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Halm, Friedrich [d. i. Eligius Franz Joseph von Münch Bellinghausen]: Die Marzipan-Lise. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–70. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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denkliches Kopfschütteln verwandelt, aber das gefällige Aeußere des Fremden schien seinen einfachen Sinn bestochen zu haben. Gut, sagte er endlich, ich will Ihm für heute Nacht Herberge geben, und morgen, wenn sich zeigt, daß Er arbeiten kann und will, soll sich auch das Unterkommen finden! Sitz Er auf! Und damit rückte er in die Ecke des Wagensitzes, ihm Platz zu machen. Der junge Mann bedachte sich einen Augenblick und musterte mißtrauisch scheu die offenen, ehrlichen Züge des Kaufmanns; dann warf er Bündel und Knotenstock in das Korbgeflecht am Hintertheil des Wagens und schwang sich an Horvath's Seite, der nun sein Rößlein die Anhöhe hinunter rasch auf Weßprim zutraben ließ.

Am nächsten Morgen, als Horvath dem jungen Manne zur Probe eine der vielen Rechnungen vorlegte, die zu seiner großen Verlegenheit durch den vor einigen Wochen erfolgten Tod seines Buchhalters in Unordnung gerathen waren, zeigte sich bald, daß Franz Bauer den Verstorbenen nicht nur an Richtigkeit der Auffassung, Gewandtheit und Scharfsinn, sondern auch an Kenntnissen weit übertraf, so daß Horvath sich auf der Stelle der Dienste des jungen Mannes zum Abschluß der unvollendeten Rechnungen und zur Aufarbeitung der in Briefwechsel und Buchführung erwachsenen Rückstände versicherte. Die Lösung dieser Aufgaben konnte beiläufig sechs Wochen in Anspruch nehmen; allein der Eifer, den Franz in der Erfüllung der übernommenen Pflichten bewährte, und die Leichtigkeit, mit der er die verwickeltsten

denkliches Kopfschütteln verwandelt, aber das gefällige Aeußere des Fremden schien seinen einfachen Sinn bestochen zu haben. Gut, sagte er endlich, ich will Ihm für heute Nacht Herberge geben, und morgen, wenn sich zeigt, daß Er arbeiten kann und will, soll sich auch das Unterkommen finden! Sitz Er auf! Und damit rückte er in die Ecke des Wagensitzes, ihm Platz zu machen. Der junge Mann bedachte sich einen Augenblick und musterte mißtrauisch scheu die offenen, ehrlichen Züge des Kaufmanns; dann warf er Bündel und Knotenstock in das Korbgeflecht am Hintertheil des Wagens und schwang sich an Horváth's Seite, der nun sein Rößlein die Anhöhe hinunter rasch auf Weßprim zutraben ließ.

Am nächsten Morgen, als Horváth dem jungen Manne zur Probe eine der vielen Rechnungen vorlegte, die zu seiner großen Verlegenheit durch den vor einigen Wochen erfolgten Tod seines Buchhalters in Unordnung gerathen waren, zeigte sich bald, daß Franz Bauer den Verstorbenen nicht nur an Richtigkeit der Auffassung, Gewandtheit und Scharfsinn, sondern auch an Kenntnissen weit übertraf, so daß Horváth sich auf der Stelle der Dienste des jungen Mannes zum Abschluß der unvollendeten Rechnungen und zur Aufarbeitung der in Briefwechsel und Buchführung erwachsenen Rückstände versicherte. Die Lösung dieser Aufgaben konnte beiläufig sechs Wochen in Anspruch nehmen; allein der Eifer, den Franz in der Erfüllung der übernommenen Pflichten bewährte, und die Leichtigkeit, mit der er die verwickeltsten

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[0013] denkliches Kopfschütteln verwandelt, aber das gefällige Aeußere des Fremden schien seinen einfachen Sinn bestochen zu haben. Gut, sagte er endlich, ich will Ihm für heute Nacht Herberge geben, und morgen, wenn sich zeigt, daß Er arbeiten kann und will, soll sich auch das Unterkommen finden! Sitz Er auf! Und damit rückte er in die Ecke des Wagensitzes, ihm Platz zu machen. Der junge Mann bedachte sich einen Augenblick und musterte mißtrauisch scheu die offenen, ehrlichen Züge des Kaufmanns; dann warf er Bündel und Knotenstock in das Korbgeflecht am Hintertheil des Wagens und schwang sich an Horváth's Seite, der nun sein Rößlein die Anhöhe hinunter rasch auf Weßprim zutraben ließ. Am nächsten Morgen, als Horváth dem jungen Manne zur Probe eine der vielen Rechnungen vorlegte, die zu seiner großen Verlegenheit durch den vor einigen Wochen erfolgten Tod seines Buchhalters in Unordnung gerathen waren, zeigte sich bald, daß Franz Bauer den Verstorbenen nicht nur an Richtigkeit der Auffassung, Gewandtheit und Scharfsinn, sondern auch an Kenntnissen weit übertraf, so daß Horváth sich auf der Stelle der Dienste des jungen Mannes zum Abschluß der unvollendeten Rechnungen und zur Aufarbeitung der in Briefwechsel und Buchführung erwachsenen Rückstände versicherte. Die Lösung dieser Aufgaben konnte beiläufig sechs Wochen in Anspruch nehmen; allein der Eifer, den Franz in der Erfüllung der übernommenen Pflichten bewährte, und die Leichtigkeit, mit der er die verwickeltsten

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:52:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:52:38Z)

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Zitationshilfe: Halm, Friedrich [d. i. Eligius Franz Joseph von Münch Bellinghausen]: Die Marzipan-Lise. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–70. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/halm_lise_1910/13>, abgerufen am 06.10.2024.