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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

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in Worten"-- so gänzlich unbekannt mit dem
Wesen der Poesie, weiß er nicht einmal, daß das
Wort nur bey dem Rhetor eine That ist, bey
dem wahren Dichter aber ein Ereigniß. Ungleich
dem wahren Dichter, ist die Sprache nie Meister
geworden in ihm, er ist dagegen Meister gewor¬
den in der Sprache oder vielmehr auf der Sprache,
wie ein Virtuose auf einem Instrumente. Je
weiter er es solcherart im Technischen brachte,
desto größere Meinung bekam er von seiner Vir¬
tuosität; er wußte ja in allen Weisen zu spielen,
er versifizirte ja die schwierigsten Passagen, er
dichtete, so zu sagen, manchmal nur auf der
G-Saite, und ärgerte sich, wenn das Publikum
nicht klatschte. Wie alle Virtuosen, die solch ein¬
saitiges Talent ausgebildet, strebte er nur nach
Applaudissement, sah er mit Ingrimm auf den
Ruhm Anderer, beneidete er seine Collegen um
ihren Gewinnst, wie z. B. den Clauren, schrieb
er gleich fünfaktige Pasquille, wenn er nur eine

in Worten„— ſo gaͤnzlich unbekannt mit dem
Weſen der Poeſie, weiß er nicht einmal, daß das
Wort nur bey dem Rhetor eine That iſt, bey
dem wahren Dichter aber ein Ereigniß. Ungleich
dem wahren Dichter, iſt die Sprache nie Meiſter
geworden in ihm, er iſt dagegen Meiſter gewor¬
den in der Sprache oder vielmehr auf der Sprache,
wie ein Virtuoſe auf einem Inſtrumente. Je
weiter er es ſolcherart im Techniſchen brachte,
deſto groͤßere Meinung bekam er von ſeiner Vir¬
tuoſitaͤt; er wußte ja in allen Weiſen zu ſpielen,
er verſifizirte ja die ſchwierigſten Paſſagen, er
dichtete, ſo zu ſagen, manchmal nur auf der
G-Saite, und aͤrgerte ſich, wenn das Publikum
nicht klatſchte. Wie alle Virtuoſen, die ſolch ein¬
ſaitiges Talent ausgebildet, ſtrebte er nur nach
Applaudiſſement, ſah er mit Ingrimm auf den
Ruhm Anderer, beneidete er ſeine Collegen um
ihren Gewinnſt, wie z. B. den Clauren, ſchrieb
er gleich fuͤnfaktige Pasquille, wenn er nur eine

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[372/0380] in Worten„— ſo gaͤnzlich unbekannt mit dem Weſen der Poeſie, weiß er nicht einmal, daß das Wort nur bey dem Rhetor eine That iſt, bey dem wahren Dichter aber ein Ereigniß. Ungleich dem wahren Dichter, iſt die Sprache nie Meiſter geworden in ihm, er iſt dagegen Meiſter gewor¬ den in der Sprache oder vielmehr auf der Sprache, wie ein Virtuoſe auf einem Inſtrumente. Je weiter er es ſolcherart im Techniſchen brachte, deſto groͤßere Meinung bekam er von ſeiner Vir¬ tuoſitaͤt; er wußte ja in allen Weiſen zu ſpielen, er verſifizirte ja die ſchwierigſten Paſſagen, er dichtete, ſo zu ſagen, manchmal nur auf der G-Saite, und aͤrgerte ſich, wenn das Publikum nicht klatſchte. Wie alle Virtuoſen, die ſolch ein¬ ſaitiges Talent ausgebildet, ſtrebte er nur nach Applaudiſſement, ſah er mit Ingrimm auf den Ruhm Anderer, beneidete er ſeine Collegen um ihren Gewinnſt, wie z. B. den Clauren, ſchrieb er gleich fuͤnfaktige Pasquille, wenn er nur eine

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/380>, abgerufen am 14.05.2024.