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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Erstes Buch. §. 43.
lich abfließenden Gewässers, 1 und andererseits die freie Heraus-
lassung eines fließenden Wassers in den Nachbarstaat (vergl.
§. 33.), worauf sich unbedenklich auch die privatrechtlichen Vor-
schriften des Römischen Weltrechts anwenden lassen.

Außerdem sind aber noch gewisse positive Beschränkungen der
Staatsgewalten denkbar durch gewillkührte Staatsdienstbarkeiten
(servitutes iuris gentium voluntariae), d. i. durch jedes von
dem Willen eines Staates unabhängig gestellte Recht eines ihm
nicht unterworfenen Subjects, wodurch jenem die freie Ausübung
seiner Hoheitsgewalt in Betreff eines oder des anderen Gegenstan-
des entzogen wird.

Die dabei vorkommenden Subjecte sind: ein berechtigter Staat,
zu dessen Gunsten eine solche Beschränkung der fremden Staatsge-
walt besteht, oder, was jedoch nur selten der Fall sein wird, ein
von dem verpflichteten Staat unabhängiges, durch das Völkerrecht
geschütztes Individuum; 2 sodann ein verpflichteter, an sich selb-
ständiger Staat; auch kann eine und dieselbe Dienstbarkeit gegen-
seitig zustehen, z. B. in Betreff der Besteuerung.

Die Gegenstände, worauf sich dergleichen Dienstbarkeiten er-
strecken, sind lediglich und allein Rechte der Staatsgewalt, sowohl
hohe wie niedere Regalien des verpflichteten Landes; überhaupt nur
öffentliches Eigenthum, nicht aber Privatrechte und Privateigen-
thum desselben oder seiner Unterthanen, wiewohl diese mittelbar
durch eine Dienstbarkeit berührt werden können. 3

Die Wirkung einer Staatsdienstbarkeit besteht darin, daß ent-
weder der Berechtigte zu seinem Vortheil eine hoheitliche Befugniß
in dem fremden Staate als seine eigene übernimmt und unabhän-

1 "Semper haec est servitus inferiorum praediorum, ut natura pro-
fluentem aquam recipiant. L. I. §. 22. D. de aqua.
Ueber die hierbei
eintretenden ferneren Verhältnisse vergl. Hirt, S. 135 f.
2 So ist das im R. D. H. Schl. von 1803. §. 13., und in der Deutschen
B. Acte Art. 17. geschützte Postrecht des Hauses Thurn und Taxis, sofern
nicht durch Verträge Etwas geändert ist, immerhin eine völkerrechtliche
Servitut. Dagegen ist allerdings keine Servitut von der obigen Beschaf-
fenheit denkbar, wenn ein Staat seinem eigenen Unterthan, oder selbst ei-
nem fremden, ohne völkerrechtliche Garantie ein Hoheitsrecht zugesteht.
Vielmehr ist hier die Concession lediglich nach dem inneren Staatsrecht zu
beurtheilen. Vergl. Engelbrecht II, 1, 12.
3 Vergl. Gönner, a. O. §. 27--36. Klüber, §. 138.

Erſtes Buch. §. 43.
lich abfließenden Gewäſſers, 1 und andererſeits die freie Heraus-
laſſung eines fließenden Waſſers in den Nachbarſtaat (vergl.
§. 33.), worauf ſich unbedenklich auch die privatrechtlichen Vor-
ſchriften des Römiſchen Weltrechts anwenden laſſen.

Außerdem ſind aber noch gewiſſe poſitive Beſchränkungen der
Staatsgewalten denkbar durch gewillkührte Staatsdienſtbarkeiten
(servitutes iuris gentium voluntariae), d. i. durch jedes von
dem Willen eines Staates unabhängig geſtellte Recht eines ihm
nicht unterworfenen Subjects, wodurch jenem die freie Ausübung
ſeiner Hoheitsgewalt in Betreff eines oder des anderen Gegenſtan-
des entzogen wird.

Die dabei vorkommenden Subjecte ſind: ein berechtigter Staat,
zu deſſen Gunſten eine ſolche Beſchränkung der fremden Staatsge-
walt beſteht, oder, was jedoch nur ſelten der Fall ſein wird, ein
von dem verpflichteten Staat unabhängiges, durch das Völkerrecht
geſchütztes Individuum; 2 ſodann ein verpflichteter, an ſich ſelb-
ſtändiger Staat; auch kann eine und dieſelbe Dienſtbarkeit gegen-
ſeitig zuſtehen, z. B. in Betreff der Beſteuerung.

Die Gegenſtände, worauf ſich dergleichen Dienſtbarkeiten er-
ſtrecken, ſind lediglich und allein Rechte der Staatsgewalt, ſowohl
hohe wie niedere Regalien des verpflichteten Landes; überhaupt nur
öffentliches Eigenthum, nicht aber Privatrechte und Privateigen-
thum deſſelben oder ſeiner Unterthanen, wiewohl dieſe mittelbar
durch eine Dienſtbarkeit berührt werden können. 3

Die Wirkung einer Staatsdienſtbarkeit beſteht darin, daß ent-
weder der Berechtigte zu ſeinem Vortheil eine hoheitliche Befugniß
in dem fremden Staate als ſeine eigene übernimmt und unabhän-

1 „Semper haec est servitus inferiorum praediorum, ut natura pro-
fluentem aquam recipiant. L. I. §. 22. D. de aqua.
Ueber die hierbei
eintretenden ferneren Verhältniſſe vergl. Hirt, S. 135 f.
2 So iſt das im R. D. H. Schl. von 1803. §. 13., und in der Deutſchen
B. Acte Art. 17. geſchützte Poſtrecht des Hauſes Thurn und Taxis, ſofern
nicht durch Verträge Etwas geändert iſt, immerhin eine völkerrechtliche
Servitut. Dagegen iſt allerdings keine Servitut von der obigen Beſchaf-
fenheit denkbar, wenn ein Staat ſeinem eigenen Unterthan, oder ſelbſt ei-
nem fremden, ohne völkerrechtliche Garantie ein Hoheitsrecht zugeſteht.
Vielmehr iſt hier die Conceſſion lediglich nach dem inneren Staatsrecht zu
beurtheilen. Vergl. Engelbrecht II, 1, 12.
3 Vergl. Gönner, a. O. §. 27—36. Klüber, §. 138.
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[82/0106] Erſtes Buch. §. 43. lich abfließenden Gewäſſers, 1 und andererſeits die freie Heraus- laſſung eines fließenden Waſſers in den Nachbarſtaat (vergl. §. 33.), worauf ſich unbedenklich auch die privatrechtlichen Vor- ſchriften des Römiſchen Weltrechts anwenden laſſen. Außerdem ſind aber noch gewiſſe poſitive Beſchränkungen der Staatsgewalten denkbar durch gewillkührte Staatsdienſtbarkeiten (servitutes iuris gentium voluntariae), d. i. durch jedes von dem Willen eines Staates unabhängig geſtellte Recht eines ihm nicht unterworfenen Subjects, wodurch jenem die freie Ausübung ſeiner Hoheitsgewalt in Betreff eines oder des anderen Gegenſtan- des entzogen wird. Die dabei vorkommenden Subjecte ſind: ein berechtigter Staat, zu deſſen Gunſten eine ſolche Beſchränkung der fremden Staatsge- walt beſteht, oder, was jedoch nur ſelten der Fall ſein wird, ein von dem verpflichteten Staat unabhängiges, durch das Völkerrecht geſchütztes Individuum; 2 ſodann ein verpflichteter, an ſich ſelb- ſtändiger Staat; auch kann eine und dieſelbe Dienſtbarkeit gegen- ſeitig zuſtehen, z. B. in Betreff der Beſteuerung. Die Gegenſtände, worauf ſich dergleichen Dienſtbarkeiten er- ſtrecken, ſind lediglich und allein Rechte der Staatsgewalt, ſowohl hohe wie niedere Regalien des verpflichteten Landes; überhaupt nur öffentliches Eigenthum, nicht aber Privatrechte und Privateigen- thum deſſelben oder ſeiner Unterthanen, wiewohl dieſe mittelbar durch eine Dienſtbarkeit berührt werden können. 3 Die Wirkung einer Staatsdienſtbarkeit beſteht darin, daß ent- weder der Berechtigte zu ſeinem Vortheil eine hoheitliche Befugniß in dem fremden Staate als ſeine eigene übernimmt und unabhän- 1 „Semper haec est servitus inferiorum praediorum, ut natura pro- fluentem aquam recipiant. L. I. §. 22. D. de aqua. Ueber die hierbei eintretenden ferneren Verhältniſſe vergl. Hirt, S. 135 f. 2 So iſt das im R. D. H. Schl. von 1803. §. 13., und in der Deutſchen B. Acte Art. 17. geſchützte Poſtrecht des Hauſes Thurn und Taxis, ſofern nicht durch Verträge Etwas geändert iſt, immerhin eine völkerrechtliche Servitut. Dagegen iſt allerdings keine Servitut von der obigen Beſchaf- fenheit denkbar, wenn ein Staat ſeinem eigenen Unterthan, oder ſelbſt ei- nem fremden, ohne völkerrechtliche Garantie ein Hoheitsrecht zugeſteht. Vielmehr iſt hier die Conceſſion lediglich nach dem inneren Staatsrecht zu beurtheilen. Vergl. Engelbrecht II, 1, 12. 3 Vergl. Gönner, a. O. §. 27—36. Klüber, §. 138.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/106>, abgerufen am 01.05.2024.