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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,2. Nürnberg, 1813.

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Zweytes Buch. I. Abschnitt.
nemlich die bestimmte Verschiedenheit aus. Zwey
Dinge sind nicht bloß zwey; die numerische Vielheit ist
nur die Einerleyheit, sondern sie sind durch eine Be-
stimmung
verschieden. Der Satz, daß es nicht zwey
Dinge gibt, die einander gleich sind, fällt dem Vorstellen,
-- auch nach der Anekdote, an einem Hofe auf, wo ihn
Leibnitz vorgebracht und die Damen veranlaßt haben soll,
unter Baumblättern zu suchen, ob sie nicht zwey gleiche
finden. -- Glückliche Zeiten für die Metaphysik, wo
man sich am Hofe mit ihr beschäftigte, und wo es keiner
andern Anstrengung bedurfte, ihre Sätze zu prüfen, als
Baumblätter zu vergleichen! -- Der Grund, daß jener
Satz auffallend ist, liegt in dem Gesagten, daß zwey
oder die numerische Mehrheit noch keine bestimmte
Verschiedenheit enthält, und daß die Verschiedenheit als
solche in ihrer Abstraction zunächst gleichgültig gegen die
Gleichheit und Ungleichheit ist. Das Vorstellen, indem
es auch zur Bestimmung übergeht, nimmt diese Momente
selbst als gegen einander gleichgültige auf, so daß das ei-
ne ohne das andere, die bloße Gleichheit der
Dinge ohne die Ungleichheit zur Bestimmung hin-
reiche, oder daß die Dinge verschieden seyen, wenn sie
auch nur numerisch Viele, verschiedene überhaupt, nicht
ungleiche sind. Der Satz der Verschiedenheit hingegen
drückt aus, daß die Dinge durch die Ungleichheit von
einander verschieden sind, daß ihnen die Bestimmung der
Ungleichheit so sehr zukomme als die der Gleichheit, denn
erst beyde zusammen machen den bestimmten Unterschied
aus.

Dieser Satz nun, daß allen Dingen die Bestim-
mung der Ungleichheit zukommt, bedürfte eines Bewei-
ses; er kann nicht als unmittelbarer Satz aufgestellt wer-
den, denn die gewöhnliche Weise des Erkennens selbst
fodert für die Verknüpfung verschiedener Bestimmungen

in

Zweytes Buch. I. Abſchnitt.
nemlich die beſtimmte Verſchiedenheit aus. Zwey
Dinge ſind nicht bloß zwey; die numeriſche Vielheit iſt
nur die Einerleyheit, ſondern ſie ſind durch eine Be-
ſtimmung
verſchieden. Der Satz, daß es nicht zwey
Dinge gibt, die einander gleich ſind, faͤllt dem Vorſtellen,
— auch nach der Anekdote, an einem Hofe auf, wo ihn
Leibnitz vorgebracht und die Damen veranlaßt haben ſoll,
unter Baumblaͤttern zu ſuchen, ob ſie nicht zwey gleiche
finden. — Gluͤckliche Zeiten fuͤr die Metaphyſik, wo
man ſich am Hofe mit ihr beſchaͤftigte, und wo es keiner
andern Anſtrengung bedurfte, ihre Saͤtze zu pruͤfen, als
Baumblaͤtter zu vergleichen! — Der Grund, daß jener
Satz auffallend iſt, liegt in dem Geſagten, daß zwey
oder die numeriſche Mehrheit noch keine beſtimmte
Verſchiedenheit enthaͤlt, und daß die Verſchiedenheit als
ſolche in ihrer Abſtraction zunaͤchſt gleichguͤltig gegen die
Gleichheit und Ungleichheit iſt. Das Vorſtellen, indem
es auch zur Beſtimmung uͤbergeht, nimmt dieſe Momente
ſelbſt als gegen einander gleichguͤltige auf, ſo daß das ei-
ne ohne das andere, die bloße Gleichheit der
Dinge ohne die Ungleichheit zur Beſtimmung hin-
reiche, oder daß die Dinge verſchieden ſeyen, wenn ſie
auch nur numeriſch Viele, verſchiedene uͤberhaupt, nicht
ungleiche ſind. Der Satz der Verſchiedenheit hingegen
druͤckt aus, daß die Dinge durch die Ungleichheit von
einander verſchieden ſind, daß ihnen die Beſtimmung der
Ungleichheit ſo ſehr zukomme als die der Gleichheit, denn
erſt beyde zuſammen machen den beſtimmten Unterſchied
aus.

Dieſer Satz nun, daß allen Dingen die Beſtim-
mung der Ungleichheit zukommt, beduͤrfte eines Bewei-
ſes; er kann nicht als unmittelbarer Satz aufgeſtellt wer-
den, denn die gewoͤhnliche Weiſe des Erkennens ſelbſt
fodert fuͤr die Verknuͤpfung verſchiedener Beſtimmungen

in
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[52/0064] Zweytes Buch. I. Abſchnitt. nemlich die beſtimmte Verſchiedenheit aus. Zwey Dinge ſind nicht bloß zwey; die numeriſche Vielheit iſt nur die Einerleyheit, ſondern ſie ſind durch eine Be- ſtimmung verſchieden. Der Satz, daß es nicht zwey Dinge gibt, die einander gleich ſind, faͤllt dem Vorſtellen, — auch nach der Anekdote, an einem Hofe auf, wo ihn Leibnitz vorgebracht und die Damen veranlaßt haben ſoll, unter Baumblaͤttern zu ſuchen, ob ſie nicht zwey gleiche finden. — Gluͤckliche Zeiten fuͤr die Metaphyſik, wo man ſich am Hofe mit ihr beſchaͤftigte, und wo es keiner andern Anſtrengung bedurfte, ihre Saͤtze zu pruͤfen, als Baumblaͤtter zu vergleichen! — Der Grund, daß jener Satz auffallend iſt, liegt in dem Geſagten, daß zwey oder die numeriſche Mehrheit noch keine beſtimmte Verſchiedenheit enthaͤlt, und daß die Verſchiedenheit als ſolche in ihrer Abſtraction zunaͤchſt gleichguͤltig gegen die Gleichheit und Ungleichheit iſt. Das Vorſtellen, indem es auch zur Beſtimmung uͤbergeht, nimmt dieſe Momente ſelbſt als gegen einander gleichguͤltige auf, ſo daß das ei- ne ohne das andere, die bloße Gleichheit der Dinge ohne die Ungleichheit zur Beſtimmung hin- reiche, oder daß die Dinge verſchieden ſeyen, wenn ſie auch nur numeriſch Viele, verſchiedene uͤberhaupt, nicht ungleiche ſind. Der Satz der Verſchiedenheit hingegen druͤckt aus, daß die Dinge durch die Ungleichheit von einander verſchieden ſind, daß ihnen die Beſtimmung der Ungleichheit ſo ſehr zukomme als die der Gleichheit, denn erſt beyde zuſammen machen den beſtimmten Unterſchied aus. Dieſer Satz nun, daß allen Dingen die Beſtim- mung der Ungleichheit zukommt, beduͤrfte eines Bewei- ſes; er kann nicht als unmittelbarer Satz aufgeſtellt wer- den, denn die gewoͤhnliche Weiſe des Erkennens ſelbſt fodert fuͤr die Verknuͤpfung verſchiedener Beſtimmungen in

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Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,2. Nürnberg, 1813, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0102_1813/64>, abgerufen am 29.04.2024.