Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 2. Nürnberg, 1816.

Bild:
<< vorherige Seite

III. Abschnitt.
congruire, so wird diese als ein subjectiver Maasstab
dem Wirklichen gegenübergestellt; was aber ein Wirkli-
ches wahrhaft seyn solle, wenn nicht sein Begriff in
ihm, und seine Objectivität diesem Begriffe gar nicht
angemessen ist, ist nicht zu sagen; denn es wäre das
Nichts. Das mechanische und chemische Object, wie
das geistlose Subject, und der nur des Endlichen, nicht
seines Wesens bewußte Geist, haben zwar, nach ihrer
verschiedenen Natur, ihren Begriff nicht in seiner ei-
genen freyen Form
an ihnen existirend. Aber sie
können überhaupt nur insofern etwas wahres seyn, als
sie die Vereinigung ihres Begriffs und der Realität, ih-
rer Seele und ihres Leibs, sind. Ganze, wie der Staat,
die Kirche, wenn die Einheit ihres Begriffs und ihrer
Realität aufgelößt ist, hören auf zu existiren; der Mensch,
das Lebendige ist todt, wenn Seele und Leibe sich in
ihm trennen; die todte Natur, die mechanische und
chemische Welt, wenn nemlich das Todte für die unor-
ganische Welt genommen wird, sonst hätte es gar keine
positive Bedeutung, -- die todte Natur also, wenn sie in
ihren Begriff und ihre Realität geschieden wird, ist
nichts als die subjective Abstraction einer gedachten Form
und einer formlosen Materie. Der Geist, der nicht
Idee, Einheit des Begriffs selbst mit sich, -- der Be-
griff, der den Begriff selbst zu seiner Realität hätte,
wäre der todte, geistlose Geist, ein materielles Object.

Seyn hat die Bedeutung der Wahrheit erreicht,
indem die Idee die Einheit des Begriffs und der Reali-
tät ist; es ist also nunmehr nur das, was Idee ist.
Die endlichen Dinge sind darum endlich, insofern sie die
Realität ihres Begriffs nicht vollständig an ihnen selbst
haben, sondern dazu anderer bedürfen; -- oder umge-
kehrt, insofern sie als Objecte vorausgesetzt sind, somit
den Begriff als eine äusserliche Bestimmung an ihnen

ha-

III. Abſchnitt.
congruire, ſo wird dieſe als ein ſubjectiver Maasſtab
dem Wirklichen gegenuͤbergeſtellt; was aber ein Wirkli-
ches wahrhaft ſeyn ſolle, wenn nicht ſein Begriff in
ihm, und ſeine Objectivitaͤt dieſem Begriffe gar nicht
angemeſſen iſt, iſt nicht zu ſagen; denn es waͤre das
Nichts. Das mechaniſche und chemiſche Object, wie
das geiſtloſe Subject, und der nur des Endlichen, nicht
ſeines Weſens bewußte Geiſt, haben zwar, nach ihrer
verſchiedenen Natur, ihren Begriff nicht in ſeiner ei-
genen freyen Form
an ihnen exiſtirend. Aber ſie
koͤnnen uͤberhaupt nur inſofern etwas wahres ſeyn, als
ſie die Vereinigung ihres Begriffs und der Realitaͤt, ih-
rer Seele und ihres Leibs, ſind. Ganze, wie der Staat,
die Kirche, wenn die Einheit ihres Begriffs und ihrer
Realitaͤt aufgeloͤßt iſt, hoͤren auf zu exiſtiren; der Menſch,
das Lebendige iſt todt, wenn Seele und Leibe ſich in
ihm trennen; die todte Natur, die mechaniſche und
chemiſche Welt, wenn nemlich das Todte fuͤr die unor-
ganiſche Welt genommen wird, ſonſt haͤtte es gar keine
poſitive Bedeutung, — die todte Natur alſo, wenn ſie in
ihren Begriff und ihre Realitaͤt geſchieden wird, iſt
nichts als die ſubjective Abſtraction einer gedachten Form
und einer formloſen Materie. Der Geiſt, der nicht
Idee, Einheit des Begriffs ſelbſt mit ſich, — der Be-
griff, der den Begriff ſelbſt zu ſeiner Realitaͤt haͤtte,
waͤre der todte, geiſtloſe Geiſt, ein materielles Object.

Seyn hat die Bedeutung der Wahrheit erreicht,
indem die Idee die Einheit des Begriffs und der Reali-
taͤt iſt; es iſt alſo nunmehr nur das, was Idee iſt.
Die endlichen Dinge ſind darum endlich, inſofern ſie die
Realitaͤt ihres Begriffs nicht vollſtaͤndig an ihnen ſelbſt
haben, ſondern dazu anderer beduͤrfen; — oder umge-
kehrt, inſofern ſie als Objecte vorausgeſetzt ſind, ſomit
den Begriff als eine aͤuſſerliche Beſtimmung an ihnen

ha-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0288" n="270"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi><hi rendition="#g">Ab&#x017F;chnitt</hi>.</fw><lb/>
congruire, &#x017F;o wird die&#x017F;e als ein &#x017F;ubjectiver Maas&#x017F;tab<lb/>
dem Wirklichen gegenu&#x0364;berge&#x017F;tellt; was aber ein Wirkli-<lb/>
ches wahrhaft <hi rendition="#g">&#x017F;eyn</hi> &#x017F;olle, wenn nicht &#x017F;ein Begriff in<lb/>
ihm, und &#x017F;eine Objectivita&#x0364;t die&#x017F;em Begriffe gar nicht<lb/>
angeme&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t, i&#x017F;t nicht zu &#x017F;agen; denn es wa&#x0364;re das<lb/>
Nichts. Das mechani&#x017F;che und chemi&#x017F;che Object, wie<lb/>
das gei&#x017F;tlo&#x017F;e Subject, und der nur des Endlichen, nicht<lb/>
&#x017F;eines We&#x017F;ens bewußte Gei&#x017F;t, haben zwar, nach ihrer<lb/>
ver&#x017F;chiedenen Natur, ihren Begriff nicht <hi rendition="#g">in &#x017F;einer ei-<lb/>
genen freyen Form</hi> an ihnen exi&#x017F;tirend. Aber &#x017F;ie<lb/>
ko&#x0364;nnen u&#x0364;berhaupt nur in&#x017F;ofern etwas wahres &#x017F;eyn, als<lb/>
&#x017F;ie die Vereinigung ihres Begriffs und der Realita&#x0364;t, ih-<lb/>
rer Seele und ihres Leibs, &#x017F;ind. Ganze, wie der Staat,<lb/>
die Kirche, wenn die Einheit ihres Begriffs und ihrer<lb/>
Realita&#x0364;t aufgelo&#x0364;ßt i&#x017F;t, ho&#x0364;ren auf zu exi&#x017F;tiren; der Men&#x017F;ch,<lb/>
das Lebendige i&#x017F;t todt, wenn Seele und Leibe &#x017F;ich in<lb/>
ihm trennen; die todte Natur, die mechani&#x017F;che und<lb/>
chemi&#x017F;che Welt, wenn nemlich das Todte fu&#x0364;r die unor-<lb/>
gani&#x017F;che Welt genommen wird, &#x017F;on&#x017F;t ha&#x0364;tte es gar keine<lb/>
po&#x017F;itive Bedeutung, &#x2014; die todte Natur al&#x017F;o, wenn &#x017F;ie in<lb/>
ihren Begriff und ihre Realita&#x0364;t ge&#x017F;chieden wird, i&#x017F;t<lb/>
nichts als die &#x017F;ubjective Ab&#x017F;traction einer gedachten Form<lb/>
und einer formlo&#x017F;en Materie. Der Gei&#x017F;t, der nicht<lb/>
Idee, Einheit des Begriffs &#x017F;elb&#x017F;t mit &#x017F;ich, &#x2014; der Be-<lb/>
griff, der den Begriff &#x017F;elb&#x017F;t zu &#x017F;einer Realita&#x0364;t ha&#x0364;tte,<lb/>
wa&#x0364;re der todte, gei&#x017F;tlo&#x017F;e Gei&#x017F;t, ein materielles Object.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Seyn</hi> hat die Bedeutung der <hi rendition="#g">Wahrheit</hi> erreicht,<lb/>
indem die Idee die Einheit des Begriffs und der Reali-<lb/>
ta&#x0364;t i&#x017F;t; es <hi rendition="#g">i&#x017F;t</hi> al&#x017F;o nunmehr nur das, was Idee i&#x017F;t.<lb/>
Die endlichen Dinge &#x017F;ind darum endlich, in&#x017F;ofern &#x017F;ie die<lb/>
Realita&#x0364;t ihres Begriffs nicht voll&#x017F;ta&#x0364;ndig an ihnen &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
haben, &#x017F;ondern dazu anderer bedu&#x0364;rfen; &#x2014; oder umge-<lb/>
kehrt, in&#x017F;ofern &#x017F;ie als Objecte vorausge&#x017F;etzt &#x017F;ind, &#x017F;omit<lb/>
den Begriff als eine a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erliche Be&#x017F;timmung an ihnen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ha-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[270/0288] III. Abſchnitt. congruire, ſo wird dieſe als ein ſubjectiver Maasſtab dem Wirklichen gegenuͤbergeſtellt; was aber ein Wirkli- ches wahrhaft ſeyn ſolle, wenn nicht ſein Begriff in ihm, und ſeine Objectivitaͤt dieſem Begriffe gar nicht angemeſſen iſt, iſt nicht zu ſagen; denn es waͤre das Nichts. Das mechaniſche und chemiſche Object, wie das geiſtloſe Subject, und der nur des Endlichen, nicht ſeines Weſens bewußte Geiſt, haben zwar, nach ihrer verſchiedenen Natur, ihren Begriff nicht in ſeiner ei- genen freyen Form an ihnen exiſtirend. Aber ſie koͤnnen uͤberhaupt nur inſofern etwas wahres ſeyn, als ſie die Vereinigung ihres Begriffs und der Realitaͤt, ih- rer Seele und ihres Leibs, ſind. Ganze, wie der Staat, die Kirche, wenn die Einheit ihres Begriffs und ihrer Realitaͤt aufgeloͤßt iſt, hoͤren auf zu exiſtiren; der Menſch, das Lebendige iſt todt, wenn Seele und Leibe ſich in ihm trennen; die todte Natur, die mechaniſche und chemiſche Welt, wenn nemlich das Todte fuͤr die unor- ganiſche Welt genommen wird, ſonſt haͤtte es gar keine poſitive Bedeutung, — die todte Natur alſo, wenn ſie in ihren Begriff und ihre Realitaͤt geſchieden wird, iſt nichts als die ſubjective Abſtraction einer gedachten Form und einer formloſen Materie. Der Geiſt, der nicht Idee, Einheit des Begriffs ſelbſt mit ſich, — der Be- griff, der den Begriff ſelbſt zu ſeiner Realitaͤt haͤtte, waͤre der todte, geiſtloſe Geiſt, ein materielles Object. Seyn hat die Bedeutung der Wahrheit erreicht, indem die Idee die Einheit des Begriffs und der Reali- taͤt iſt; es iſt alſo nunmehr nur das, was Idee iſt. Die endlichen Dinge ſind darum endlich, inſofern ſie die Realitaͤt ihres Begriffs nicht vollſtaͤndig an ihnen ſelbſt haben, ſondern dazu anderer beduͤrfen; — oder umge- kehrt, inſofern ſie als Objecte vorausgeſetzt ſind, ſomit den Begriff als eine aͤuſſerliche Beſtimmung an ihnen ha-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik02_1816
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik02_1816/288
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 2. Nürnberg, 1816, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik02_1816/288>, abgerufen am 31.10.2024.