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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826.

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wie eingeklemmt zwischen den eisernen Paragraphen
selbstsüchtiger Rechtssysteme, beständig klang es mir
noch in den Ohren wie "Tribonian, Justinian,
Hermogenian und Dummerjahn," und ein zärtliches
Liebespaar, das unter einem Baume saß, hielt ich
gar für eine Corpusjuris-Ausgabe mit verschlunge¬
nen Händen. Auf der Landstraße fing es schon an
lebendig zu werden. Milchmädchen zogen vorüber;
auch Eseltreiber mit ihren grauen Zöglingen. Hin¬
ter Weende begegneten mir der Schäfer und Do¬
ris. Dieses ist nicht das idyllische Paar, wovon
Geßner singt, sondern es sind wohlbestallte Univer¬
sitätspedelle, die wachsam aufpassen müssen, daß sich
keine Studenten in Bovden duelliren, und daß
keine neue Ideen, die doch immer einige Dezen¬
nien vor Göttingen Quarantaine halten müssen,
von einem spekulirenden Privatdozenten eingeschmug¬
gelt werden. Schäfer grüßte mich sehr kollegialisch;
denn er ist ebenfalls Schriftsteller, und hat meiner
in seinen halbjährigen Schriften oft erwähnt; wie
er mich denn auch außerdem oft citirt hat, und,

wie eingeklemmt zwiſchen den eiſernen Paragraphen
ſelbſtſuͤchtiger Rechtsſyſteme, beſtaͤndig klang es mir
noch in den Ohren wie „Tribonian, Juſtinian,
Hermogenian und Dummerjahn,“ und ein zaͤrtliches
Liebespaar, das unter einem Baume ſaß, hielt ich
gar fuͤr eine Corpusjuris-Ausgabe mit verſchlunge¬
nen Haͤnden. Auf der Landſtraße fing es ſchon an
lebendig zu werden. Milchmaͤdchen zogen voruͤber;
auch Eſeltreiber mit ihren grauen Zoͤglingen. Hin¬
ter Weende begegneten mir der Schaͤfer und Do¬
ris. Dieſes iſt nicht das idylliſche Paar, wovon
Geßner ſingt, ſondern es ſind wohlbeſtallte Univer¬
ſitaͤtspedelle, die wachſam aufpaſſen muͤſſen, daß ſich
keine Studenten in Bovden duelliren, und daß
keine neue Ideen, die doch immer einige Dezen¬
nien vor Goͤttingen Quarantaine halten muͤſſen,
von einem ſpekulirenden Privatdozenten eingeſchmug¬
gelt werden. Schaͤfer gruͤßte mich ſehr kollegialiſch;
denn er iſt ebenfalls Schriftſteller, und hat meiner
in ſeinen halbjaͤhrigen Schriften oft erwaͤhnt; wie
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[120/0132] wie eingeklemmt zwiſchen den eiſernen Paragraphen ſelbſtſuͤchtiger Rechtsſyſteme, beſtaͤndig klang es mir noch in den Ohren wie „Tribonian, Juſtinian, Hermogenian und Dummerjahn,“ und ein zaͤrtliches Liebespaar, das unter einem Baume ſaß, hielt ich gar fuͤr eine Corpusjuris-Ausgabe mit verſchlunge¬ nen Haͤnden. Auf der Landſtraße fing es ſchon an lebendig zu werden. Milchmaͤdchen zogen voruͤber; auch Eſeltreiber mit ihren grauen Zoͤglingen. Hin¬ ter Weende begegneten mir der Schaͤfer und Do¬ ris. Dieſes iſt nicht das idylliſche Paar, wovon Geßner ſingt, ſondern es ſind wohlbeſtallte Univer¬ ſitaͤtspedelle, die wachſam aufpaſſen muͤſſen, daß ſich keine Studenten in Bovden duelliren, und daß keine neue Ideen, die doch immer einige Dezen¬ nien vor Goͤttingen Quarantaine halten muͤſſen, von einem ſpekulirenden Privatdozenten eingeſchmug¬ gelt werden. Schaͤfer gruͤßte mich ſehr kollegialiſch; denn er iſt ebenfalls Schriftſteller, und hat meiner in ſeinen halbjaͤhrigen Schriften oft erwaͤhnt; wie er mich denn auch außerdem oft citirt hat, und‚

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/132>, abgerufen am 03.05.2024.