Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite

III. Abschnitt. Werkzeug.
Blume von angenehmen Geruche, allein der scharfe Ge-
schmakk der Frucht bewahrt uns vor der Schädlichkeit
derselben. Jch lese von der Mancenilla (z), daß ihre
Farbe, Geruch, und Geschmakk angenehm sei, ich traue
diesem Obste aber nicht, da seine brennende Schärfe im
Munde und auf den Lippen Geschwüre hervorbringt, und
folglich den Geschmakk nicht betrügen kann.

Frisches Fleisch, zeitige Früchte sind nicht ungesund,
und was uns von Speisen die Natur anbietet, schmeichelt
unserm Geruche, und erwekkt den Hunger, und es scheint
diese Annehmlichkeit zugleich, so wie die Ergözzlichkeit des
Geschmakkes (a), den Menschen zur Speise einzuladen,
so wie uns der Hunger zur Speise zwingt. Der Schö-
pfer regiert uns durch Strafen und Belohnungen.

Mit dem erstern Nuzzen ist der andre verwandt,
Kraft dessen der Geruch die medicinischen Gewächse, oder
Heilkräfte der Dinge entdekken hilft. Wenigstens giebt
uns der Geschmakk zugleich mit dem Geruche, und bis-
weilen schon der Geruch für sich allein, Gewürze, die ve-
getabilische Säure, Bitterkeit, und Gift zu erkennen;
denn bisweilen befindet sich die wohlriechende Kraft ohne
Geschmakk.

Die unvernünftigen Thiere bleiben ohne Unterricht,
und sie lernen nur für sich allein, sie sorgen nur für sich,
und nüzzen damit ihrer Nachkommenschaft gar nicht. Und
daher war ihnen die Spürkraft nothwendiger. Vermö-
ge dieser Gabe der Natur entdekken einige ihre Beute
schon von weitem, als die Geier, die Hunde, und wie
wir so gleich sagen werden, auch die Jnsekten selbst.

Durch eben diesen Sinn unterscheiden Thiere, die ihnen
schädliche oder nuzzbare Kräfte der Dinge einzig und al-
lein. Man sehe nur wie fleißig ein Schaf grase, wie es

auf
(z) [Spaltenumbruch] Phil. trans. T. 50. p. 2. p.
772. 173.
(a) [Spaltenumbruch] HARTLEY, p. 180.
K k 4

III. Abſchnitt. Werkzeug.
Blume von angenehmen Geruche, allein der ſcharfe Ge-
ſchmakk der Frucht bewahrt uns vor der Schaͤdlichkeit
derſelben. Jch leſe von der Mancenilla (z), daß ihre
Farbe, Geruch, und Geſchmakk angenehm ſei, ich traue
dieſem Obſte aber nicht, da ſeine brennende Schaͤrfe im
Munde und auf den Lippen Geſchwuͤre hervorbringt, und
folglich den Geſchmakk nicht betruͤgen kann.

Friſches Fleiſch, zeitige Fruͤchte ſind nicht ungeſund,
und was uns von Speiſen die Natur anbietet, ſchmeichelt
unſerm Geruche, und erwekkt den Hunger, und es ſcheint
dieſe Annehmlichkeit zugleich, ſo wie die Ergoͤzzlichkeit des
Geſchmakkes (a), den Menſchen zur Speiſe einzuladen,
ſo wie uns der Hunger zur Speiſe zwingt. Der Schoͤ-
pfer regiert uns durch Strafen und Belohnungen.

Mit dem erſtern Nuzzen iſt der andre verwandt,
Kraft deſſen der Geruch die mediciniſchen Gewaͤchſe, oder
Heilkraͤfte der Dinge entdekken hilft. Wenigſtens giebt
uns der Geſchmakk zugleich mit dem Geruche, und bis-
weilen ſchon der Geruch fuͤr ſich allein, Gewuͤrze, die ve-
getabiliſche Saͤure, Bitterkeit, und Gift zu erkennen;
denn bisweilen befindet ſich die wohlriechende Kraft ohne
Geſchmakk.

Die unvernuͤnftigen Thiere bleiben ohne Unterricht,
und ſie lernen nur fuͤr ſich allein, ſie ſorgen nur fuͤr ſich,
und nuͤzzen damit ihrer Nachkommenſchaft gar nicht. Und
daher war ihnen die Spuͤrkraft nothwendiger. Vermoͤ-
ge dieſer Gabe der Natur entdekken einige ihre Beute
ſchon von weitem, als die Geier, die Hunde, und wie
wir ſo gleich ſagen werden, auch die Jnſekten ſelbſt.

Durch eben dieſen Sinn unterſcheiden Thiere, die ihnen
ſchaͤdliche oder nuzzbare Kraͤfte der Dinge einzig und al-
lein. Man ſehe nur wie fleißig ein Schaf graſe, wie es

auf
(z) [Spaltenumbruch] Phil. tranſ. T. 50. p. 2. p.
772. 173.
(a) [Spaltenumbruch] HARTLEY, p. 180.
K k 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0537" n="519"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">III.</hi> Ab&#x017F;chnitt. Werkzeug.</hi></fw><lb/>
Blume von angenehmen Geruche, allein der &#x017F;charfe Ge-<lb/>
&#x017F;chmakk der Frucht bewahrt uns vor der Scha&#x0364;dlichkeit<lb/>
der&#x017F;elben. Jch le&#x017F;e von der <hi rendition="#aq">Mancenilla</hi> <note place="foot" n="(z)"><cb/><hi rendition="#aq">Phil. tran&#x017F;. T. 50. p. 2. p.</hi><lb/>
772. 173.</note>, daß ihre<lb/>
Farbe, Geruch, und Ge&#x017F;chmakk angenehm &#x017F;ei, ich traue<lb/>
die&#x017F;em Ob&#x017F;te aber nicht, da &#x017F;eine brennende Scha&#x0364;rfe im<lb/>
Munde und auf den Lippen Ge&#x017F;chwu&#x0364;re hervorbringt, und<lb/>
folglich den Ge&#x017F;chmakk nicht betru&#x0364;gen kann.</p><lb/>
            <p>Fri&#x017F;ches Flei&#x017F;ch, zeitige Fru&#x0364;chte &#x017F;ind nicht unge&#x017F;und,<lb/>
und was uns von Spei&#x017F;en die Natur anbietet, &#x017F;chmeichelt<lb/>
un&#x017F;erm Geruche, und erwekkt den Hunger, und es &#x017F;cheint<lb/>
die&#x017F;e Annehmlichkeit zugleich, &#x017F;o wie die Ergo&#x0364;zzlichkeit des<lb/>
Ge&#x017F;chmakkes <note place="foot" n="(a)"><cb/><hi rendition="#aq">HARTLEY, p.</hi> 180.</note>, den Men&#x017F;chen zur Spei&#x017F;e einzuladen,<lb/>
&#x017F;o wie uns der Hunger zur Spei&#x017F;e zwingt. Der Scho&#x0364;-<lb/>
pfer regiert uns durch Strafen und Belohnungen.</p><lb/>
            <p>Mit dem er&#x017F;tern Nuzzen i&#x017F;t der andre verwandt,<lb/>
Kraft de&#x017F;&#x017F;en der Geruch die medicini&#x017F;chen Gewa&#x0364;ch&#x017F;e, oder<lb/>
Heilkra&#x0364;fte der Dinge entdekken hilft. Wenig&#x017F;tens giebt<lb/>
uns der Ge&#x017F;chmakk zugleich mit dem Geruche, und bis-<lb/>
weilen &#x017F;chon der Geruch fu&#x0364;r &#x017F;ich allein, Gewu&#x0364;rze, die ve-<lb/>
getabili&#x017F;che Sa&#x0364;ure, Bitterkeit, und Gift zu erkennen;<lb/>
denn bisweilen befindet &#x017F;ich die wohlriechende Kraft ohne<lb/>
Ge&#x017F;chmakk.</p><lb/>
            <p>Die unvernu&#x0364;nftigen Thiere bleiben ohne Unterricht,<lb/>
und &#x017F;ie lernen nur fu&#x0364;r &#x017F;ich allein, &#x017F;ie &#x017F;orgen nur fu&#x0364;r &#x017F;ich,<lb/>
und nu&#x0364;zzen damit ihrer Nachkommen&#x017F;chaft gar nicht. Und<lb/>
daher war ihnen die Spu&#x0364;rkraft nothwendiger. Vermo&#x0364;-<lb/>
ge die&#x017F;er Gabe der Natur entdekken einige ihre Beute<lb/>
&#x017F;chon von weitem, als die Geier, die Hunde, und wie<lb/>
wir &#x017F;o gleich &#x017F;agen werden, auch die Jn&#x017F;ekten &#x017F;elb&#x017F;t.</p><lb/>
            <p>Durch eben die&#x017F;en Sinn unter&#x017F;cheiden Thiere, die ihnen<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;dliche oder nuzzbare Kra&#x0364;fte der Dinge einzig und al-<lb/>
lein. Man &#x017F;ehe nur wie fleißig ein Schaf gra&#x017F;e, wie es<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">K k 4</fw><fw place="bottom" type="catch">auf</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[519/0537] III. Abſchnitt. Werkzeug. Blume von angenehmen Geruche, allein der ſcharfe Ge- ſchmakk der Frucht bewahrt uns vor der Schaͤdlichkeit derſelben. Jch leſe von der Mancenilla (z), daß ihre Farbe, Geruch, und Geſchmakk angenehm ſei, ich traue dieſem Obſte aber nicht, da ſeine brennende Schaͤrfe im Munde und auf den Lippen Geſchwuͤre hervorbringt, und folglich den Geſchmakk nicht betruͤgen kann. Friſches Fleiſch, zeitige Fruͤchte ſind nicht ungeſund, und was uns von Speiſen die Natur anbietet, ſchmeichelt unſerm Geruche, und erwekkt den Hunger, und es ſcheint dieſe Annehmlichkeit zugleich, ſo wie die Ergoͤzzlichkeit des Geſchmakkes (a), den Menſchen zur Speiſe einzuladen, ſo wie uns der Hunger zur Speiſe zwingt. Der Schoͤ- pfer regiert uns durch Strafen und Belohnungen. Mit dem erſtern Nuzzen iſt der andre verwandt, Kraft deſſen der Geruch die mediciniſchen Gewaͤchſe, oder Heilkraͤfte der Dinge entdekken hilft. Wenigſtens giebt uns der Geſchmakk zugleich mit dem Geruche, und bis- weilen ſchon der Geruch fuͤr ſich allein, Gewuͤrze, die ve- getabiliſche Saͤure, Bitterkeit, und Gift zu erkennen; denn bisweilen befindet ſich die wohlriechende Kraft ohne Geſchmakk. Die unvernuͤnftigen Thiere bleiben ohne Unterricht, und ſie lernen nur fuͤr ſich allein, ſie ſorgen nur fuͤr ſich, und nuͤzzen damit ihrer Nachkommenſchaft gar nicht. Und daher war ihnen die Spuͤrkraft nothwendiger. Vermoͤ- ge dieſer Gabe der Natur entdekken einige ihre Beute ſchon von weitem, als die Geier, die Hunde, und wie wir ſo gleich ſagen werden, auch die Jnſekten ſelbſt. Durch eben dieſen Sinn unterſcheiden Thiere, die ihnen ſchaͤdliche oder nuzzbare Kraͤfte der Dinge einzig und al- lein. Man ſehe nur wie fleißig ein Schaf graſe, wie es auf (z) Phil. tranſ. T. 50. p. 2. p. 772. 173. (a) HARTLEY, p. 180. K k 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/537
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/537>, abgerufen am 19.05.2024.