Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heeren, Arnold H. L.: Geschichte des Europäischen Staatensystems und seiner Kolonien. Göttingen, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite
II. Per. B. II. Gesch. d. nördl. Eur. Staatensyst.

1. Keiner der bisherigen Zeiträume ward für die
Geschichte des Nordens von so entscheidender Wich-
tigkeit als der gegenwärtige. Es war nicht blos
Umformung der wechselseitigen Verhältnisse der
Staaten; es war eine neue Welt, die dort sich bil-
dete. Bereits die frühern Perioden zeigten, daß
große Kräfte dort aufgeregt waren; aber es fehlte
an Herrschern, welche sie zweckmäßig zu leiten wußten.

2. Die sämmtlichen Glieder des nördlichen
Staatensystems hatten gegen das Ende des vorigen
Zeitraums ihre Beherrscher gewechselt; und meisten-
theils giengen die Veränderungen, welche die Staa-
ten erfuhren, aus den Eigenthümlichkeiten der
neuen Herrscher hervor. Aber wenn gleich alle
Staaten des Nordens von dem großen Sturm er-
griffen wurden; so waren es doch Rußland und
Schweden, deren Kampf die Entscheidung brachte.
In Peter dem Großen und Carl XII. standen
sich zwey Fürsten gegenüber, beyde von gleicher Kraft
und gleich eisernem Willen; aber darin wesentlich
verschieden, daß dieser Wille bey dem erstern durch
die Vernunft, bey dem andern durch die Leiden-
schaft gelenkt ward. Und diese Verschiedenheit war
es, die das Schicksal ihrer Reiche am Ende ent-
scheiden mußte, und wirklich entschied. Waren
auch beyde colossalischer Entwürfe fähig, so giengen

doch
II. Per. B. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.

1. Keiner der bisherigen Zeitraͤume ward fuͤr die
Geſchichte des Nordens von ſo entſcheidender Wich-
tigkeit als der gegenwaͤrtige. Es war nicht blos
Umformung der wechſelſeitigen Verhaͤltniſſe der
Staaten; es war eine neue Welt, die dort ſich bil-
dete. Bereits die fruͤhern Perioden zeigten, daß
große Kraͤfte dort aufgeregt waren; aber es fehlte
an Herrſchern, welche ſie zweckmaͤßig zu leiten wußten.

2. Die ſaͤmmtlichen Glieder des noͤrdlichen
Staatenſyſtems hatten gegen das Ende des vorigen
Zeitraums ihre Beherrſcher gewechſelt; und meiſten-
theils giengen die Veraͤnderungen, welche die Staa-
ten erfuhren, aus den Eigenthuͤmlichkeiten der
neuen Herrſcher hervor. Aber wenn gleich alle
Staaten des Nordens von dem großen Sturm er-
griffen wurden; ſo waren es doch Rußland und
Schweden, deren Kampf die Entſcheidung brachte.
In Peter dem Großen und Carl XII. ſtanden
ſich zwey Fuͤrſten gegenuͤber, beyde von gleicher Kraft
und gleich eiſernem Willen; aber darin weſentlich
verſchieden, daß dieſer Wille bey dem erſtern durch
die Vernunft, bey dem andern durch die Leiden-
ſchaft gelenkt ward. Und dieſe Verſchiedenheit war
es, die das Schickſal ihrer Reiche am Ende ent-
ſcheiden mußte, und wirklich entſchied. Waren
auch beyde coloſſaliſcher Entwuͤrfe faͤhig, ſo giengen

doch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0374" n="336"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">II.</hi> Per. <hi rendition="#aq">B. II.</hi> Ge&#x017F;ch. d. no&#x0364;rdl. Eur. Staaten&#x017F;y&#x017F;t.</hi> </fw><lb/>
              <p>1. <hi rendition="#in">K</hi>einer der bisherigen Zeitra&#x0364;ume ward fu&#x0364;r die<lb/>
Ge&#x017F;chichte des Nordens von &#x017F;o ent&#x017F;cheidender Wich-<lb/>
tigkeit als der gegenwa&#x0364;rtige. Es war nicht blos<lb/>
Umformung der wech&#x017F;el&#x017F;eitigen Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e der<lb/>
Staaten; es war eine neue Welt, die dort &#x017F;ich bil-<lb/>
dete. Bereits die fru&#x0364;hern Perioden zeigten, daß<lb/>
große Kra&#x0364;fte dort aufgeregt waren; aber es fehlte<lb/>
an Herr&#x017F;chern, welche &#x017F;ie zweckma&#x0364;ßig zu leiten wußten.</p><lb/>
              <p>2. Die &#x017F;a&#x0364;mmtlichen Glieder des no&#x0364;rdlichen<lb/>
Staaten&#x017F;y&#x017F;tems hatten gegen das Ende des vorigen<lb/>
Zeitraums ihre Beherr&#x017F;cher gewech&#x017F;elt; und mei&#x017F;ten-<lb/>
theils giengen die Vera&#x0364;nderungen, welche die Staa-<lb/>
ten erfuhren, aus den Eigenthu&#x0364;mlichkeiten der<lb/>
neuen Herr&#x017F;cher hervor. Aber wenn gleich <hi rendition="#g">alle</hi><lb/>
Staaten des Nordens von dem großen Sturm er-<lb/>
griffen wurden; &#x017F;o waren es doch Rußland und<lb/>
Schweden, deren Kampf die Ent&#x017F;cheidung brachte.<lb/>
In <hi rendition="#g">Peter dem Großen</hi> und <hi rendition="#g">Carl</hi> <hi rendition="#aq">XII.</hi> &#x017F;tanden<lb/>
&#x017F;ich zwey Fu&#x0364;r&#x017F;ten gegenu&#x0364;ber, beyde von gleicher Kraft<lb/>
und gleich ei&#x017F;ernem Willen; aber darin we&#x017F;entlich<lb/>
ver&#x017F;chieden, daß die&#x017F;er Wille bey dem er&#x017F;tern durch<lb/>
die Vernunft, bey dem andern durch die Leiden-<lb/>
&#x017F;chaft gelenkt ward. Und die&#x017F;e Ver&#x017F;chiedenheit war<lb/>
es, die das Schick&#x017F;al ihrer Reiche am Ende ent-<lb/>
&#x017F;cheiden mußte, und wirklich ent&#x017F;chied. Waren<lb/>
auch beyde colo&#x017F;&#x017F;ali&#x017F;cher Entwu&#x0364;rfe fa&#x0364;hig, &#x017F;o giengen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">doch</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[336/0374] II. Per. B. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt. 1. Keiner der bisherigen Zeitraͤume ward fuͤr die Geſchichte des Nordens von ſo entſcheidender Wich- tigkeit als der gegenwaͤrtige. Es war nicht blos Umformung der wechſelſeitigen Verhaͤltniſſe der Staaten; es war eine neue Welt, die dort ſich bil- dete. Bereits die fruͤhern Perioden zeigten, daß große Kraͤfte dort aufgeregt waren; aber es fehlte an Herrſchern, welche ſie zweckmaͤßig zu leiten wußten. 2. Die ſaͤmmtlichen Glieder des noͤrdlichen Staatenſyſtems hatten gegen das Ende des vorigen Zeitraums ihre Beherrſcher gewechſelt; und meiſten- theils giengen die Veraͤnderungen, welche die Staa- ten erfuhren, aus den Eigenthuͤmlichkeiten der neuen Herrſcher hervor. Aber wenn gleich alle Staaten des Nordens von dem großen Sturm er- griffen wurden; ſo waren es doch Rußland und Schweden, deren Kampf die Entſcheidung brachte. In Peter dem Großen und Carl XII. ſtanden ſich zwey Fuͤrſten gegenuͤber, beyde von gleicher Kraft und gleich eiſernem Willen; aber darin weſentlich verſchieden, daß dieſer Wille bey dem erſtern durch die Vernunft, bey dem andern durch die Leiden- ſchaft gelenkt ward. Und dieſe Verſchiedenheit war es, die das Schickſal ihrer Reiche am Ende ent- ſcheiden mußte, und wirklich entſchied. Waren auch beyde coloſſaliſcher Entwuͤrfe faͤhig, ſo giengen doch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heeren_staatensystem_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heeren_staatensystem_1809/374
Zitationshilfe: Heeren, Arnold H. L.: Geschichte des Europäischen Staatensystems und seiner Kolonien. Göttingen, 1809, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heeren_staatensystem_1809/374>, abgerufen am 06.05.2024.