Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

muß ich Eins borgen" -- ich rathe aber jedem,
in solchen Fällen immer einige Groschen mehr
zu borgen; denn man kann nicht wissen.

Was aber das Lateinische betrifft, so haben
Sie gar keine Idee davon, Madame, wie das
verwickelt ist. Den Römern würde gewiß nicht
Zeit genug übrig geblieben seyn, die Welt zu er¬
obern, wenn sie das Latein erst hätten lernen
sollen. Diese glücklichen Leute wußten schon
in der Wiege, welche Nomina den Accusativ
auf im haben. Ich hingegen mußte sie im
Schweiße meines Angesichts auswendig lernen;
aber es ist doch immer gut, daß ich sie weiß.
Denn hätte ich z. B. den 20sten July 1825,
als ich öffentlich in der Aula zu Göttingen
lateinisch disputirte -- Madame, es war der
Mühe werth zuzuhören -- hätte ich da sinapem
statt sinapim gesagt, so würden es vielleicht die
anwesenden Füchse gemerkt haben, und das wäre
für mich eine ewige Schande gewesen. Vis,

muß ich Eins borgen” — ich rathe aber jedem,
in ſolchen Faͤllen immer einige Groſchen mehr
zu borgen; denn man kann nicht wiſſen.

Was aber das Lateiniſche betrifft, ſo haben
Sie gar keine Idee davon, Madame, wie das
verwickelt iſt. Den Roͤmern wuͤrde gewiß nicht
Zeit genug uͤbrig geblieben ſeyn, die Welt zu er¬
obern, wenn ſie das Latein erſt haͤtten lernen
ſollen. Dieſe gluͤcklichen Leute wußten ſchon
in der Wiege, welche Nomina den Accuſativ
auf im haben. Ich hingegen mußte ſie im
Schweiße meines Angeſichts auswendig lernen;
aber es iſt doch immer gut, daß ich ſie weiß.
Denn haͤtte ich z. B. den 20ſten July 1825,
als ich oͤffentlich in der Aula zu Goͤttingen
lateiniſch disputirte — Madame, es war der
Muͤhe werth zuzuhoͤren — haͤtte ich da sinapem
ſtatt sinapim geſagt, ſo wuͤrden es vielleicht die
anweſenden Fuͤchſe gemerkt haben, und das waͤre
fuͤr mich eine ewige Schande geweſen. Vis,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0192" n="184"/>
muß ich Eins borgen&#x201D; &#x2014; ich rathe aber jedem,<lb/>
in &#x017F;olchen Fa&#x0364;llen immer einige Gro&#x017F;chen mehr<lb/>
zu borgen; denn man kann nicht wi&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Was aber das Lateini&#x017F;che betrifft, &#x017F;o haben<lb/>
Sie gar keine Idee davon, Madame, wie das<lb/>
verwickelt i&#x017F;t. Den Ro&#x0364;mern wu&#x0364;rde gewiß nicht<lb/>
Zeit genug u&#x0364;brig geblieben &#x017F;eyn, die Welt zu er¬<lb/>
obern, wenn &#x017F;ie das Latein er&#x017F;t ha&#x0364;tten lernen<lb/>
&#x017F;ollen. Die&#x017F;e glu&#x0364;cklichen Leute wußten &#x017F;chon<lb/>
in der Wiege, welche Nomina den Accu&#x017F;ativ<lb/>
auf <hi rendition="#aq">im</hi> haben. Ich hingegen mußte &#x017F;ie im<lb/>
Schweiße meines Ange&#x017F;ichts auswendig lernen;<lb/>
aber es i&#x017F;t doch immer gut, daß ich &#x017F;ie weiß.<lb/>
Denn ha&#x0364;tte ich z. B. den 20&#x017F;ten July 1825,<lb/>
als ich o&#x0364;ffentlich in der Aula zu Go&#x0364;ttingen<lb/>
lateini&#x017F;ch disputirte &#x2014; Madame, es war der<lb/>
Mu&#x0364;he werth zuzuho&#x0364;ren &#x2014; ha&#x0364;tte ich da <hi rendition="#aq">sinapem</hi><lb/>
&#x017F;tatt <hi rendition="#aq">sinapim</hi> ge&#x017F;agt, &#x017F;o wu&#x0364;rden es vielleicht die<lb/>
anwe&#x017F;enden Fu&#x0364;ch&#x017F;e gemerkt haben, und das wa&#x0364;re<lb/>
fu&#x0364;r mich eine ewige Schande gewe&#x017F;en. <hi rendition="#aq">Vis</hi>,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[184/0192] muß ich Eins borgen” — ich rathe aber jedem, in ſolchen Faͤllen immer einige Groſchen mehr zu borgen; denn man kann nicht wiſſen. Was aber das Lateiniſche betrifft, ſo haben Sie gar keine Idee davon, Madame, wie das verwickelt iſt. Den Roͤmern wuͤrde gewiß nicht Zeit genug uͤbrig geblieben ſeyn, die Welt zu er¬ obern, wenn ſie das Latein erſt haͤtten lernen ſollen. Dieſe gluͤcklichen Leute wußten ſchon in der Wiege, welche Nomina den Accuſativ auf im haben. Ich hingegen mußte ſie im Schweiße meines Angeſichts auswendig lernen; aber es iſt doch immer gut, daß ich ſie weiß. Denn haͤtte ich z. B. den 20ſten July 1825, als ich oͤffentlich in der Aula zu Goͤttingen lateiniſch disputirte — Madame, es war der Muͤhe werth zuzuhoͤren — haͤtte ich da sinapem ſtatt sinapim geſagt, ſo wuͤrden es vielleicht die anweſenden Fuͤchſe gemerkt haben, und das waͤre fuͤr mich eine ewige Schande geweſen. Vis,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/192
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/192>, abgerufen am 29.04.2024.