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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826.

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und den Kopf noch so recht comfortabel auf den
Schultern sitzen hat. Auch hingen noch an der
Wand Abeillard und Heloise, einige französische Tu¬
genden, nämlich leere Mädchengesichter, worunter
sehr kalligraphisch la prudence, la timidite, la
pitie etc.
geschrieben war, und endlich eine Ma¬
donna, so schön, so lieblich, so hingebend fromm,
daß ich das Original, das dem Maler dazu geses¬
sen hat, aufsuchen und zu meinem Weibe machen
möchte. Freylich, so bald ich mal mit dieser Ma¬
donna verheirathet wäre, würde ich sie bitten, allen
fernern Umgang mit dem heiligen Geiste aufzugeben,
indem es mir gar nicht lieb seyn möchte, wenn mein
Kopf, durch Vermittlung meiner Frau, einen Heili¬
genschein, oder irgend eine andre Verzierung gewönne.

Nachdem ich Kaffee getrunken, mich angezogen, die
Inschriften auf den Fensterscheiben gelesen, und alles
im Wirthshause berichtigt hatte, verließ ich Osterode.

Diese Stadt hat so und so viel Häuser, ver¬
schiedene Einwohner, worunter auch mehrere See¬
len, wie in Gottschalk's "Taschenbuch für Harzrei¬

und den Kopf noch ſo recht comfortabel auf den
Schultern ſitzen hat. Auch hingen noch an der
Wand Abeillard und Heloiſe, einige franzoͤſiſche Tu¬
genden, naͤmlich leere Maͤdchengeſichter, worunter
ſehr kalligraphiſch la prudence, la timidité, la
pitié etc.
geſchrieben war, und endlich eine Ma¬
donna, ſo ſchoͤn, ſo lieblich, ſo hingebend fromm,
daß ich das Original, das dem Maler dazu geſeſ¬
ſen hat, aufſuchen und zu meinem Weibe machen
moͤchte. Freylich, ſo bald ich mal mit dieſer Ma¬
donna verheirathet waͤre, wuͤrde ich ſie bitten, allen
fernern Umgang mit dem heiligen Geiſte aufzugeben,
indem es mir gar nicht lieb ſeyn moͤchte, wenn mein
Kopf, durch Vermittlung meiner Frau, einen Heili¬
genſchein, oder irgend eine andre Verzierung gewoͤnne.

Nachdem ich Kaffee getrunken, mich angezogen, die
Inſchriften auf den Fenſterſcheiben geleſen, und alles
im Wirthshauſe berichtigt hatte, verließ ich Oſterode.

Dieſe Stadt hat ſo und ſo viel Haͤuſer, ver¬
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len, wie in Gottſchalk's „Taſchenbuch fuͤr Harzrei¬

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[131/0143] und den Kopf noch ſo recht comfortabel auf den Schultern ſitzen hat. Auch hingen noch an der Wand Abeillard und Heloiſe, einige franzoͤſiſche Tu¬ genden, naͤmlich leere Maͤdchengeſichter, worunter ſehr kalligraphiſch la prudence, la timidité, la pitié etc. geſchrieben war, und endlich eine Ma¬ donna, ſo ſchoͤn, ſo lieblich, ſo hingebend fromm, daß ich das Original, das dem Maler dazu geſeſ¬ ſen hat, aufſuchen und zu meinem Weibe machen moͤchte. Freylich, ſo bald ich mal mit dieſer Ma¬ donna verheirathet waͤre, wuͤrde ich ſie bitten, allen fernern Umgang mit dem heiligen Geiſte aufzugeben, indem es mir gar nicht lieb ſeyn moͤchte, wenn mein Kopf, durch Vermittlung meiner Frau, einen Heili¬ genſchein, oder irgend eine andre Verzierung gewoͤnne. Nachdem ich Kaffee getrunken, mich angezogen, die Inſchriften auf den Fenſterſcheiben geleſen, und alles im Wirthshauſe berichtigt hatte, verließ ich Oſterode. Dieſe Stadt hat ſo und ſo viel Haͤuſer, ver¬ ſchiedene Einwohner, worunter auch mehrere See¬ len, wie in Gottſchalk's „Taſchenbuch fuͤr Harzrei¬

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/143>, abgerufen am 03.05.2024.