Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hartwig, Georg Ludwig: Die physische Erziehung der Kinder. Düsseldorf, 1847.

Bild:
<< vorherige Seite

ihres Lieblings nicht ihr, sondern einer andern gehört?
Und doch gebietet nicht selten das Wohl des Kindes,
so wie der Mutter, ein Abweichen von dem Gange,
welchen die Natur vorgeschrieben.

Manche Mutter ist auch mit dem besten Willen
nicht im Stande ihr Kind zu ernähren.

Jst sie von sehr schwächlicher Constitution, sind
ihre Nerven höchst reizbar und läßt sich Anlage zur
Schwindsucht bei ihr vermuthen; sieht man deutlich,
daß der Säfteverlust ihre Gesundheit gefährden
würde, so wäre es unbillig von ihr die Erfüllung
einer Pflicht zu verlangen, die offenbar ihre Kräfte
übersteigt. Und was wäre der Lohn dieser Aufopfe-
rung? -- daß ihr Kind mit einer an Nahrungsstoffen
armen, dünnen Milch genährt, doch nur kränkeln
und in der Entwickelung zurückbleiben würde, bis
man sich endlich entschlösse, einen andern Weg ein-
zuschlagen und ihm die Milch einer gesünderen Amme
zu bieten. Besser also der Versuch unterbleibe von
Anfang an, wenn vorauszusehen ist, daß er doch zu
keinem guten Resultate führen kann.

Für den Neugeborenen gibt es keine passendere
Nahrung als die Milch, denn die Natur trifft immer
die zweckmäßigste Wahl. Die Milch allein genügt
ohne allen Zusatz vollkommen zur Erhaltung des
Lebens, da sie alle Bestandtheile enthält, die zur
Ernährung aller Organe nöthig sind. Dabei ist sie

ihres Lieblings nicht ihr, ſondern einer andern gehoͤrt?
Und doch gebietet nicht ſelten das Wohl des Kindes,
ſo wie der Mutter, ein Abweichen von dem Gange,
welchen die Natur vorgeſchrieben.

Manche Mutter iſt auch mit dem beſten Willen
nicht im Stande ihr Kind zu ernaͤhren.

Jſt ſie von ſehr ſchwaͤchlicher Conſtitution, ſind
ihre Nerven hoͤchſt reizbar und laͤßt ſich Anlage zur
Schwindſucht bei ihr vermuthen; ſieht man deutlich,
daß der Saͤfteverluſt ihre Geſundheit gefaͤhrden
wuͤrde, ſo waͤre es unbillig von ihr die Erfuͤllung
einer Pflicht zu verlangen, die offenbar ihre Kraͤfte
uͤberſteigt. Und was waͤre der Lohn dieſer Aufopfe-
rung? — daß ihr Kind mit einer an Nahrungsſtoffen
armen, duͤnnen Milch genaͤhrt, doch nur kraͤnkeln
und in der Entwickelung zuruͤckbleiben würde, bis
man ſich endlich entſchloͤſſe, einen andern Weg ein-
zuſchlagen und ihm die Milch einer geſuͤnderen Amme
zu bieten. Beſſer alſo der Verſuch unterbleibe von
Anfang an, wenn vorauszuſehen iſt, daß er doch zu
keinem guten Reſultate fuͤhren kann.

Fuͤr den Neugeborenen gibt es keine paſſendere
Nahrung als die Milch, denn die Natur trifft immer
die zweckmaͤßigſte Wahl. Die Milch allein genügt
ohne allen Zuſatz vollkommen zur Erhaltung des
Lebens, da ſie alle Beſtandtheile enthaͤlt, die zur
Ernaͤhrung aller Organe noͤthig ſind. Dabei iſt ſie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0088" n="78"/>
ihres Lieblings nicht ihr, &#x017F;ondern einer andern geho&#x0364;rt?<lb/>
Und doch gebietet nicht &#x017F;elten das Wohl des Kindes,<lb/>
&#x017F;o wie der Mutter, ein Abweichen von dem Gange,<lb/>
welchen die Natur vorge&#x017F;chrieben.</p><lb/>
        <p>Manche Mutter i&#x017F;t auch mit dem be&#x017F;ten Willen<lb/>
nicht im Stande ihr Kind zu erna&#x0364;hren.</p><lb/>
        <p>J&#x017F;t &#x017F;ie von &#x017F;ehr &#x017F;chwa&#x0364;chlicher Con&#x017F;titution, &#x017F;ind<lb/>
ihre Nerven ho&#x0364;ch&#x017F;t reizbar und la&#x0364;ßt &#x017F;ich Anlage zur<lb/>
Schwind&#x017F;ucht bei ihr vermuthen; &#x017F;ieht man deutlich,<lb/>
daß der Sa&#x0364;fteverlu&#x017F;t ihre Ge&#x017F;undheit gefa&#x0364;hrden<lb/>
wu&#x0364;rde, &#x017F;o wa&#x0364;re es unbillig von ihr die Erfu&#x0364;llung<lb/>
einer Pflicht zu verlangen, die offenbar ihre Kra&#x0364;fte<lb/>
u&#x0364;ber&#x017F;teigt. Und was wa&#x0364;re der Lohn die&#x017F;er Aufopfe-<lb/>
rung? &#x2014; daß ihr Kind mit einer an Nahrungs&#x017F;toffen<lb/>
armen, du&#x0364;nnen Milch gena&#x0364;hrt, doch nur kra&#x0364;nkeln<lb/>
und in der Entwickelung zuru&#x0364;ckbleiben würde, bis<lb/>
man &#x017F;ich endlich ent&#x017F;chlo&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, einen andern Weg ein-<lb/>
zu&#x017F;chlagen und ihm die Milch einer ge&#x017F;u&#x0364;nderen Amme<lb/>
zu bieten. Be&#x017F;&#x017F;er al&#x017F;o der Ver&#x017F;uch unterbleibe von<lb/>
Anfang an, wenn vorauszu&#x017F;ehen i&#x017F;t, daß er doch zu<lb/>
keinem guten Re&#x017F;ultate fu&#x0364;hren kann.</p><lb/>
        <p>Fu&#x0364;r den Neugeborenen gibt es keine pa&#x017F;&#x017F;endere<lb/>
Nahrung als die Milch, denn die Natur trifft immer<lb/>
die zweckma&#x0364;ßig&#x017F;te Wahl. Die Milch allein genügt<lb/>
ohne allen Zu&#x017F;atz vollkommen zur Erhaltung des<lb/>
Lebens, da &#x017F;ie alle Be&#x017F;tandtheile entha&#x0364;lt, die zur<lb/>
Erna&#x0364;hrung aller Organe no&#x0364;thig &#x017F;ind. Dabei i&#x017F;t &#x017F;ie<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[78/0088] ihres Lieblings nicht ihr, ſondern einer andern gehoͤrt? Und doch gebietet nicht ſelten das Wohl des Kindes, ſo wie der Mutter, ein Abweichen von dem Gange, welchen die Natur vorgeſchrieben. Manche Mutter iſt auch mit dem beſten Willen nicht im Stande ihr Kind zu ernaͤhren. Jſt ſie von ſehr ſchwaͤchlicher Conſtitution, ſind ihre Nerven hoͤchſt reizbar und laͤßt ſich Anlage zur Schwindſucht bei ihr vermuthen; ſieht man deutlich, daß der Saͤfteverluſt ihre Geſundheit gefaͤhrden wuͤrde, ſo waͤre es unbillig von ihr die Erfuͤllung einer Pflicht zu verlangen, die offenbar ihre Kraͤfte uͤberſteigt. Und was waͤre der Lohn dieſer Aufopfe- rung? — daß ihr Kind mit einer an Nahrungsſtoffen armen, duͤnnen Milch genaͤhrt, doch nur kraͤnkeln und in der Entwickelung zuruͤckbleiben würde, bis man ſich endlich entſchloͤſſe, einen andern Weg ein- zuſchlagen und ihm die Milch einer geſuͤnderen Amme zu bieten. Beſſer alſo der Verſuch unterbleibe von Anfang an, wenn vorauszuſehen iſt, daß er doch zu keinem guten Reſultate fuͤhren kann. Fuͤr den Neugeborenen gibt es keine paſſendere Nahrung als die Milch, denn die Natur trifft immer die zweckmaͤßigſte Wahl. Die Milch allein genügt ohne allen Zuſatz vollkommen zur Erhaltung des Lebens, da ſie alle Beſtandtheile enthaͤlt, die zur Ernaͤhrung aller Organe noͤthig ſind. Dabei iſt ſie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hartwig_erziehung_1847
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hartwig_erziehung_1847/88
Zitationshilfe: Hartwig, Georg Ludwig: Die physische Erziehung der Kinder. Düsseldorf, 1847, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hartwig_erziehung_1847/88>, abgerufen am 25.04.2024.