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Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844.

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Ehrlichkeit reiht sie diese Perlen, Sentenzen und
Gnomen genannt, am Faden auf und schätzt sie
ab; da das Resultat nun aber natürlich eben so
kläglich ausfällt, als wenn man die Philosophie
nach ihrem Reichthum an Leben und Gestalt messen
wollte, so spricht sie mit voller Ueberzeugung ihr
endliches Urtheil dahin aus, daß die Kunst eine
kindische Spielerei sey, wobei ja wohl auch, man
habe Exempel, zuweilen ein von einem reichen Mann
auf der Straße verlornes Goldstück gefunden und
wieder in Cours gesetzt werde. Wer diese Schil-
derung für übertrieben hält, der erinnere sich an
Kant's famosen Ausspruch in der Anthropologie, wo
der Alte vom Berge alles Ernstes erklärt, das poe-
tische Vermögen, von Homer an, beweise Nichts,
als eine Unfähigkeit zum reinen Denken, ohne jedoch
die sich mit Nothwendigkeit ergebende Consequenz
hinzuzufügen, daß auch die Welt in ihrer stammeln-
den Mannigfaltigkeit Nichts beweise, als die Un-
fähigkeit Gottes, einen Monolog zu halten
.

Wenn nun aber das Drama keine geringere,
als die weltgeschichtliche Aufgabe selbst lösen helfen,
wenn es zwischen der Idee und dem Welt- und

Hebbel's Maria Magdalene. c

Ehrlichkeit reiht ſie dieſe Perlen, Sentenzen und
Gnomen genannt, am Faden auf und ſchätzt ſie
ab; da das Reſultat nun aber natürlich eben ſo
kläglich ausfällt, als wenn man die Philoſophie
nach ihrem Reichthum an Leben und Geſtalt meſſen
wollte, ſo ſpricht ſie mit voller Ueberzeugung ihr
endliches Urtheil dahin aus, daß die Kunſt eine
kindiſche Spielerei ſey, wobei ja wohl auch, man
habe Exempel, zuweilen ein von einem reichen Mann
auf der Straße verlornes Goldſtück gefunden und
wieder in Cours geſetzt werde. Wer dieſe Schil-
derung für übertrieben hält, der erinnere ſich an
Kant’s famoſen Ausſpruch in der Anthropologie, wo
der Alte vom Berge alles Ernſtes erklärt, das poe-
tiſche Vermögen, von Homer an, beweiſe Nichts,
als eine Unfähigkeit zum reinen Denken, ohne jedoch
die ſich mit Nothwendigkeit ergebende Conſequenz
hinzuzufügen, daß auch die Welt in ihrer ſtammeln-
den Mannigfaltigkeit Nichts beweiſe, als die Un-
fähigkeit Gottes, einen Monolog zu halten
.

Wenn nun aber das Drama keine geringere,
als die weltgeſchichtliche Aufgabe ſelbſt löſen helfen,
wenn es zwiſchen der Idee und dem Welt- und

Hebbel’s Maria Magdalene. c
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[XXXIII/0053] Ehrlichkeit reiht ſie dieſe Perlen, Sentenzen und Gnomen genannt, am Faden auf und ſchätzt ſie ab; da das Reſultat nun aber natürlich eben ſo kläglich ausfällt, als wenn man die Philoſophie nach ihrem Reichthum an Leben und Geſtalt meſſen wollte, ſo ſpricht ſie mit voller Ueberzeugung ihr endliches Urtheil dahin aus, daß die Kunſt eine kindiſche Spielerei ſey, wobei ja wohl auch, man habe Exempel, zuweilen ein von einem reichen Mann auf der Straße verlornes Goldſtück gefunden und wieder in Cours geſetzt werde. Wer dieſe Schil- derung für übertrieben hält, der erinnere ſich an Kant’s famoſen Ausſpruch in der Anthropologie, wo der Alte vom Berge alles Ernſtes erklärt, das poe- tiſche Vermögen, von Homer an, beweiſe Nichts, als eine Unfähigkeit zum reinen Denken, ohne jedoch die ſich mit Nothwendigkeit ergebende Conſequenz hinzuzufügen, daß auch die Welt in ihrer ſtammeln- den Mannigfaltigkeit Nichts beweiſe, als die Un- fähigkeit Gottes, einen Monolog zu halten. Wenn nun aber das Drama keine geringere, als die weltgeſchichtliche Aufgabe ſelbſt löſen helfen, wenn es zwiſchen der Idee und dem Welt- und Hebbel’s Maria Magdalene. c

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Zitationshilfe: Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844, S. XXXIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hebbel_magdalene_1844/53>, abgerufen am 18.05.2024.