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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Erstes Buch. §. 54.
kömmliche Cerimoniell des Empfanges und der Behandlung, gemäß
dem Range des fremden Souveräns, wenn dieser nicht etwa aus-
drücklich oder stillschweigend durch Annahme eines Incognito 1
oder eines Dienstverhältnisses verzichtet, oder wenn er nicht etwa
gegen den Willen der auswärtigen Staatsgewalt deren Gebiet be-
tritt; 2 sodann das Recht der Exterritorialität sowohl für
sich, wie für seine Begleiter und die zum persönlichen Bedarf ge-
hörigen Sachen (§. 42.). Als darin eingeschlossen gilt die Be-
freiung von allen persönlichen Abgaben an den fremden Staat;
ja sogar eine eigene Gerichtsbarkeit über seine Angehörigen, frei-
lich aber bloß in demjenigen Umfange, in welchem er sie in seinem
eigenen Staate selbst ausüben, oder durch außerordentlich Beauf-
tragte ausüben lassen könnte; überdem wohl nur ausnahmsweise
in dringenden Fällen, vorzüglich der freiwilligen Gerichtsbarkeit. 3

Unfehlbar gehört die Feststellung dieses Rechts der Exterrito-
rialität erst dem neueren Völkerrecht an. Im Mittelalter findet
sich kein bestimmter derartiger Rechtsstand der Souveräne; 4 so-
gar die Doctrin hat ihn noch längere Zeit in Zweifel gezogen. 5
Folgerichtig fließt derselbe aus dem Princip der Gleichheit der
Souveräne (§. praes.)


1 Dabei Unterschied des strengen oder völligen Incognito und des einfachen
Incognito unter fremdem Namen. J. J. Moser, Grds. d. V. in Frie-
densz. S. 128 f. Jo. Chr. Dresler, de iurib. principis incognito pere-
grinantis odiosis. Martisb.
1730. Günther, I, 478.
2 Daher vorläufige Anfragen.
3 Der Souverän eines Landes kann in einem auswärtigen Staate kein grö-
ßeres Recht über die Seinen oder in Verwaltung der Hoheitsrechte haben
als daheim. Und da der Aufenthalt im fremden Staat von dessen Bewil-
ligung abhängig ist, so kann dieser natürlich auch die Bedingungen stellen
oder gegen die Ausübung einer ihm mißfälligen Gerichtsbarkeit interveniren,
indem er augenblickliche Entfernung fordert.
4 Gefangennehmungen und verdrießliche Behandlungen fremder Fürsten wa-
ren im Mittelalter selbst ohne erklärten Krieg nichts Seltenes. Ward, hi-
story I,
279. Pütter, Beitr. z. Völkerr. Gesch. S. 115.
5 Z. B. selbst Cocceji, de fundata in territorio et plur. concurr. potestate
II, §. 12. Leibnitz, de jure supremat. cap. XXV.
Aber s. Jo. Tes-
mar, tribunal principis peregrinantis. Marp. 1675. Stephan. Cassius,
de iure et iud. legator. II, 18. Bynkersh., de jud. comp. leg. III,
3 sq.
Franz Joach. Chst. v. Grape, Unters., ob der Souverän eines Staa-
tes der Souveränetät dessen unterworfen sei, wo er sich befindet? Frkf.
Leipz. 1752 und so die Neueren. Unbestimmt noch Günther I, 480.

Erſtes Buch. §. 54.
kömmliche Cerimoniell des Empfanges und der Behandlung, gemäß
dem Range des fremden Souveräns, wenn dieſer nicht etwa aus-
drücklich oder ſtillſchweigend durch Annahme eines Incognito 1
oder eines Dienſtverhältniſſes verzichtet, oder wenn er nicht etwa
gegen den Willen der auswärtigen Staatsgewalt deren Gebiet be-
tritt; 2 ſodann das Recht der Exterritorialität ſowohl für
ſich, wie für ſeine Begleiter und die zum perſönlichen Bedarf ge-
hörigen Sachen (§. 42.). Als darin eingeſchloſſen gilt die Be-
freiung von allen perſönlichen Abgaben an den fremden Staat;
ja ſogar eine eigene Gerichtsbarkeit über ſeine Angehörigen, frei-
lich aber bloß in demjenigen Umfange, in welchem er ſie in ſeinem
eigenen Staate ſelbſt ausüben, oder durch außerordentlich Beauf-
tragte ausüben laſſen könnte; überdem wohl nur ausnahmsweiſe
in dringenden Fällen, vorzüglich der freiwilligen Gerichtsbarkeit. 3

Unfehlbar gehört die Feſtſtellung dieſes Rechts der Exterrito-
rialität erſt dem neueren Völkerrecht an. Im Mittelalter findet
ſich kein beſtimmter derartiger Rechtsſtand der Souveräne; 4 ſo-
gar die Doctrin hat ihn noch längere Zeit in Zweifel gezogen. 5
Folgerichtig fließt derſelbe aus dem Princip der Gleichheit der
Souveräne (§. praes.)


1 Dabei Unterſchied des ſtrengen oder völligen Incognito und des einfachen
Incognito unter fremdem Namen. J. J. Moſer, Grdſ. d. V. in Frie-
densz. S. 128 f. Jo. Chr. Dresler, de iurib. principis incognito pere-
grinantis odiosis. Martisb.
1730. Günther, I, 478.
2 Daher vorläufige Anfragen.
3 Der Souverän eines Landes kann in einem auswärtigen Staate kein grö-
ßeres Recht über die Seinen oder in Verwaltung der Hoheitsrechte haben
als daheim. Und da der Aufenthalt im fremden Staat von deſſen Bewil-
ligung abhängig iſt, ſo kann dieſer natürlich auch die Bedingungen ſtellen
oder gegen die Ausübung einer ihm mißfälligen Gerichtsbarkeit interveniren,
indem er augenblickliche Entfernung fordert.
4 Gefangennehmungen und verdrießliche Behandlungen fremder Fürſten wa-
ren im Mittelalter ſelbſt ohne erklärten Krieg nichts Seltenes. Ward, hi-
story I,
279. Pütter, Beitr. z. Völkerr. Geſch. S. 115.
5 Z. B. ſelbſt Cocceji, de fundata in territorio et plur. concurr. potestate
II, §. 12. Leibnitz, de jure supremat. cap. XXV.
Aber ſ. Jo. Tes-
mar, tribunal principis peregrinantis. Marp. 1675. Stephan. Cassius,
de iure et iud. legator. II, 18. Bynkersh., de jud. comp. leg. III,
3 sq.
Franz Joach. Chſt. v. Grape, Unterſ., ob der Souverän eines Staa-
tes der Souveränetät deſſen unterworfen ſei, wo er ſich befindet? Frkf.
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[100/0124] Erſtes Buch. §. 54. kömmliche Cerimoniell des Empfanges und der Behandlung, gemäß dem Range des fremden Souveräns, wenn dieſer nicht etwa aus- drücklich oder ſtillſchweigend durch Annahme eines Incognito 1 oder eines Dienſtverhältniſſes verzichtet, oder wenn er nicht etwa gegen den Willen der auswärtigen Staatsgewalt deren Gebiet be- tritt; 2 ſodann das Recht der Exterritorialität ſowohl für ſich, wie für ſeine Begleiter und die zum perſönlichen Bedarf ge- hörigen Sachen (§. 42.). Als darin eingeſchloſſen gilt die Be- freiung von allen perſönlichen Abgaben an den fremden Staat; ja ſogar eine eigene Gerichtsbarkeit über ſeine Angehörigen, frei- lich aber bloß in demjenigen Umfange, in welchem er ſie in ſeinem eigenen Staate ſelbſt ausüben, oder durch außerordentlich Beauf- tragte ausüben laſſen könnte; überdem wohl nur ausnahmsweiſe in dringenden Fällen, vorzüglich der freiwilligen Gerichtsbarkeit. 3 Unfehlbar gehört die Feſtſtellung dieſes Rechts der Exterrito- rialität erſt dem neueren Völkerrecht an. Im Mittelalter findet ſich kein beſtimmter derartiger Rechtsſtand der Souveräne; 4 ſo- gar die Doctrin hat ihn noch längere Zeit in Zweifel gezogen. 5 Folgerichtig fließt derſelbe aus dem Princip der Gleichheit der Souveräne (§. praes.) 1 Dabei Unterſchied des ſtrengen oder völligen Incognito und des einfachen Incognito unter fremdem Namen. J. J. Moſer, Grdſ. d. V. in Frie- densz. S. 128 f. Jo. Chr. Dresler, de iurib. principis incognito pere- grinantis odiosis. Martisb. 1730. Günther, I, 478. 2 Daher vorläufige Anfragen. 3 Der Souverän eines Landes kann in einem auswärtigen Staate kein grö- ßeres Recht über die Seinen oder in Verwaltung der Hoheitsrechte haben als daheim. Und da der Aufenthalt im fremden Staat von deſſen Bewil- ligung abhängig iſt, ſo kann dieſer natürlich auch die Bedingungen ſtellen oder gegen die Ausübung einer ihm mißfälligen Gerichtsbarkeit interveniren, indem er augenblickliche Entfernung fordert. 4 Gefangennehmungen und verdrießliche Behandlungen fremder Fürſten wa- ren im Mittelalter ſelbſt ohne erklärten Krieg nichts Seltenes. Ward, hi- story I, 279. Pütter, Beitr. z. Völkerr. Geſch. S. 115. 5 Z. B. ſelbſt Cocceji, de fundata in territorio et plur. concurr. potestate II, §. 12. Leibnitz, de jure supremat. cap. XXV. Aber ſ. Jo. Tes- mar, tribunal principis peregrinantis. Marp. 1675. Stephan. Cassius, de iure et iud. legator. II, 18. Bynkersh., de jud. comp. leg. III, 3 sq. Franz Joach. Chſt. v. Grape, Unterſ., ob der Souverän eines Staa- tes der Souveränetät deſſen unterworfen ſei, wo er ſich befindet? Frkf. Leipz. 1752 und ſo die Neueren. Unbeſtimmt noch Günther I, 480.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/124>, abgerufen am 29.04.2024.