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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§. 140. Völkerrecht im Zustand des Unfriedens.
her noch immer ziemlich dasselbe Ziel zu erreichen gewußt, indem
man nämlich dergleichen Sachen unter dem Titel von Repressalien
sogleich im Anfange des Krieges, ja sogar oft ohne ausdrückliche
Kriegserklärung, mit Beschlag belegt und dann confiscirt. 1 Die-
ses Schicksal betrifft vorzüglich die feindlichen Schiffe, welche sich
zufällig zu dieser Zeit in den Häfen eines Kriegstheiles befinden
und mit einem Embargo bestrickt werden können. Es trifft fer-
ner die Waaren, welche ein Unterthan des feindlichen Staates in
dem anderen Staate gekauft und für seine Rechnung liegen hat,
ferner die Waaren und sonstiges Eigenthum von feindlichen Un-
terthanen, die sich bisher sogar längere Zeit hindurch friedlich für
ihren Geschäftsverkehr in dem auswärtigen Gebiet aufgehalten ha-
ben. Die Prisengerichte mächtiger Staaten haben dann kein Be-
denken gefunden durch ihre gelehrten Richter mit großer Scrupu-
losität die Heimathseigenschaft solcher Verkehrstreibenden untersu-
chen zu lassen, wobei man nicht verfehlt hat, wenn nur der ge-
ringste Verdacht obwaltete, ob dieselben noch feindliche Unterthanen
seien oder ihr Domicil diesseits genommen, eine Confiscation aus-
zusprechen. 2 Selbst lang etablirte Handelshäuser und Comptoirs
feindlicher Unterthanen in des anderen Theiles Gebiete sind diesem
Schicksal nicht entgangen. 3 Nur specielle Vertragsstipulationen,
dergleichen sich in den meisten neueren umfassenden Handelsverträ-
gen finden, können hiergegen schützen und die Möglichkeit einer
ungehinderten Herausziehung von Personen und Gütern aus feind-
licher Botmäßigkeit gewähren. 4

Auf der andern Seite hat man gewöhnlich vermieden, die un-
beweglichen diesseitigen Güter feindlicher Unterthanen unter einen
solchen Beschlag zu legen und Repressalien daran auszuüben, um
nicht eine Retaliation der Maaßregel von Seiten des Feindes und
dadurch ebenso viele oder selbst noch größere Nachtheile für die
diesseitigen Unterthanen hervorzurufen. 5


1 Die Behauptung dieses Satzes s. bei de Real science du Gouvern. t. V,
ch. II, V,
3. v. Steck, Vers. über Handels- und Schiffahrtsvertr. S.
168. und über die Praxis des Satzes Moser, Vers. IX, 1, S. 45. 49.
Die arge Unbilligkeit derselben ist einleuchtend.
2 Man vgl. Wheaton, intern. L. IV, 1, §. 16--18.
3 Ebds. §. 19.
4 Beispiele s. in Nau Völkerseerecht §. 258.
5 Wheaton a. a. O. §. 12.

§. 140. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
her noch immer ziemlich daſſelbe Ziel zu erreichen gewußt, indem
man nämlich dergleichen Sachen unter dem Titel von Repreſſalien
ſogleich im Anfange des Krieges, ja ſogar oft ohne ausdrückliche
Kriegserklärung, mit Beſchlag belegt und dann confiscirt. 1 Die-
ſes Schickſal betrifft vorzüglich die feindlichen Schiffe, welche ſich
zufällig zu dieſer Zeit in den Häfen eines Kriegstheiles befinden
und mit einem Embargo beſtrickt werden können. Es trifft fer-
ner die Waaren, welche ein Unterthan des feindlichen Staates in
dem anderen Staate gekauft und für ſeine Rechnung liegen hat,
ferner die Waaren und ſonſtiges Eigenthum von feindlichen Un-
terthanen, die ſich bisher ſogar längere Zeit hindurch friedlich für
ihren Geſchäftsverkehr in dem auswärtigen Gebiet aufgehalten ha-
ben. Die Priſengerichte mächtiger Staaten haben dann kein Be-
denken gefunden durch ihre gelehrten Richter mit großer Scrupu-
loſität die Heimathseigenſchaft ſolcher Verkehrstreibenden unterſu-
chen zu laſſen, wobei man nicht verfehlt hat, wenn nur der ge-
ringſte Verdacht obwaltete, ob dieſelben noch feindliche Unterthanen
ſeien oder ihr Domicil dieſſeits genommen, eine Confiscation aus-
zuſprechen. 2 Selbſt lang etablirte Handelshäuſer und Comptoirs
feindlicher Unterthanen in des anderen Theiles Gebiete ſind dieſem
Schickſal nicht entgangen. 3 Nur ſpecielle Vertragsſtipulationen,
dergleichen ſich in den meiſten neueren umfaſſenden Handelsverträ-
gen finden, können hiergegen ſchützen und die Möglichkeit einer
ungehinderten Herausziehung von Perſonen und Gütern aus feind-
licher Botmäßigkeit gewähren. 4

Auf der andern Seite hat man gewöhnlich vermieden, die un-
beweglichen dieſſeitigen Güter feindlicher Unterthanen unter einen
ſolchen Beſchlag zu legen und Repreſſalien daran auszuüben, um
nicht eine Retaliation der Maaßregel von Seiten des Feindes und
dadurch ebenſo viele oder ſelbſt noch größere Nachtheile für die
dieſſeitigen Unterthanen hervorzurufen. 5


1 Die Behauptung dieſes Satzes ſ. bei de Real science du Gouvern. t. V,
ch. II, V,
3. v. Steck, Verſ. über Handels- und Schiffahrtsvertr. S.
168. und über die Praxis des Satzes Moſer, Verſ. IX, 1, S. 45. 49.
Die arge Unbilligkeit derſelben iſt einleuchtend.
2 Man vgl. Wheaton, intern. L. IV, 1, §. 16—18.
3 Ebdſ. §. 19.
4 Beiſpiele ſ. in Nau Völkerſeerecht §. 258.
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[237/0261] §. 140. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens. her noch immer ziemlich daſſelbe Ziel zu erreichen gewußt, indem man nämlich dergleichen Sachen unter dem Titel von Repreſſalien ſogleich im Anfange des Krieges, ja ſogar oft ohne ausdrückliche Kriegserklärung, mit Beſchlag belegt und dann confiscirt. 1 Die- ſes Schickſal betrifft vorzüglich die feindlichen Schiffe, welche ſich zufällig zu dieſer Zeit in den Häfen eines Kriegstheiles befinden und mit einem Embargo beſtrickt werden können. Es trifft fer- ner die Waaren, welche ein Unterthan des feindlichen Staates in dem anderen Staate gekauft und für ſeine Rechnung liegen hat, ferner die Waaren und ſonſtiges Eigenthum von feindlichen Un- terthanen, die ſich bisher ſogar längere Zeit hindurch friedlich für ihren Geſchäftsverkehr in dem auswärtigen Gebiet aufgehalten ha- ben. Die Priſengerichte mächtiger Staaten haben dann kein Be- denken gefunden durch ihre gelehrten Richter mit großer Scrupu- loſität die Heimathseigenſchaft ſolcher Verkehrstreibenden unterſu- chen zu laſſen, wobei man nicht verfehlt hat, wenn nur der ge- ringſte Verdacht obwaltete, ob dieſelben noch feindliche Unterthanen ſeien oder ihr Domicil dieſſeits genommen, eine Confiscation aus- zuſprechen. 2 Selbſt lang etablirte Handelshäuſer und Comptoirs feindlicher Unterthanen in des anderen Theiles Gebiete ſind dieſem Schickſal nicht entgangen. 3 Nur ſpecielle Vertragsſtipulationen, dergleichen ſich in den meiſten neueren umfaſſenden Handelsverträ- gen finden, können hiergegen ſchützen und die Möglichkeit einer ungehinderten Herausziehung von Perſonen und Gütern aus feind- licher Botmäßigkeit gewähren. 4 Auf der andern Seite hat man gewöhnlich vermieden, die un- beweglichen dieſſeitigen Güter feindlicher Unterthanen unter einen ſolchen Beſchlag zu legen und Repreſſalien daran auszuüben, um nicht eine Retaliation der Maaßregel von Seiten des Feindes und dadurch ebenſo viele oder ſelbſt noch größere Nachtheile für die dieſſeitigen Unterthanen hervorzurufen. 5 1 Die Behauptung dieſes Satzes ſ. bei de Real science du Gouvern. t. V, ch. II, V, 3. v. Steck, Verſ. über Handels- und Schiffahrtsvertr. S. 168. und über die Praxis des Satzes Moſer, Verſ. IX, 1, S. 45. 49. Die arge Unbilligkeit derſelben iſt einleuchtend. 2 Man vgl. Wheaton, intern. L. IV, 1, §. 16—18. 3 Ebdſ. §. 19. 4 Beiſpiele ſ. in Nau Völkerſeerecht §. 258. 5 Wheaton a. a. O. §. 12.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/261>, abgerufen am 29.04.2024.