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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

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stellung soll gefunden werden. Denn, wie schon im
§. 39. bemerkt, das Widereinanderstreben ist den sämmt-
lichen Vorstellungen zufällig, und sie äussern sich dem-
nach nur in so fern als Kräfte, als das Quantum des
Gegensatzes, welcher sich zwischen ihnen bildet, es mit
sich bringt. Je stärker nun der Grad des Gegensatzes
(das obige m) und je Mehr des entgegenstehenden (we-
gen der Stärke der einzelnen Vorstellungen): um desto
grösser ist das Quantum dessen, was weichen muss aus
dem Bewusstseyn. Dieses Quantum bildet alsdann gleich-
sam die Last, welche sich vertheilt unter den verschiede-
nen Vorstellungen, die daran zu tragen haben; und das
sind die sämmtlichen wider einander strebenden. Aber
nicht eher können wir füglich von der Vertheilung spre-
chen, als bis wir die Last kennen, die vertheilt wer-
den soll.

Für vollen Gegensatz nun, und für zwey Vorstel-
lungen a und b, liegt gleich so viel klar vor Augen, dass
entweder a, oder b die Hemmungssumme seyn müsse.
Denn es wird zwar von beyden gewiss Etwas gehemmt
werden, und dass irgend eins von beyden gänzlich weiche,
ist eine blosse Fiction, der die Wirklichkeit durchaus
nicht entsprechen kann, weil nothwendig jedes von der
ihm entgegenstrebenden Kraft etwas leiden muss: allein
in welchem Verhältnisse auch die Last sich vertheile, sie
bleibt doch an sich immer dieselbe; wir haben aber schon
im vorigen §. bemerkt, dass diese Last, oder das Zu-
Hemmende a seyn würde, wenn b ungehemmt bleiben
sollte; hingegen b, wenn a von der Hemmung frey ge-
dacht würde. Gesetzt also, die Hemmungssumme wäre
der Grösse nach gleich a: so würde zwar darum nicht
die ganze Vorstellung a gehemmt, aber der Grund
hievon läge nur darin, dass ein Theil dieser Hemmungs-
summe auf b fiele, und gerade so viel, als auf b käme,
dürfte nun von a ungehemmt bleiben. Gesetzt im Ge-
gentheil, die Hemmungssumme wäre der Grösse nach
=b, so würde nur so viel von b ungehemmt bleiben kön-

nen,

stellung soll gefunden werden. Denn, wie schon im
§. 39. bemerkt, das Widereinanderstreben ist den sämmt-
lichen Vorstellungen zufällig, und sie äuſsern sich dem-
nach nur in so fern als Kräfte, als das Quantum des
Gegensatzes, welcher sich zwischen ihnen bildet, es mit
sich bringt. Je stärker nun der Grad des Gegensatzes
(das obige m) und je Mehr des entgegenstehenden (we-
gen der Stärke der einzelnen Vorstellungen): um desto
gröſser ist das Quantum dessen, was weichen muſs aus
dem Bewuſstseyn. Dieses Quantum bildet alsdann gleich-
sam die Last, welche sich vertheilt unter den verschiede-
nen Vorstellungen, die daran zu tragen haben; und das
sind die sämmtlichen wider einander strebenden. Aber
nicht eher können wir füglich von der Vertheilung spre-
chen, als bis wir die Last kennen, die vertheilt wer-
den soll.

Für vollen Gegensatz nun, und für zwey Vorstel-
lungen a und b, liegt gleich so viel klar vor Augen, daſs
entweder a, oder b die Hemmungssumme seyn müsse.
Denn es wird zwar von beyden gewiſs Etwas gehemmt
werden, und daſs irgend eins von beyden gänzlich weiche,
ist eine bloſse Fiction, der die Wirklichkeit durchaus
nicht entsprechen kann, weil nothwendig jedes von der
ihm entgegenstrebenden Kraft etwas leiden muſs: allein
in welchem Verhältnisse auch die Last sich vertheile, sie
bleibt doch an sich immer dieselbe; wir haben aber schon
im vorigen §. bemerkt, daſs diese Last, oder das Zu-
Hemmende a seyn würde, wenn b ungehemmt bleiben
sollte; hingegen b, wenn a von der Hemmung frey ge-
dacht würde. Gesetzt also, die Hemmungssumme wäre
der Gröſse nach gleich a: so würde zwar darum nicht
die ganze Vorstellung a gehemmt, aber der Grund
hievon läge nur darin, daſs ein Theil dieser Hemmungs-
summe auf b fiele, und gerade so viel, als auf b käme,
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=b, so würde nur so viel von b ungehemmt bleiben kön-

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[160/0180] stellung soll gefunden werden. Denn, wie schon im §. 39. bemerkt, das Widereinanderstreben ist den sämmt- lichen Vorstellungen zufällig, und sie äuſsern sich dem- nach nur in so fern als Kräfte, als das Quantum des Gegensatzes, welcher sich zwischen ihnen bildet, es mit sich bringt. Je stärker nun der Grad des Gegensatzes (das obige m) und je Mehr des entgegenstehenden (we- gen der Stärke der einzelnen Vorstellungen): um desto gröſser ist das Quantum dessen, was weichen muſs aus dem Bewuſstseyn. Dieses Quantum bildet alsdann gleich- sam die Last, welche sich vertheilt unter den verschiede- nen Vorstellungen, die daran zu tragen haben; und das sind die sämmtlichen wider einander strebenden. Aber nicht eher können wir füglich von der Vertheilung spre- chen, als bis wir die Last kennen, die vertheilt wer- den soll. Für vollen Gegensatz nun, und für zwey Vorstel- lungen a und b, liegt gleich so viel klar vor Augen, daſs entweder a, oder b die Hemmungssumme seyn müsse. Denn es wird zwar von beyden gewiſs Etwas gehemmt werden, und daſs irgend eins von beyden gänzlich weiche, ist eine bloſse Fiction, der die Wirklichkeit durchaus nicht entsprechen kann, weil nothwendig jedes von der ihm entgegenstrebenden Kraft etwas leiden muſs: allein in welchem Verhältnisse auch die Last sich vertheile, sie bleibt doch an sich immer dieselbe; wir haben aber schon im vorigen §. bemerkt, daſs diese Last, oder das Zu- Hemmende a seyn würde, wenn b ungehemmt bleiben sollte; hingegen b, wenn a von der Hemmung frey ge- dacht würde. Gesetzt also, die Hemmungssumme wäre der Gröſse nach gleich a: so würde zwar darum nicht die ganze Vorstellung a gehemmt, aber der Grund hievon läge nur darin, daſs ein Theil dieser Hemmungs- summe auf b fiele, und gerade so viel, als auf b käme, dürfte nun von a ungehemmt bleiben. Gesetzt im Ge- gentheil, die Hemmungssumme wäre der Gröſse nach =b, so würde nur so viel von b ungehemmt bleiben kön- nen,

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/180>, abgerufen am 29.04.2024.