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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

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Der Hauptzauber dieses Thals liegt aber ge¬
wiß in dem Umstand, daß es nicht zu groß ist
und nicht zu klein, daß die Seele des Beschauers
nicht gewaltsam erweitert wird, vielmehr sich eben¬
mäßig mit dem herrlichen Anblick füllt, daß die
Häupter der Berge selbst, wie die Appeninen
überall, nicht abentheuerlich gothisch erhaben mi߬
gestaltet sind, gleich den Bergkarikaturen, die wir
eben sowohl wie die Menschenkarikaturen, in
germanischen Ländern finden: sondern, daß ihre
edelgeründeten, heiter grünen Formen fast eine
Kunstcivilisazion aussprechen, und gar melodisch
mit dem blaßblauen Himmel zusammenklingen.

O Jesu! ächzte Gumpelino, als wir, mühsamen
Steigens und von der Morgensonne schon etwas
stark gewärmt, oberwähnte Zypressenhöhe erreich¬
ten, und, ins Dorf hinabschauend, unsere englische
Freundin, hoch zu Roß, wie ein romantisches
Mährchenbild, über die Brücke jagen, und eben so
traumschnell wieder verschwinden sahen. O Jesu!

Der Hauptzauber dieſes Thals liegt aber ge¬
wiß in dem Umſtand, daß es nicht zu groß iſt
und nicht zu klein, daß die Seele des Beſchauers
nicht gewaltſam erweitert wird, vielmehr ſich eben¬
maͤßig mit dem herrlichen Anblick fuͤllt, daß die
Haͤupter der Berge ſelbſt, wie die Appeninen
uͤberall, nicht abentheuerlich gothiſch erhaben mi߬
geſtaltet ſind, gleich den Bergkarikaturen, die wir
eben ſowohl wie die Menſchenkarikaturen, in
germaniſchen Laͤndern finden: ſondern, daß ihre
edelgeruͤndeten, heiter gruͤnen Formen faſt eine
Kunſtciviliſazion ausſprechen, und gar melodiſch
mit dem blaßblauen Himmel zuſammenklingen.

O Jeſu! aͤchzte Gumpelino, als wir, muͤhſamen
Steigens und von der Morgenſonne ſchon etwas
ſtark gewaͤrmt, oberwaͤhnte Zypreſſenhoͤhe erreich¬
ten, und, ins Dorf hinabſchauend, unſere engliſche
Freundin, hoch zu Roß, wie ein romantiſches
Maͤhrchenbild, uͤber die Bruͤcke jagen, und eben ſo
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[236/0244] Der Hauptzauber dieſes Thals liegt aber ge¬ wiß in dem Umſtand, daß es nicht zu groß iſt und nicht zu klein, daß die Seele des Beſchauers nicht gewaltſam erweitert wird, vielmehr ſich eben¬ maͤßig mit dem herrlichen Anblick fuͤllt, daß die Haͤupter der Berge ſelbſt, wie die Appeninen uͤberall, nicht abentheuerlich gothiſch erhaben mi߬ geſtaltet ſind, gleich den Bergkarikaturen, die wir eben ſowohl wie die Menſchenkarikaturen, in germaniſchen Laͤndern finden: ſondern, daß ihre edelgeruͤndeten, heiter gruͤnen Formen faſt eine Kunſtciviliſazion ausſprechen, und gar melodiſch mit dem blaßblauen Himmel zuſammenklingen. O Jeſu! aͤchzte Gumpelino, als wir, muͤhſamen Steigens und von der Morgenſonne ſchon etwas ſtark gewaͤrmt, oberwaͤhnte Zypreſſenhoͤhe erreich¬ ten, und, ins Dorf hinabſchauend, unſere engliſche Freundin, hoch zu Roß, wie ein romantiſches Maͤhrchenbild, uͤber die Bruͤcke jagen, und eben ſo traumſchnell wieder verſchwinden ſahen. O Jeſu!

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/244>, abgerufen am 07.05.2024.