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Hartmann, Moritz: Das Schloß im Gebirge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [221]–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Fluchtgedanken abzubringen und zu treuem Ausharren in der Anstalt, wie zu fleißiger Arbeit zu ermuntern, als sie versprach, so oft als möglich wiederzukommen.

Sie hielt Wort. Jede Woche an einem gewissen Tage, zu einer bestimmten Stunde erscholl ihr Lied und ertönte ihr Instrument im Hof, und manchmal bereitete sie mir eine Ueberraschung, indem sie auch plötzlich an einem andern als dem gewohnten Tage erschien. Es wurde mir dann auch erlaubt, zu ihr, als dem Kinde desselben Dorfes, hinabzusteigen und in der Wohnung des Portiers ein angenehmes Stündchen zu verplaudern. Es war eine glückliche Zeit, und ich fing damals an zu fühlen, daß ich ohne Louison nicht leben könnte, und zugleich bemerkte ich, daß sie von Woche zu Woche schöner wurde. Ich wußte es nachher, daß ich sie damals mit Liebe zu lieben begann; aimer d'amour, wie wir zu sagen pflegen. Wir standen aber an der Thüre des Jünglings- und Jungfrauenalters. Klug und brav, wie Louison war, fühlte sie ebenfalls, daß sich die Zeiten änderten, und eines Tages kündigte sie mir plötzlich an, daß sie nicht mehr auf dieselbe Weise als herumziehende Sängerin in den Hof kommen und daß sie dem Instrument, dem Liede und auf einige Zeit auch mir Lebewohl sagen wolle. Schau, sagte sie, ich werde groß und auch hübsch, da schickt es sich nicht mehr, daß ich so durch die Straßen von Paris ziehe. Ich habe schon Manches erfahren, was mich belehrt, daß ich auf andere und

Fluchtgedanken abzubringen und zu treuem Ausharren in der Anstalt, wie zu fleißiger Arbeit zu ermuntern, als sie versprach, so oft als möglich wiederzukommen.

Sie hielt Wort. Jede Woche an einem gewissen Tage, zu einer bestimmten Stunde erscholl ihr Lied und ertönte ihr Instrument im Hof, und manchmal bereitete sie mir eine Ueberraschung, indem sie auch plötzlich an einem andern als dem gewohnten Tage erschien. Es wurde mir dann auch erlaubt, zu ihr, als dem Kinde desselben Dorfes, hinabzusteigen und in der Wohnung des Portiers ein angenehmes Stündchen zu verplaudern. Es war eine glückliche Zeit, und ich fing damals an zu fühlen, daß ich ohne Louison nicht leben könnte, und zugleich bemerkte ich, daß sie von Woche zu Woche schöner wurde. Ich wußte es nachher, daß ich sie damals mit Liebe zu lieben begann; aimer d’amour, wie wir zu sagen pflegen. Wir standen aber an der Thüre des Jünglings- und Jungfrauenalters. Klug und brav, wie Louison war, fühlte sie ebenfalls, daß sich die Zeiten änderten, und eines Tages kündigte sie mir plötzlich an, daß sie nicht mehr auf dieselbe Weise als herumziehende Sängerin in den Hof kommen und daß sie dem Instrument, dem Liede und auf einige Zeit auch mir Lebewohl sagen wolle. Schau, sagte sie, ich werde groß und auch hübsch, da schickt es sich nicht mehr, daß ich so durch die Straßen von Paris ziehe. Ich habe schon Manches erfahren, was mich belehrt, daß ich auf andere und

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[0032] Fluchtgedanken abzubringen und zu treuem Ausharren in der Anstalt, wie zu fleißiger Arbeit zu ermuntern, als sie versprach, so oft als möglich wiederzukommen. Sie hielt Wort. Jede Woche an einem gewissen Tage, zu einer bestimmten Stunde erscholl ihr Lied und ertönte ihr Instrument im Hof, und manchmal bereitete sie mir eine Ueberraschung, indem sie auch plötzlich an einem andern als dem gewohnten Tage erschien. Es wurde mir dann auch erlaubt, zu ihr, als dem Kinde desselben Dorfes, hinabzusteigen und in der Wohnung des Portiers ein angenehmes Stündchen zu verplaudern. Es war eine glückliche Zeit, und ich fing damals an zu fühlen, daß ich ohne Louison nicht leben könnte, und zugleich bemerkte ich, daß sie von Woche zu Woche schöner wurde. Ich wußte es nachher, daß ich sie damals mit Liebe zu lieben begann; aimer d’amour, wie wir zu sagen pflegen. Wir standen aber an der Thüre des Jünglings- und Jungfrauenalters. Klug und brav, wie Louison war, fühlte sie ebenfalls, daß sich die Zeiten änderten, und eines Tages kündigte sie mir plötzlich an, daß sie nicht mehr auf dieselbe Weise als herumziehende Sängerin in den Hof kommen und daß sie dem Instrument, dem Liede und auf einige Zeit auch mir Lebewohl sagen wolle. Schau, sagte sie, ich werde groß und auch hübsch, da schickt es sich nicht mehr, daß ich so durch die Straßen von Paris ziehe. Ich habe schon Manches erfahren, was mich belehrt, daß ich auf andere und

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:58:35Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Hartmann, Moritz: Das Schloß im Gebirge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [221]–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hartmann_gebirge_1910/32>, abgerufen am 29.04.2024.