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[Hamann, Johann Georg]: Sokratische Denkwürdigkeiten. Amsterdam [i. e. Königsberg], 1759.

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als ein verliebter Stutzer bey seiner Seele
oder ein irrender Ritter bey den Furien sei-
ner Ahnen lügt. Jn den letzten Augenblicken
seines Lebens, da Sokrates schon die Kräfte
des Gesundbrunnens in seinen Gliedern fühl-
te, ersuchte er noch aufs inständigste seinen
Kriton einen Hahn für ihn zu bezahlen und
in seinen Namen dem Aeskulap zu opfern.
Sein zweytes Verbrechen war ein Verführer
der Tugend gewesen zu seyn, durch seine freye
und anstössige Lehren.

Sokrates antwortete auf diese Beschuldi-
gungen, mit einem Ernst und Muth, mit ei-
nem Stolz und Kaltsinn, daß man ihn nach
seinem Gesichte eher für einen Befehlshaber
seiner Richter, wie ein Alter bemerkt, als
für einen Beklagten hätte ansehen sollen.

Sokrates verlor, sagt man, einen giftigen
Einfall, *) und die gewissenhaften Areopagu-
ten die Gedult. Man wurde also hierauf
bald über die Strafe einig, der er würdig
wäre, so wenig man sich vorher darüber hat-
te vergleichen können.

Ein Fest zu Athen, an dem es nicht erlaubt
war ein Todesurtheil zu vollziehen, legte den
Sokrates die schwere Vorbereitung eines dreys-
sigtägigen Gefängnisses zu seinem Tode auf.

Nach
*) Er dictirte sich im Scherz selbst die Strafe auf
Unkosten des Staats zu Tode gefüttert zu werden.

als ein verliebter Stutzer bey ſeiner Seele
oder ein irrender Ritter bey den Furien ſei-
ner Ahnen luͤgt. Jn den letzten Augenblicken
ſeines Lebens, da Sokrates ſchon die Kraͤfte
des Geſundbrunnens in ſeinen Gliedern fuͤhl-
te, erſuchte er noch aufs inſtaͤndigſte ſeinen
Kriton einen Hahn fuͤr ihn zu bezahlen und
in ſeinen Namen dem Aeſkulap zu opfern.
Sein zweytes Verbrechen war ein Verfuͤhrer
der Tugend geweſen zu ſeyn, durch ſeine freye
und anſtoͤſſige Lehren.

Sokrates antwortete auf dieſe Beſchuldi-
gungen, mit einem Ernſt und Muth, mit ei-
nem Stolz und Kaltſinn, daß man ihn nach
ſeinem Geſichte eher fuͤr einen Befehlshaber
ſeiner Richter, wie ein Alter bemerkt, als
fuͤr einen Beklagten haͤtte anſehen ſollen.

Sokrates verlor, ſagt man, einen giftigen
Einfall, *) und die gewiſſenhaften Areopagu-
ten die Gedult. Man wurde alſo hierauf
bald uͤber die Strafe einig, der er wuͤrdig
waͤre, ſo wenig man ſich vorher daruͤber hat-
te vergleichen koͤnnen.

Ein Feſt zu Athen, an dem es nicht erlaubt
war ein Todesurtheil zu vollziehen, legte den
Sokrates die ſchwere Vorbereitung eines dreyſ-
ſigtaͤgigen Gefaͤngniſſes zu ſeinem Tode auf.

Nach
*) Er dictirte ſich im Scherz ſelbſt die Strafe auf
Unkoſten des Staats zu Tode gefuͤttert zu werden.
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[62/0066] als ein verliebter Stutzer bey ſeiner Seele oder ein irrender Ritter bey den Furien ſei- ner Ahnen luͤgt. Jn den letzten Augenblicken ſeines Lebens, da Sokrates ſchon die Kraͤfte des Geſundbrunnens in ſeinen Gliedern fuͤhl- te, erſuchte er noch aufs inſtaͤndigſte ſeinen Kriton einen Hahn fuͤr ihn zu bezahlen und in ſeinen Namen dem Aeſkulap zu opfern. Sein zweytes Verbrechen war ein Verfuͤhrer der Tugend geweſen zu ſeyn, durch ſeine freye und anſtoͤſſige Lehren. Sokrates antwortete auf dieſe Beſchuldi- gungen, mit einem Ernſt und Muth, mit ei- nem Stolz und Kaltſinn, daß man ihn nach ſeinem Geſichte eher fuͤr einen Befehlshaber ſeiner Richter, wie ein Alter bemerkt, als fuͤr einen Beklagten haͤtte anſehen ſollen. Sokrates verlor, ſagt man, einen giftigen Einfall, *) und die gewiſſenhaften Areopagu- ten die Gedult. Man wurde alſo hierauf bald uͤber die Strafe einig, der er wuͤrdig waͤre, ſo wenig man ſich vorher daruͤber hat- te vergleichen koͤnnen. Ein Feſt zu Athen, an dem es nicht erlaubt war ein Todesurtheil zu vollziehen, legte den Sokrates die ſchwere Vorbereitung eines dreyſ- ſigtaͤgigen Gefaͤngniſſes zu ſeinem Tode auf. Nach *) Er dictirte ſich im Scherz ſelbſt die Strafe auf Unkoſten des Staats zu Tode gefuͤttert zu werden.

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Zitationshilfe: [Hamann, Johann Georg]: Sokratische Denkwürdigkeiten. Amsterdam [i. e. Königsberg], 1759, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hamann_denkwuerdigkeiten_1759/66>, abgerufen am 27.04.2024.