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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

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grösseren Masse des Vorstellens sich wirksam äussern
wird. -- Aber wenn von zweyen, zuvor gleich starken
Vorstellungen, jetzo eine sich verstärkt, die andre gleich
stark bleibt wie vorhin: so ist hier ein ähnlicher Fall wie
schon oben im §. 42. bey der Hemmungssumme vorkam.
Nämlich die Nothwendigkeit der Verschmelzung wächst
hier eben so wenig, wie dort die Nothwendigkeit der
Hemmung. Denn die Zerlegung der stärkeren Vorstel-
lung in Gleiches und Entgegengesetztes wächst nicht
darum, weil die Vorstellung selbst wächst, sondern sie
bleibt in der nämlichen Kraft und Bedeutung, so lange
die schwächere, zerlegende Vorstellung sich gleich
bleibt. Die Spannung ist nun geringer, sowohl die, wel-
che zur Verschmelzung antreibt, als die welche der Ver-
schmelzung entgegenwirkt. -- Dieses hindert aber nicht,
dass die Totalkräfte, welche die wirkliche Verschmelzung
hervorbringt, von der Stärke einer jeden verschmelzenden
abhängen. Man muss die Energie des Verschmel-
zens
sehr wohl unterscheiden von den Kraft-Verhältnis-
sen der verschmolzenen Vorstellungen.

Ferner: dem Einen, aus der Gleichartigkeit entsprin-
genden Streben zur Verschmelzung, wirken beyde entge-
gengesetzte Eigenthümlichkeiten gerade in so fern zuwi-
der, als sie sich unter einander anfechten, und dadurch
das Sinken der Vorstellungen bewirken. Denn derselbe Wi-
derstreit, welcher die Hemmungssumme hervorbringt, macht
auch die Vereinigung in Eine Totalkraft unmöglich, oder
doch schwierig und unvollkommen. -- Demnach sind hier
bey zweyen Vorstellungen drey Kräfte vorhanden; die
eine zur Verschmelzung wirkende, =1--m, und die bey-
den entgegengesetzten Eigenthümlichkeiten, oder mit ei-
nem verkürzten Ausdrucke, die beyden Gegensätze, jeder
=m, dem Hemmungsgrade, weil die ungleiche Stärke
der Vorstellungen hier aus den Augen zu lassen ist.
Diese drey Kräfte stehn unter einander in voller Hem-
mung; denn erstlich ist das Entgegengesetzte zweyer Vor-
stellungen, so fern es aus ihnen herausgehoben gedacht

gröſseren Masse des Vorstellens sich wirksam äuſsern
wird. — Aber wenn von zweyen, zuvor gleich starken
Vorstellungen, jetzo eine sich verstärkt, die andre gleich
stark bleibt wie vorhin: so ist hier ein ähnlicher Fall wie
schon oben im §. 42. bey der Hemmungssumme vorkam.
Nämlich die Nothwendigkeit der Verschmelzung wächst
hier eben so wenig, wie dort die Nothwendigkeit der
Hemmung. Denn die Zerlegung der stärkeren Vorstel-
lung in Gleiches und Entgegengesetztes wächst nicht
darum, weil die Vorstellung selbst wächst, sondern sie
bleibt in der nämlichen Kraft und Bedeutung, so lange
die schwächere, zerlegende Vorstellung sich gleich
bleibt. Die Spannung ist nun geringer, sowohl die, wel-
che zur Verschmelzung antreibt, als die welche der Ver-
schmelzung entgegenwirkt. — Dieses hindert aber nicht,
daſs die Totalkräfte, welche die wirkliche Verschmelzung
hervorbringt, von der Stärke einer jeden verschmelzenden
abhängen. Man muſs die Energie des Verschmel-
zens
sehr wohl unterscheiden von den Kraft-Verhältnis-
sen der verschmolzenen Vorstellungen.

Ferner: dem Einen, aus der Gleichartigkeit entsprin-
genden Streben zur Verschmelzung, wirken beyde entge-
gengesetzte Eigenthümlichkeiten gerade in so fern zuwi-
der, als sie sich unter einander anfechten, und dadurch
das Sinken der Vorstellungen bewirken. Denn derselbe Wi-
derstreit, welcher die Hemmungssumme hervorbringt, macht
auch die Vereinigung in Eine Totalkraft unmöglich, oder
doch schwierig und unvollkommen. — Demnach sind hier
bey zweyen Vorstellungen drey Kräfte vorhanden; die
eine zur Verschmelzung wirkende, =1—m, und die bey-
den entgegengesetzten Eigenthümlichkeiten, oder mit ei-
nem verkürzten Ausdrucke, die beyden Gegensätze, jeder
=m, dem Hemmungsgrade, weil die ungleiche Stärke
der Vorstellungen hier aus den Augen zu lassen ist.
Diese drey Kräfte stehn unter einander in voller Hem-
mung; denn erstlich ist das Entgegengesetzte zweyer Vor-
stellungen, so fern es aus ihnen herausgehoben gedacht

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[238/0258] gröſseren Masse des Vorstellens sich wirksam äuſsern wird. — Aber wenn von zweyen, zuvor gleich starken Vorstellungen, jetzo eine sich verstärkt, die andre gleich stark bleibt wie vorhin: so ist hier ein ähnlicher Fall wie schon oben im §. 42. bey der Hemmungssumme vorkam. Nämlich die Nothwendigkeit der Verschmelzung wächst hier eben so wenig, wie dort die Nothwendigkeit der Hemmung. Denn die Zerlegung der stärkeren Vorstel- lung in Gleiches und Entgegengesetztes wächst nicht darum, weil die Vorstellung selbst wächst, sondern sie bleibt in der nämlichen Kraft und Bedeutung, so lange die schwächere, zerlegende Vorstellung sich gleich bleibt. Die Spannung ist nun geringer, sowohl die, wel- che zur Verschmelzung antreibt, als die welche der Ver- schmelzung entgegenwirkt. — Dieses hindert aber nicht, daſs die Totalkräfte, welche die wirkliche Verschmelzung hervorbringt, von der Stärke einer jeden verschmelzenden abhängen. Man muſs die Energie des Verschmel- zens sehr wohl unterscheiden von den Kraft-Verhältnis- sen der verschmolzenen Vorstellungen. Ferner: dem Einen, aus der Gleichartigkeit entsprin- genden Streben zur Verschmelzung, wirken beyde entge- gengesetzte Eigenthümlichkeiten gerade in so fern zuwi- der, als sie sich unter einander anfechten, und dadurch das Sinken der Vorstellungen bewirken. Denn derselbe Wi- derstreit, welcher die Hemmungssumme hervorbringt, macht auch die Vereinigung in Eine Totalkraft unmöglich, oder doch schwierig und unvollkommen. — Demnach sind hier bey zweyen Vorstellungen drey Kräfte vorhanden; die eine zur Verschmelzung wirkende, =1—m, und die bey- den entgegengesetzten Eigenthümlichkeiten, oder mit ei- nem verkürzten Ausdrucke, die beyden Gegensätze, jeder =m, dem Hemmungsgrade, weil die ungleiche Stärke der Vorstellungen hier aus den Augen zu lassen ist. Diese drey Kräfte stehn unter einander in voller Hem- mung; denn erstlich ist das Entgegengesetzte zweyer Vor- stellungen, so fern es aus ihnen herausgehoben gedacht

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/258>, abgerufen am 01.05.2024.