Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

einen großen Anlauf nehmen mußte, als er hin¬
über sprang. Die Stadt selbst ist schön, und ge¬
fällt einem am besten, wenn man sie mit dem
Rücken ansieht. Sie muß schon sehr lange stehen;
denn ich erinnere mich, als ich vor fünf Jahren
dort immatrikulirt und bald drauf konsiliirt
wurde, hatte sie schon dasselbe graue, altkluge
Ansehen, und war schon vollständig eingerichtet
mit Schnurren, Pudeln, Dissertazionen, Thee¬
dansants, Wäscherinnen, Compendien, Tauben¬
braten, Guelfenorden, Promozionskutschen, Pfei¬
fenköpfen, Hofräthen, Justizräthen, Relegazions¬
räthen, Profaxen und anderen Faxen. Einige be¬
haupten sogar, die Stadt sey zur Zeit der Völ¬
kerwanderung erbaut worden, jeder deutsche Stamm
habe damals ein ungebundenes Exemplar seiner
Mitglieder darin zurückgelassen, und davon stamm¬
ten all die Vandalen, Friesen, Schwaben, Teuto¬
nen, Sachsen, Thüringer u. s. w., die noch heut
zu Tage in Göttingen, hordenweis, und geschieden
durch Farbe der Mützen und der Pfeifenquäste,

einen großen Anlauf nehmen mußte, als er hin¬
uͤber ſprang. Die Stadt ſelbſt iſt ſchoͤn, und ge¬
faͤllt einem am beſten, wenn man ſie mit dem
Ruͤcken anſieht. Sie muß ſchon ſehr lange ſtehen;
denn ich erinnere mich, als ich vor fuͤnf Jahren
dort immatrikulirt und bald drauf konſiliirt
wurde, hatte ſie ſchon daſſelbe graue, altkluge
Anſehen, und war ſchon vollſtaͤndig eingerichtet
mit Schnurren, Pudeln, Diſſertazionen, Thee¬
danſants, Waͤſcherinnen, Compendien, Tauben¬
braten, Guelfenorden, Promozionskutſchen, Pfei¬
fenkoͤpfen, Hofraͤthen, Juſtizraͤthen, Relegazions¬
raͤthen, Profaxen und anderen Faxen. Einige be¬
haupten ſogar, die Stadt ſey zur Zeit der Voͤl¬
kerwanderung erbaut worden, jeder deutſche Stamm
habe damals ein ungebundenes Exemplar ſeiner
Mitglieder darin zuruͤckgelaſſen, und davon ſtamm¬
ten all die Vandalen, Frieſen, Schwaben, Teuto¬
nen, Sachſen, Thuͤringer u. ſ. w., die noch heut
zu Tage in Goͤttingen, hordenweis, und geſchieden
durch Farbe der Muͤtzen und der Pfeifenquaͤſte,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="poem" n="1">
        <p><pb facs="#f0127" n="115"/>
einen großen Anlauf nehmen mußte, als er hin¬<lb/>
u&#x0364;ber &#x017F;prang. Die Stadt &#x017F;elb&#x017F;t i&#x017F;t &#x017F;cho&#x0364;n, und ge¬<lb/>
fa&#x0364;llt einem am be&#x017F;ten, wenn man &#x017F;ie mit dem<lb/>
Ru&#x0364;cken an&#x017F;ieht. Sie muß &#x017F;chon &#x017F;ehr lange &#x017F;tehen;<lb/>
denn ich erinnere mich, als ich vor fu&#x0364;nf Jahren<lb/>
dort immatrikulirt und bald drauf kon&#x017F;iliirt<lb/>
wurde, hatte &#x017F;ie &#x017F;chon da&#x017F;&#x017F;elbe graue, altkluge<lb/>
An&#x017F;ehen, und war &#x017F;chon voll&#x017F;ta&#x0364;ndig eingerichtet<lb/>
mit Schnurren, Pudeln, Di&#x017F;&#x017F;ertazionen, Thee¬<lb/>
dan&#x017F;ants, Wa&#x0364;&#x017F;cherinnen, Compendien, Tauben¬<lb/>
braten, Guelfenorden, Promozionskut&#x017F;chen, Pfei¬<lb/>
fenko&#x0364;pfen, Hofra&#x0364;then, Ju&#x017F;tizra&#x0364;then, Relegazions¬<lb/>
ra&#x0364;then, Profaxen und anderen Faxen. Einige be¬<lb/>
haupten &#x017F;ogar, die Stadt &#x017F;ey zur Zeit der Vo&#x0364;<lb/>
kerwanderung erbaut worden, jeder deut&#x017F;che Stamm<lb/>
habe damals ein ungebundenes Exemplar &#x017F;einer<lb/>
Mitglieder darin zuru&#x0364;ckgela&#x017F;&#x017F;en, und davon &#x017F;tamm¬<lb/>
ten all die Vandalen, Frie&#x017F;en, Schwaben, Teuto¬<lb/>
nen, Sach&#x017F;en, Thu&#x0364;ringer u. &#x017F;. w., die noch heut<lb/>
zu Tage in Go&#x0364;ttingen, hordenweis, und ge&#x017F;chieden<lb/>
durch Farbe der Mu&#x0364;tzen und der Pfeifenqua&#x0364;&#x017F;te,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[115/0127] einen großen Anlauf nehmen mußte, als er hin¬ uͤber ſprang. Die Stadt ſelbſt iſt ſchoͤn, und ge¬ faͤllt einem am beſten, wenn man ſie mit dem Ruͤcken anſieht. Sie muß ſchon ſehr lange ſtehen; denn ich erinnere mich, als ich vor fuͤnf Jahren dort immatrikulirt und bald drauf konſiliirt wurde, hatte ſie ſchon daſſelbe graue, altkluge Anſehen, und war ſchon vollſtaͤndig eingerichtet mit Schnurren, Pudeln, Diſſertazionen, Thee¬ danſants, Waͤſcherinnen, Compendien, Tauben¬ braten, Guelfenorden, Promozionskutſchen, Pfei¬ fenkoͤpfen, Hofraͤthen, Juſtizraͤthen, Relegazions¬ raͤthen, Profaxen und anderen Faxen. Einige be¬ haupten ſogar, die Stadt ſey zur Zeit der Voͤl¬ kerwanderung erbaut worden, jeder deutſche Stamm habe damals ein ungebundenes Exemplar ſeiner Mitglieder darin zuruͤckgelaſſen, und davon ſtamm¬ ten all die Vandalen, Frieſen, Schwaben, Teuto¬ nen, Sachſen, Thuͤringer u. ſ. w., die noch heut zu Tage in Goͤttingen, hordenweis, und geſchieden durch Farbe der Muͤtzen und der Pfeifenquaͤſte,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/127
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/127>, abgerufen am 03.05.2024.