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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Zweites Buch. §. 136.
desselben dem früheren Eigenthümer einen Rechtsanspruch auf Wie-
dererlangung des weggenommenen Gutes gegen den Besitzer zuge-
stehen wolle, welcher seiner Gerichtsbarkeit unterworfen ist; aber
es existirt durchaus kein alle Staaten verpflichtender Grundsatz,
eine unter gewissen Umständen gemachte Beute als unwiderrufli-
ches Eigenthum des Beutemachenden und seiner Nachfolger im Besitz
gelten zu lassen, wenn nicht Friedens- und andere Verträge dem
Besitzstand einen solchen Character ertheilen.

So giebt es denn auch kein allgemeines völkerrechtliches Ge-
setz, mit welchem Zeitpunct das Eigenthum auf den Beutemachen-
den übergeht, weil die Statuirung des Eigenthums selbst nur auf
der Auctorität der Einzelstaaten beruhet. 1 In älterer Zeit galt
dem Römischen Völkerrecht gemäß für die meisten Europäischen
Völker als Zeitpunct der vollendeten Kriegsappropriation kein an-
derer als der der vollendeten ausschließlichen Besitzergreifung selbst,
welche nicht mehr durch den bisherigen Eigenthümer oder seine
Hilfsgenossen verhindert wird, mithin sobald das erbeutete Gut in
Sicherheit gegen eine unmittelbare Wiedernahme gebracht ist, und
die letztere nur durch eine völlig neue Kraftanstrengung oder durch
unabhängige Zufälligkeiten bewirkt werden mag. Die Beute ist
dagegen noch nicht gemacht, so lange dieselbe Action noch fort-
dauert und ein ohne Unterbrechung fortgesetzter Kampf das Ver-
lorene wiedergeben könnte. 2 Denselben Zeitpunct haben auch noch
manche neuere Codificationen beihehalten. 3 Wegen der Schwie-
rigkeit seiner Feststellung hat man auch wohl eine vierundzwanzig-
stündige Dauer des Besitzes als maaßgebend und entscheidend für
den Eigenthumsübergang wie bei der Seebeute angewendet 4 und

1 Vgl. Cocceji zu Groot III, 6, 3. a. E.
2 Wegen der hier Statt findenden Bedenken in der Auslegung des Römischen
Rechts vgl. Ziegler de jurib. majestat. I, 33, §. 79. Allein die Grund-
sätze über die Vollendung einer Besitzergreifung sind keinem erheblichen
Zweifel unterworfen. Zu berücksichtigen ist vorzüglich auch l. 3. §. 9. D. de vi.
3 So das Allg. L. R. für die Preuß. Staaten I, 9, §. 201. "Die Beute
ist erst alsdann für erobert zu achten, wenn sie von den Truppen, welche
sie gemacht haben, bis in ihr Lager, Nachtquartier oder sonst in völlige
Sicherheit gebracht worden. §. 202. So lange der Feind noch verfolgt
wird, bleibt dem vorigen Eigenthümer der abgenommenen Sachen sein Recht
darauf vorbehalten."
4 So nach de Thou bei Eroberung und Wiedernahme der Stadt Lierre
in Brabant, 1595.

Zweites Buch. §. 136.
deſſelben dem früheren Eigenthümer einen Rechtsanſpruch auf Wie-
dererlangung des weggenommenen Gutes gegen den Beſitzer zuge-
ſtehen wolle, welcher ſeiner Gerichtsbarkeit unterworfen iſt; aber
es exiſtirt durchaus kein alle Staaten verpflichtender Grundſatz,
eine unter gewiſſen Umſtänden gemachte Beute als unwiderrufli-
ches Eigenthum des Beutemachenden und ſeiner Nachfolger im Beſitz
gelten zu laſſen, wenn nicht Friedens- und andere Verträge dem
Beſitzſtand einen ſolchen Character ertheilen.

So giebt es denn auch kein allgemeines völkerrechtliches Ge-
ſetz, mit welchem Zeitpunct das Eigenthum auf den Beutemachen-
den übergeht, weil die Statuirung des Eigenthums ſelbſt nur auf
der Auctorität der Einzelſtaaten beruhet. 1 In älterer Zeit galt
dem Römiſchen Völkerrecht gemäß für die meiſten Europäiſchen
Völker als Zeitpunct der vollendeten Kriegsappropriation kein an-
derer als der der vollendeten ausſchließlichen Beſitzergreifung ſelbſt,
welche nicht mehr durch den bisherigen Eigenthümer oder ſeine
Hilfsgenoſſen verhindert wird, mithin ſobald das erbeutete Gut in
Sicherheit gegen eine unmittelbare Wiedernahme gebracht iſt, und
die letztere nur durch eine völlig neue Kraftanſtrengung oder durch
unabhängige Zufälligkeiten bewirkt werden mag. Die Beute iſt
dagegen noch nicht gemacht, ſo lange dieſelbe Action noch fort-
dauert und ein ohne Unterbrechung fortgeſetzter Kampf das Ver-
lorene wiedergeben könnte. 2 Denſelben Zeitpunct haben auch noch
manche neuere Codificationen beihehalten. 3 Wegen der Schwie-
rigkeit ſeiner Feſtſtellung hat man auch wohl eine vierundzwanzig-
ſtündige Dauer des Beſitzes als maaßgebend und entſcheidend für
den Eigenthumsübergang wie bei der Seebeute angewendet 4 und

1 Vgl. Cocceji zu Groot III, 6, 3. a. E.
2 Wegen der hier Statt findenden Bedenken in der Auslegung des Römiſchen
Rechts vgl. Ziegler de jurib. majestat. I, 33, §. 79. Allein die Grund-
ſätze über die Vollendung einer Beſitzergreifung ſind keinem erheblichen
Zweifel unterworfen. Zu berückſichtigen iſt vorzüglich auch l. 3. §. 9. D. de vi.
3 So das Allg. L. R. für die Preuß. Staaten I, 9, §. 201. „Die Beute
iſt erſt alsdann für erobert zu achten, wenn ſie von den Truppen, welche
ſie gemacht haben, bis in ihr Lager, Nachtquartier oder ſonſt in völlige
Sicherheit gebracht worden. §. 202. So lange der Feind noch verfolgt
wird, bleibt dem vorigen Eigenthümer der abgenommenen Sachen ſein Recht
darauf vorbehalten.“
4 So nach de Thou bei Eroberung und Wiedernahme der Stadt Lierre
in Brabant, 1595.
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[230/0254] Zweites Buch. §. 136. deſſelben dem früheren Eigenthümer einen Rechtsanſpruch auf Wie- dererlangung des weggenommenen Gutes gegen den Beſitzer zuge- ſtehen wolle, welcher ſeiner Gerichtsbarkeit unterworfen iſt; aber es exiſtirt durchaus kein alle Staaten verpflichtender Grundſatz, eine unter gewiſſen Umſtänden gemachte Beute als unwiderrufli- ches Eigenthum des Beutemachenden und ſeiner Nachfolger im Beſitz gelten zu laſſen, wenn nicht Friedens- und andere Verträge dem Beſitzſtand einen ſolchen Character ertheilen. So giebt es denn auch kein allgemeines völkerrechtliches Ge- ſetz, mit welchem Zeitpunct das Eigenthum auf den Beutemachen- den übergeht, weil die Statuirung des Eigenthums ſelbſt nur auf der Auctorität der Einzelſtaaten beruhet. 1 In älterer Zeit galt dem Römiſchen Völkerrecht gemäß für die meiſten Europäiſchen Völker als Zeitpunct der vollendeten Kriegsappropriation kein an- derer als der der vollendeten ausſchließlichen Beſitzergreifung ſelbſt, welche nicht mehr durch den bisherigen Eigenthümer oder ſeine Hilfsgenoſſen verhindert wird, mithin ſobald das erbeutete Gut in Sicherheit gegen eine unmittelbare Wiedernahme gebracht iſt, und die letztere nur durch eine völlig neue Kraftanſtrengung oder durch unabhängige Zufälligkeiten bewirkt werden mag. Die Beute iſt dagegen noch nicht gemacht, ſo lange dieſelbe Action noch fort- dauert und ein ohne Unterbrechung fortgeſetzter Kampf das Ver- lorene wiedergeben könnte. 2 Denſelben Zeitpunct haben auch noch manche neuere Codificationen beihehalten. 3 Wegen der Schwie- rigkeit ſeiner Feſtſtellung hat man auch wohl eine vierundzwanzig- ſtündige Dauer des Beſitzes als maaßgebend und entſcheidend für den Eigenthumsübergang wie bei der Seebeute angewendet 4 und 1 Vgl. Cocceji zu Groot III, 6, 3. a. E. 2 Wegen der hier Statt findenden Bedenken in der Auslegung des Römiſchen Rechts vgl. Ziegler de jurib. majestat. I, 33, §. 79. Allein die Grund- ſätze über die Vollendung einer Beſitzergreifung ſind keinem erheblichen Zweifel unterworfen. Zu berückſichtigen iſt vorzüglich auch l. 3. §. 9. D. de vi. 3 So das Allg. L. R. für die Preuß. Staaten I, 9, §. 201. „Die Beute iſt erſt alsdann für erobert zu achten, wenn ſie von den Truppen, welche ſie gemacht haben, bis in ihr Lager, Nachtquartier oder ſonſt in völlige Sicherheit gebracht worden. §. 202. So lange der Feind noch verfolgt wird, bleibt dem vorigen Eigenthümer der abgenommenen Sachen ſein Recht darauf vorbehalten.“ 4 So nach de Thou bei Eroberung und Wiedernahme der Stadt Lierre in Brabant, 1595.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/254>, abgerufen am 28.04.2024.