe, und die wieder einſaugende Gefaͤſſe
der Haut herumlegen.

Jn dieſen Muſkeln bleibt auch, ohne alle Nerven,
und wenn ſelbige zerſtoͤrt, und die Muſkeln losgeriſſen
worden (s), dennoch eine Bewegung, und ein Trieb, dem
Reize zu gehorchen, noch uͤbrig (t).

Wenn die Kraft dieſen Werkzeugen angeboren iſt,
warum bekommen ſie Nerven? Wenn dieſe nicht den
Befel der Seele ausrichten, was thun ſie denn anders?
Sie theilen die Empfindung mit, denn dieſe iſt ohne Ner-
ven unbegreiflich (u). Sie bringen auch vom Gehirne
wirkſame Befele; keine Vorſchriften des Willens, ſondern
Geſezze zu uns, die dem belebten Koͤrper vorgeſchrieben
ſind, und welche wollen, daß bei gewiſſen Reizen gewiſſe
Bewegungen entſtehen ſollen. Es empfangen die Strekk-
muſkeln der maͤnnlichen Ruthe, naͤmlich die waren, von
den Nerven diejenige Kraft, womit ſie die Ruthe aus-
einander dehnen, und es haͤngt dieſe Kraft nicht vom
Willen ab, da ſie von der Seele weder verurſacht noch
zerſtoͤrt werden kann, ſondern es ruͤhret ſelbige vom Ge-
hirn, bei luſtigen Bildern und wolluͤſtigen Vorſtellungen
her. Sie ſezzen das Herz im Zorn in Feuer, und machen
ein Herzklopfen, nicht, weil es der Wille ſo haben will,

ſon-
(s) [Spaltenumbruch] pag. 451. 452.
(t) Ibid.
(u) [Spaltenumbruch] L. X. pag 296. ſeqq.
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[125/0143] III. Abſchnitt. Urſachen. Kraft auch alsdenn noch wonen ſollte, wenn die Nerven- kraft in Ruhe iſt. Doch iſt der Unterſcheid zwiſchen bei- den nicht nur wirklich, ſondern er hat auch in der That viel zu bedeuten. Es wonet die angeborne Kraft im Herzen, im Ge- daͤrme, im Schlunde, Magen, in der Harnblaſe, in den waren Ausſtrekkern der maͤnnlichen oder weiblichen Ruthe, in den groſſen Schlag- und Blutadern, in den undeut- lichen Muſkeln der kleinſten Schliesmuſkeln, welche ſich um die Milchgefaͤſſe, und die wieder einſaugende Gefaͤſſe der Haut herumlegen. Jn dieſen Muſkeln bleibt auch, ohne alle Nerven, und wenn ſelbige zerſtoͤrt, und die Muſkeln losgeriſſen worden (s), dennoch eine Bewegung, und ein Trieb, dem Reize zu gehorchen, noch uͤbrig (t). Wenn die Kraft dieſen Werkzeugen angeboren iſt, warum bekommen ſie Nerven? Wenn dieſe nicht den Befel der Seele ausrichten, was thun ſie denn anders? Sie theilen die Empfindung mit, denn dieſe iſt ohne Ner- ven unbegreiflich (u). Sie bringen auch vom Gehirne wirkſame Befele; keine Vorſchriften des Willens, ſondern Geſezze zu uns, die dem belebten Koͤrper vorgeſchrieben ſind, und welche wollen, daß bei gewiſſen Reizen gewiſſe Bewegungen entſtehen ſollen. Es empfangen die Strekk- muſkeln der maͤnnlichen Ruthe, naͤmlich die waren, von den Nerven diejenige Kraft, womit ſie die Ruthe aus- einander dehnen, und es haͤngt dieſe Kraft nicht vom Willen ab, da ſie von der Seele weder verurſacht noch zerſtoͤrt werden kann, ſondern es ruͤhret ſelbige vom Ge- hirn, bei luſtigen Bildern und wolluͤſtigen Vorſtellungen her. Sie ſezzen das Herz im Zorn in Feuer, und machen ein Herzklopfen, nicht, weil es der Wille ſo haben will, ſon- (s) pag. 451. 452. (t) Ibid. (u) L. X. pag 296. ſeqq.

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/143>, abgerufen am 29.04.2024.