Blitz in einemmahle das Gebilde der neuen Welt hinstellt.
Allein eine vollkommne Wirklichkeit hat diss Neue so wenig als das eben gebohrne Kind; und diss ist wesentlich nicht ausser Acht zu las- sen. Das erste Auftreten ist erst seine Unmit- telbarkeit oder sein Begriff. So wenig ein Ge- bäude fertig ist, wenn sein Grund gelegt wor- den, so wenig ist der erreichte Begriff des Ganzen das Ganze selbst. Wo wir eine Eiche in der Krafft ihres Stammes und in der Aus- breitung ihrer Aeste und den Massen ihrer Be- laubung zu sehen wünschen, sind wir nicht zu- frieden, wenn uns an dieser Stelle eine Eichel gezeigt wird. So ist die Wissenschaft, die Krone einer Welt des Geistes, nicht in ihrem Anfange vollendet. Der Anfang des neuen Geistes ist das Product einer weitläuffigen Umwälzung von mannichfaltigen Bildungsformen, der Preis eines vielfach verschlungnen Weges und eben so viel- facher Anstrengung und Bemühung. Er ist das aus der Succession wie aus seiner Ausdeh- nung in sich zurückgegangene Ganze, der ge- wordne einfache Begriff desselben. Die Wirk- lichkeit dieses einfachen Ganzen aber besteht darin, dass jene zu Momenten gewordne Ge- staltungen sich wieder von neuem, aber in ihrem
Blitz in einemmahle das Gebilde der neuen Welt hinſtellt.
Allein eine vollkommne Wirklichkeit hat diſs Neue ſo wenig als das eben gebohrne Kind; und diſs iſt weſentlich nicht auſſer Acht zu laſ- ſen. Das erſte Auftreten iſt erſt ſeine Unmit- telbarkeit oder ſein Begriff. So wenig ein Ge- bäude fertig iſt, wenn ſein Grund gelegt wor- den, ſo wenig iſt der erreichte Begriff des Ganzen das Ganze ſelbſt. Wo wir eine Eiche in der Krafft ihres Stammes und in der Aus- breitung ihrer Aeſte und den Maſſen ihrer Be- laubung zu ſehen wünſchen, ſind wir nicht zu- frieden, wenn uns an dieſer Stelle eine Eichel gezeigt wird. So iſt die Wiſſenſchaft, die Krone einer Welt des Geiſtes, nicht in ihrem Anfange vollendet. Der Anfang des neuen Geiſtes iſt das Product einer weitläuffigen Umwälzung von mannichfaltigen Bildungsformen, der Preis eines vielfach verſchlungnen Weges und eben ſo viel- facher Anſtrengung und Bemühung. Er iſt das aus der Succeſsion wie aus ſeiner Ausdeh- nung in ſich zurückgegangene Ganze, der ge- wordne einfache Begriff deſſelben. Die Wirk- lichkeit dieſes einfachen Ganzen aber beſteht darin, daſs jene zu Momenten gewordne Ge- ſtaltungen ſich wieder von neuem, aber in ihrem
<TEI><text><front><divn="1"><p><pbfacs="#f0029"n="XIV"/>
Blitz in einemmahle das Gebilde der neuen<lb/>
Welt hinſtellt.</p><lb/><p>Allein eine vollkommne Wirklichkeit hat<lb/>
diſs Neue ſo wenig als das eben gebohrne Kind;<lb/>
und diſs iſt weſentlich nicht auſſer Acht zu laſ-<lb/>ſen. Das erſte Auftreten iſt erſt ſeine Unmit-<lb/>
telbarkeit oder ſein Begriff. So wenig ein Ge-<lb/>
bäude fertig iſt, wenn ſein Grund gelegt wor-<lb/>
den, ſo wenig iſt der erreichte Begriff des<lb/>
Ganzen das Ganze ſelbſt. Wo wir eine Eiche<lb/>
in der Krafft ihres Stammes und in der Aus-<lb/>
breitung ihrer Aeſte und den Maſſen ihrer Be-<lb/>
laubung zu ſehen wünſchen, ſind wir nicht zu-<lb/>
frieden, wenn uns an dieſer Stelle eine Eichel<lb/>
gezeigt wird. So iſt die Wiſſenſchaft, die Krone<lb/>
einer Welt des Geiſtes, nicht in ihrem Anfange<lb/>
vollendet. Der Anfang des neuen Geiſtes iſt<lb/>
das Product einer weitläuffigen Umwälzung von<lb/>
mannichfaltigen Bildungsformen, der Preis eines<lb/>
vielfach verſchlungnen Weges und eben ſo viel-<lb/>
facher Anſtrengung und Bemühung. Er iſt das<lb/>
aus der Succeſsion wie aus ſeiner Ausdeh-<lb/>
nung in ſich zurückgegangene Ganze, der ge-<lb/>
wordne <hirendition="#i">einfache Begriff</hi> deſſelben. Die Wirk-<lb/>
lichkeit dieſes einfachen Ganzen aber beſteht<lb/>
darin, daſs jene zu Momenten gewordne Ge-<lb/>ſtaltungen ſich wieder von neuem, aber in ihrem<lb/></p></div></front></text></TEI>
[XIV/0029]
Blitz in einemmahle das Gebilde der neuen
Welt hinſtellt.
Allein eine vollkommne Wirklichkeit hat
diſs Neue ſo wenig als das eben gebohrne Kind;
und diſs iſt weſentlich nicht auſſer Acht zu laſ-
ſen. Das erſte Auftreten iſt erſt ſeine Unmit-
telbarkeit oder ſein Begriff. So wenig ein Ge-
bäude fertig iſt, wenn ſein Grund gelegt wor-
den, ſo wenig iſt der erreichte Begriff des
Ganzen das Ganze ſelbſt. Wo wir eine Eiche
in der Krafft ihres Stammes und in der Aus-
breitung ihrer Aeſte und den Maſſen ihrer Be-
laubung zu ſehen wünſchen, ſind wir nicht zu-
frieden, wenn uns an dieſer Stelle eine Eichel
gezeigt wird. So iſt die Wiſſenſchaft, die Krone
einer Welt des Geiſtes, nicht in ihrem Anfange
vollendet. Der Anfang des neuen Geiſtes iſt
das Product einer weitläuffigen Umwälzung von
mannichfaltigen Bildungsformen, der Preis eines
vielfach verſchlungnen Weges und eben ſo viel-
facher Anſtrengung und Bemühung. Er iſt das
aus der Succeſsion wie aus ſeiner Ausdeh-
nung in ſich zurückgegangene Ganze, der ge-
wordne einfache Begriff deſſelben. Die Wirk-
lichkeit dieſes einfachen Ganzen aber beſteht
darin, daſs jene zu Momenten gewordne Ge-
ſtaltungen ſich wieder von neuem, aber in ihrem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. XIV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/29>, abgerufen am 28.04.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.