Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Fühlen XII. Buch.
kannten Felers, wie ich an einer mir bekannten Frau gese-
hen, deren Haut bis zum siebzigsten Jahre an den Fingern
der Hand ohne Gefühl war (s). Doch auch ein Callus
unterdrükkt das Gefühl, und ich habe starke Männer
gesehen, welche Dornen und Nesseln abbrachen, die doch
die Haut eines zarten Mädchens aller Orten zum schwären
gebracht haben würden. Es giebt auch gesunde Menschen,
welche kaum einiges Gefühl übrig behalten (s*), und
die weder eine Nadel unter dem Nagel, noch das Ver-
brennen achten (s**).

Folglich rührt auch von der Dikke der Bekleidung
der Eindrukk der Rauhigkeit und der übrigen Beschaffen-
heiten an Körpern her, welche wir berühren.

Dahin gehört auch, was ich kurz zuvor gesagt habe.
Die Gewonheit macht es, daß uns eben diejenigen Dinge
als kalt vorkommen, welche uns bei einer andern Gewon-
heit heis scheinen würden. So ist die Hizze in den Glas-
hütten unerträglich, da die Glasarbeiter das geflossne Glas
mit eisernen Röhren aus dem Ofen herauslangen, es zu
Kugeln aufblasen, und wir können daselbst keinen Augen-
blikk ausdauren.

Wenn das Fühlen einerlei Körper, mit eben denselben
Beschaffenheiten, bald so, bald wieder anders der Seele
vorstellt, so kann es folglich in der Seele ebenfalls falsche
Urtheile hervorbringen, weil beide gegenseitige Urtheile
nicht wahr sein können.

Das
(s) [Spaltenumbruch] Ein änliches Exempel hat
BOYLE util. phil. exper. p. 154.
BLANCARD
Jahrregister I.
c. IV. n
33. und an sich selbst,
COLLINS pag. 58. der einen
Freund anführt, der am ganzen
Körper eine beschwerliche Fühllo-
sigkeit leidet. An einer Jungfer,
[Spaltenumbruch] BARTHOLIN Cent. IV. hist. 82.
Ein ander Exempel hat DIEMER-
BROECK p.
502.
(s*) BARTHOLIN. loc. cit.
daß er weder den Hunger empfand,
noch etwas kostete.
(s**) Ibid.

Das Fuͤhlen XII. Buch.
kannten Felers, wie ich an einer mir bekannten Frau geſe-
hen, deren Haut bis zum ſiebzigſten Jahre an den Fingern
der Hand ohne Gefuͤhl war (s). Doch auch ein Callus
unterdruͤkkt das Gefuͤhl, und ich habe ſtarke Maͤnner
geſehen, welche Dornen und Neſſeln abbrachen, die doch
die Haut eines zarten Maͤdchens aller Orten zum ſchwaͤren
gebracht haben wuͤrden. Es giebt auch geſunde Menſchen,
welche kaum einiges Gefuͤhl uͤbrig behalten (s*), und
die weder eine Nadel unter dem Nagel, noch das Ver-
brennen achten (s**).

Folglich ruͤhrt auch von der Dikke der Bekleidung
der Eindrukk der Rauhigkeit und der uͤbrigen Beſchaffen-
heiten an Koͤrpern her, welche wir beruͤhren.

Dahin gehoͤrt auch, was ich kurz zuvor geſagt habe.
Die Gewonheit macht es, daß uns eben diejenigen Dinge
als kalt vorkommen, welche uns bei einer andern Gewon-
heit heis ſcheinen wuͤrden. So iſt die Hizze in den Glas-
huͤtten unertraͤglich, da die Glasarbeiter das gefloſſne Glas
mit eiſernen Roͤhren aus dem Ofen herauslangen, es zu
Kugeln aufblaſen, und wir koͤnnen daſelbſt keinen Augen-
blikk ausdauren.

Wenn das Fuͤhlen einerlei Koͤrper, mit eben denſelben
Beſchaffenheiten, bald ſo, bald wieder anders der Seele
vorſtellt, ſo kann es folglich in der Seele ebenfalls falſche
Urtheile hervorbringen, weil beide gegenſeitige Urtheile
nicht wahr ſein koͤnnen.

Das
(s) [Spaltenumbruch] Ein aͤnliches Exempel hat
BOYLE util. phil. exper. p. 154.
BLANCARD
Jahrregiſter I.
c. IV. n
33. und an ſich ſelbſt,
COLLINS pag. 58. der einen
Freund anfuͤhrt, der am ganzen
Koͤrper eine beſchwerliche Fuͤhllo-
ſigkeit leidet. An einer Jungfer,
[Spaltenumbruch] BARTHOLIN Cent. IV. hiſt. 82.
Ein ander Exempel hat DIEMER-
BROECK p.
502.
(s*) BARTHOLIN. loc. cit.
daß er weder den Hunger empfand,
noch etwas koſtete.
(s**) Ibid.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0398" n="380"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das Fu&#x0364;hlen <hi rendition="#aq">XII.</hi> Buch.</hi></fw><lb/>
kannten Felers, wie ich an einer mir bekannten Frau ge&#x017F;e-<lb/>
hen, deren Haut bis zum &#x017F;iebzig&#x017F;ten Jahre an den Fingern<lb/>
der Hand ohne Gefu&#x0364;hl war <note place="foot" n="(s)"><cb/>
Ein a&#x0364;nliches Exempel hat<lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">BOYLE</hi> util. phil. exper. p. 154.<lb/><hi rendition="#g">BLANCARD</hi></hi> Jahrregi&#x017F;ter <hi rendition="#aq">I.<lb/>
c. IV. n</hi> 33. und an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t,<lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">COLLINS</hi> pag.</hi> 58. der einen<lb/>
Freund anfu&#x0364;hrt, der am ganzen<lb/>
Ko&#x0364;rper eine be&#x017F;chwerliche Fu&#x0364;hllo-<lb/>
&#x017F;igkeit leidet. An einer Jungfer,<lb/><cb/> <hi rendition="#aq">BARTHOLIN Cent. IV. hi&#x017F;t.</hi> 82.<lb/>
Ein ander Exempel hat <hi rendition="#aq">DIEMER-<lb/>
BROECK p.</hi> 502.</note>. Doch auch ein Callus<lb/>
unterdru&#x0364;kkt das Gefu&#x0364;hl, und ich habe &#x017F;tarke Ma&#x0364;nner<lb/>
ge&#x017F;ehen, welche Dornen und Ne&#x017F;&#x017F;eln abbrachen, die doch<lb/>
die Haut eines zarten Ma&#x0364;dchens aller Orten zum &#x017F;chwa&#x0364;ren<lb/>
gebracht haben wu&#x0364;rden. Es giebt auch ge&#x017F;unde Men&#x017F;chen,<lb/>
welche kaum einiges Gefu&#x0364;hl u&#x0364;brig behalten <note place="foot" n="(s*)"><hi rendition="#aq">BARTHOLIN. loc. cit.</hi><lb/>
daß er weder den Hunger empfand,<lb/>
noch etwas ko&#x017F;tete.</note>, und<lb/>
die weder eine Nadel unter dem Nagel, noch das Ver-<lb/>
brennen achten <note place="foot" n="(s**)"><hi rendition="#aq">Ibid.</hi></note>.</p><lb/>
            <p>Folglich ru&#x0364;hrt auch von der Dikke der Bekleidung<lb/>
der Eindrukk der Rauhigkeit und der u&#x0364;brigen Be&#x017F;chaffen-<lb/>
heiten an Ko&#x0364;rpern her, welche wir beru&#x0364;hren.</p><lb/>
            <p>Dahin geho&#x0364;rt auch, was ich kurz zuvor ge&#x017F;agt habe.<lb/>
Die Gewonheit macht es, daß uns eben diejenigen Dinge<lb/>
als kalt vorkommen, welche uns bei einer andern Gewon-<lb/>
heit heis &#x017F;cheinen wu&#x0364;rden. So i&#x017F;t die Hizze in den Glas-<lb/>
hu&#x0364;tten unertra&#x0364;glich, da die Glasarbeiter das geflo&#x017F;&#x017F;ne Glas<lb/>
mit ei&#x017F;ernen Ro&#x0364;hren aus dem Ofen herauslangen, es zu<lb/>
Kugeln aufbla&#x017F;en, und wir ko&#x0364;nnen da&#x017F;elb&#x017F;t keinen Augen-<lb/>
blikk ausdauren.</p><lb/>
            <p>Wenn das Fu&#x0364;hlen einerlei Ko&#x0364;rper, mit eben den&#x017F;elben<lb/>
Be&#x017F;chaffenheiten, bald &#x017F;o, bald wieder anders der Seele<lb/>
vor&#x017F;tellt, &#x017F;o kann es folglich in der Seele ebenfalls fal&#x017F;che<lb/>
Urtheile hervorbringen, weil beide gegen&#x017F;eitige Urtheile<lb/>
nicht wahr &#x017F;ein ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Das</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[380/0398] Das Fuͤhlen XII. Buch. kannten Felers, wie ich an einer mir bekannten Frau geſe- hen, deren Haut bis zum ſiebzigſten Jahre an den Fingern der Hand ohne Gefuͤhl war (s). Doch auch ein Callus unterdruͤkkt das Gefuͤhl, und ich habe ſtarke Maͤnner geſehen, welche Dornen und Neſſeln abbrachen, die doch die Haut eines zarten Maͤdchens aller Orten zum ſchwaͤren gebracht haben wuͤrden. Es giebt auch geſunde Menſchen, welche kaum einiges Gefuͤhl uͤbrig behalten (s*), und die weder eine Nadel unter dem Nagel, noch das Ver- brennen achten (s**). Folglich ruͤhrt auch von der Dikke der Bekleidung der Eindrukk der Rauhigkeit und der uͤbrigen Beſchaffen- heiten an Koͤrpern her, welche wir beruͤhren. Dahin gehoͤrt auch, was ich kurz zuvor geſagt habe. Die Gewonheit macht es, daß uns eben diejenigen Dinge als kalt vorkommen, welche uns bei einer andern Gewon- heit heis ſcheinen wuͤrden. So iſt die Hizze in den Glas- huͤtten unertraͤglich, da die Glasarbeiter das gefloſſne Glas mit eiſernen Roͤhren aus dem Ofen herauslangen, es zu Kugeln aufblaſen, und wir koͤnnen daſelbſt keinen Augen- blikk ausdauren. Wenn das Fuͤhlen einerlei Koͤrper, mit eben denſelben Beſchaffenheiten, bald ſo, bald wieder anders der Seele vorſtellt, ſo kann es folglich in der Seele ebenfalls falſche Urtheile hervorbringen, weil beide gegenſeitige Urtheile nicht wahr ſein koͤnnen. Das (s) Ein aͤnliches Exempel hat BOYLE util. phil. exper. p. 154. BLANCARD Jahrregiſter I. c. IV. n 33. und an ſich ſelbſt, COLLINS pag. 58. der einen Freund anfuͤhrt, der am ganzen Koͤrper eine beſchwerliche Fuͤhllo- ſigkeit leidet. An einer Jungfer, BARTHOLIN Cent. IV. hiſt. 82. Ein ander Exempel hat DIEMER- BROECK p. 502. (s*) BARTHOLIN. loc. cit. daß er weder den Hunger empfand, noch etwas koſtete. (s**) Ibid.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/398
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/398>, abgerufen am 08.05.2024.