daß an seiner Aechtheit zur Figur keinen Augen- blick zu zweifeln ist. Ein Gesicht voll hohem Geist und Jonischer Grazie! Die Nase schießt nur ein klein wenig von der Stirn ab, nicht den dritten Theil wie ein Strahl im Wasser. Der Leib ist die frischeste, kernigste, ausgebildete Wollust; Brust und Schenkel schwellen mar- kicht vorn und hinten. Sie hat durchaus den süßesten überschwenglichen Reiz eines so eben reif gewordnen himmlischen Geschöpfes vor der ersten Liebesnacht; welches Vater Homer mit dem Wundergürtel hat ausdrücken wollen.
Sie hat ein Grübchen im Kinn: Zeichen von Fülle und Kraft zugleich, und Reifheit der göttlichen Frucht; und nur halberöfnete, oder zugehaltne Augen, die das Innre nicht erkennen lassen wollen, sprödiglich.
Kurz, es ist Erscheinung eines überirrdi- schen Wesens, von dem man nicht begreift, wo es her kömmt; denn es hat hienieden keine Lei-
den
daß an ſeiner Aechtheit zur Figur keinen Augen- blick zu zweifeln iſt. Ein Geſicht voll hohem Geiſt und Joniſcher Grazie! Die Naſe ſchießt nur ein klein wenig von der Stirn ab, nicht den dritten Theil wie ein Strahl im Waſſer. Der Leib iſt die friſcheſte, kernigſte, ausgebildete Wolluſt; Bruſt und Schenkel ſchwellen mar- kicht vorn und hinten. Sie hat durchaus den ſuͤßeſten uͤberſchwenglichen Reiz eines ſo eben reif gewordnen himmliſchen Geſchoͤpfes vor der erſten Liebesnacht; welches Vater Homer mit dem Wunderguͤrtel hat ausdruͤcken wollen.
Sie hat ein Gruͤbchen im Kinn: Zeichen von Fuͤlle und Kraft zugleich, und Reifheit der goͤttlichen Frucht; und nur halberoͤfnete, oder zugehaltne Augen, die das Innre nicht erkennen laſſen wollen, ſproͤdiglich.
Kurz, es iſt Erſcheinung eines uͤberirrdi- ſchen Weſens, von dem man nicht begreift, wo es her koͤmmt; denn es hat hienieden keine Lei-
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daß an ſeiner Aechtheit zur Figur keinen Augen-
blick zu zweifeln iſt. Ein Geſicht voll hohem
Geiſt und Joniſcher Grazie! Die Naſe ſchießt
nur ein klein wenig von der Stirn ab, nicht den
dritten Theil wie ein Strahl im Waſſer. Der
Leib iſt die friſcheſte, kernigſte, ausgebildete
Wolluſt; Bruſt und Schenkel ſchwellen mar-
kicht vorn und hinten. Sie hat durchaus den
ſuͤßeſten uͤberſchwenglichen Reiz eines ſo eben reif
gewordnen himmliſchen Geſchoͤpfes vor der erſten
Liebesnacht; welches Vater Homer mit dem
Wunderguͤrtel hat ausdruͤcken wollen.
Sie hat ein Gruͤbchen im Kinn: Zeichen
von Fuͤlle und Kraft zugleich, und Reifheit der
goͤttlichen Frucht; und nur halberoͤfnete, oder
zugehaltne Augen, die das Innre nicht erkennen
laſſen wollen, ſproͤdiglich.
Kurz, es iſt Erſcheinung eines uͤberirrdi-
ſchen Weſens, von dem man nicht begreift, wo
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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787/284>, abgerufen am 12.05.2024.
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