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Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 1. 2. Aufl. Nürnberg, 1650.

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Die fünffte Stund.
"eine andere Reimart zu fallen/ darinnen weni-
"ger oder mehr Syllben sind/ nach Begebenheit
"und Füglichkeit deß Jnhalts: wann ich aber
"mit langekürtzten angefangen/ so muß ich dar-
"bey verbleiben/ es ändere sich dann die gantze
"Sache/ so kan ich zugleich auch eine andere
"Reimart beginnen. Diese Art wird in den Er-
zehlungen/ und zu Vorstellungen einer grossen
Betrübniß/ oder beweglichen Vermahnung schick-
lichst angebracht; wann sonderlich andere Reim-
arten/ wie in den Trauer- und Freudenspielen ge-
bräuchlich/ vor- oder nachgesetzet werden. Weil
dieses noch neu/ und von den Jtalianern/ Frantz-
osen/ und Spaniern abgesehen/ müssen wir/ zu bes-
serer Nachrichtung/ ein Exempel setzen; und zwar
die Rede deß Patriarchen Noe/ welche er vermut-
lich an die erste Welt dieses Jnhalts gethan:

Hört/ Gottsvergessne sichre Sünder!
Hört/ ihr Cains Greuelkinder!
Hört meine Stimm;
ja nicht bloß meine Stimm:
deß höchsten GOttes Grimm!
Jhr Jäger/ die ihr treibt das ungerechte
Recht/
und fahrt mit Frevelmut/
vergeust der Armen Blut/
gleich einer Wasserflut/
und

Die fuͤnffte Stund.
„eine andere Reimart zu fallen/ darinnen weni-
„ger oder mehr Syllben ſind/ nach Begebenheit
„und Fuͤglichkeit deß Jnhalts: wann ich aber
„mit langekuͤrtzten angefangen/ ſo muß ich dar-
„bey verbleiben/ es aͤndere ſich dann die gantze
„Sache/ ſo kan ich zugleich auch eine andere
„Reimart beginnen. Dieſe Art wird in den Er-
zehlungen/ und zu Vorſtellungen einer groſſen
Betꝛuͤbniß/ odeꝛ beweglichẽ Vermahnung ſchick-
lichſt angebracht; wann ſonderlich andere Reim-
arten/ wie in den Trauer- und Freudenſpielen ge-
braͤuchlich/ vor- oder nachgeſetzet werden. Weil
dieſes noch neu/ und von den Jtalianern/ Frantz-
oſen/ uñ Spaniern abgeſehen/ muͤſſen wir/ zu beſ-
ſerer Nachrichtung/ ein Exempel ſetzen; uñ zwar
die Rede deß Patriarchẽ Noe/ welche er vermut-
lich an die erſte Welt dieſes Jnhalts gethan:

Hoͤrt/ Gottsvergeſſne ſichre Suͤnder!
Hoͤrt/ ihr Cains Greuelkinder!
Hoͤrt meine Stimm;
ja nicht bloß meine Stimm:
deß hoͤchſten GOttes Grimm!
Jhr Jaͤger/ die ihr treibt das ungerechte
Recht/
und fahrt mit Frevelmut/
vergeuſt der Armen Blut/
gleich einer Waſſerflut/
und
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[78[74]/0092] Die fuͤnffte Stund. „eine andere Reimart zu fallen/ darinnen weni- „ger oder mehr Syllben ſind/ nach Begebenheit „und Fuͤglichkeit deß Jnhalts: wann ich aber „mit langekuͤrtzten angefangen/ ſo muß ich dar- „bey verbleiben/ es aͤndere ſich dann die gantze „Sache/ ſo kan ich zugleich auch eine andere „Reimart beginnen. Dieſe Art wird in den Er- zehlungen/ und zu Vorſtellungen einer groſſen Betꝛuͤbniß/ odeꝛ beweglichẽ Vermahnung ſchick- lichſt angebracht; wann ſonderlich andere Reim- arten/ wie in den Trauer- und Freudenſpielen ge- braͤuchlich/ vor- oder nachgeſetzet werden. Weil dieſes noch neu/ und von den Jtalianern/ Frantz- oſen/ uñ Spaniern abgeſehen/ muͤſſen wir/ zu beſ- ſerer Nachrichtung/ ein Exempel ſetzen; uñ zwar die Rede deß Patriarchẽ Noe/ welche er vermut- lich an die erſte Welt dieſes Jnhalts gethan: Hoͤrt/ Gottsvergeſſne ſichre Suͤnder! Hoͤrt/ ihr Cains Greuelkinder! Hoͤrt meine Stimm; ja nicht bloß meine Stimm: deß hoͤchſten GOttes Grimm! Jhr Jaͤger/ die ihr treibt das ungerechte Recht/ und fahrt mit Frevelmut/ vergeuſt der Armen Blut/ gleich einer Waſſerflut/ und

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Zitationshilfe: Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 1. 2. Aufl. Nürnberg, 1650, S. 78[74]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter01_1650/92>, abgerufen am 27.04.2024.