Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

Elemente, haben nur noch eine geliehene, das heisst,
keine wahre Realität. Jedoch auch hiebey bleibt es nicht,
sondern:

Der Idealist findet, dass, wie die Eigenschaften, so
die Sachen, die Elemente, die Grundstoffe des Chemi-
kers, nur Anschauungen und Gedanken sind. Dahinter
ist das Ich, welches dem Nicht-Ich Realität leiht.

Aber auch der Idealismus wird widerlegt; einfache
Wesen, ursprünglich ohne alle Mehrheit von Bestim-
mungen, treten hervor; auf das Zusammen solcher We-
sen, wird jedes Merkmal eines sinnlichen Dinges zurück-
geführt.

So wandert der Begriff des Seyn! Er zieht
sich immer tiefer hinter das sinnlich Gegebene zurück;
und immer weiter wird der Weg von diesem Gegebenen
bis zu dem Realen, wovon es getragen, woraus es er-
klärt wird. -- Aber der Begriff des Seyn muss für jede
Bildungsstufe der Erkenntniss sich irgendwo befinden,
weil sonst Alles als Nichts vorgestellt würde.

Wo er sich finde: das ist das Erste, Charakteristi-
sche für diese Bildungsstufe in Hinsicht der ihr zuge-
hörigen Auffassung der Welt.

Hiernach richtet sich insbesondere der Begriff der
Substanz. Da nun der erste von den zuvor bemerkten
Schritten bey allen Menschen wirklich vorkommt: so
gelten dem gemeinen Verstande die Sachen für das
Seyende, und der Name Realität stammt her von res.
Die Sachen sind, psychologisch betrachtet, Complexionen
von Merkmalen; diesen wird unmittelbar das Seyn zuge-
schrieben. Es ist also die erste, gewöhnlichste
Täuschung in der Auffassung der Welt, Aggre-
gate sinnlicher Merkmale ohne Frage nach
dem Princip ihrer Einheit, für wahre Einhei-
ten, und diese eingebildeten, durch gar Nichts

(ausser durch einen psychologischen Mechanismns) ver-
knüpften Einheiten, für real zu halten; während
man sie bey einer genauern Untersuchung nicht

Elemente, haben nur noch eine geliehene, das heiſst,
keine wahre Realität. Jedoch auch hiebey bleibt es nicht,
sondern:

Der Idealist findet, daſs, wie die Eigenschaften, so
die Sachen, die Elemente, die Grundstoffe des Chemi-
kers, nur Anschauungen und Gedanken sind. Dahinter
ist das Ich, welches dem Nicht-Ich Realität leiht.

Aber auch der Idealismus wird widerlegt; einfache
Wesen, ursprünglich ohne alle Mehrheit von Bestim-
mungen, treten hervor; auf das Zusammen solcher We-
sen, wird jedes Merkmal eines sinnlichen Dinges zurück-
geführt.

So wandert der Begriff des Seyn! Er zieht
sich immer tiefer hinter das sinnlich Gegebene zurück;
und immer weiter wird der Weg von diesem Gegebenen
bis zu dem Realen, wovon es getragen, woraus es er-
klärt wird. — Aber der Begriff des Seyn muſs für jede
Bildungsstufe der Erkenntniſs sich irgendwo befinden,
weil sonst Alles als Nichts vorgestellt würde.

Wo er sich finde: das ist das Erste, Charakteristi-
sche für diese Bildungsstufe in Hinsicht der ihr zuge-
hörigen Auffassung der Welt.

Hiernach richtet sich insbesondere der Begriff der
Substanz. Da nun der erste von den zuvor bemerkten
Schritten bey allen Menschen wirklich vorkommt: so
gelten dem gemeinen Verstande die Sachen für das
Seyende, und der Name Realität stammt her von res.
Die Sachen sind, psychologisch betrachtet, Complexionen
von Merkmalen; diesen wird unmittelbar das Seyn zuge-
schrieben. Es ist also die erste, gewöhnlichste
Täuschung in der Auffassung der Welt, Aggre-
gate sinnlicher Merkmale ohne Frage nach
dem Princip ihrer Einheit, für wahre Einhei-
ten, und diese eingebildeten, durch gar Nichts

(auſser durch einen psychologischen Mechanismns) ver-
knüpften Einheiten, für real zu halten; während
man sie bey einer genauern Untersuchung nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0346" n="311"/>
Elemente, haben nur noch eine geliehene, das hei&#x017F;st,<lb/>
keine wahre Realität. Jedoch auch hiebey bleibt es nicht,<lb/>
sondern:</p><lb/>
              <p>Der Idealist findet, da&#x017F;s, wie die Eigenschaften, so<lb/>
die Sachen, die Elemente, die Grundstoffe des Chemi-<lb/>
kers, nur Anschauungen und Gedanken sind. Dahinter<lb/>
ist das Ich, welches dem Nicht-Ich Realität leiht.</p><lb/>
              <p>Aber auch der Idealismus wird widerlegt; einfache<lb/>
Wesen, ursprünglich ohne alle Mehrheit von Bestim-<lb/>
mungen, treten hervor; auf das Zusammen solcher We-<lb/>
sen, wird jedes Merkmal eines sinnlichen Dinges zurück-<lb/>
geführt.</p><lb/>
              <p><hi rendition="#g">So wandert der Begriff des Seyn!</hi> Er zieht<lb/>
sich immer tiefer hinter das sinnlich Gegebene zurück;<lb/>
und immer weiter wird der Weg von diesem Gegebenen<lb/>
bis zu dem Realen, wovon es getragen, woraus es er-<lb/>
klärt wird. &#x2014; Aber der Begriff des Seyn mu&#x017F;s für jede<lb/>
Bildungsstufe der Erkenntni&#x017F;s sich <hi rendition="#g">irgendwo</hi> befinden,<lb/>
weil sonst <hi rendition="#g">Alles</hi> als <hi rendition="#g">Nichts</hi> vorgestellt würde.</p><lb/>
              <p><hi rendition="#g">Wo</hi> er sich finde: das ist das Erste, Charakteristi-<lb/>
sche für diese Bildungsstufe in Hinsicht der ihr zuge-<lb/>
hörigen Auffassung der Welt.</p><lb/>
              <p>Hiernach richtet sich insbesondere der Begriff der<lb/>
Substanz. Da nun der erste von den zuvor bemerkten<lb/>
Schritten bey allen Menschen wirklich vorkommt: so<lb/>
gelten dem gemeinen Verstande die <hi rendition="#g">Sachen</hi> für das<lb/>
Seyende, und der Name <hi rendition="#g">Realität</hi> stammt her von <hi rendition="#i">res.</hi><lb/>
Die Sachen sind, psychologisch betrachtet, Complexionen<lb/>
von Merkmalen; diesen wird unmittelbar das Seyn zuge-<lb/>
schrieben. <hi rendition="#g">Es ist also die erste, gewöhnlichste<lb/>
Täuschung in der Auffassung der Welt, Aggre-<lb/>
gate sinnlicher Merkmale ohne Frage nach<lb/>
dem Princip ihrer Einheit, für wahre Einhei-<lb/>
ten, und diese eingebildeten, durch gar Nichts</hi><lb/>
(au&#x017F;ser durch einen psychologischen Mechanismns) <hi rendition="#g">ver-<lb/>
knüpften Einheiten, für <hi rendition="#i">real</hi> zu halten; während<lb/>
man sie bey einer genauern Untersuchung <hi rendition="#i">nicht<lb/></hi></hi></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[311/0346] Elemente, haben nur noch eine geliehene, das heiſst, keine wahre Realität. Jedoch auch hiebey bleibt es nicht, sondern: Der Idealist findet, daſs, wie die Eigenschaften, so die Sachen, die Elemente, die Grundstoffe des Chemi- kers, nur Anschauungen und Gedanken sind. Dahinter ist das Ich, welches dem Nicht-Ich Realität leiht. Aber auch der Idealismus wird widerlegt; einfache Wesen, ursprünglich ohne alle Mehrheit von Bestim- mungen, treten hervor; auf das Zusammen solcher We- sen, wird jedes Merkmal eines sinnlichen Dinges zurück- geführt. So wandert der Begriff des Seyn! Er zieht sich immer tiefer hinter das sinnlich Gegebene zurück; und immer weiter wird der Weg von diesem Gegebenen bis zu dem Realen, wovon es getragen, woraus es er- klärt wird. — Aber der Begriff des Seyn muſs für jede Bildungsstufe der Erkenntniſs sich irgendwo befinden, weil sonst Alles als Nichts vorgestellt würde. Wo er sich finde: das ist das Erste, Charakteristi- sche für diese Bildungsstufe in Hinsicht der ihr zuge- hörigen Auffassung der Welt. Hiernach richtet sich insbesondere der Begriff der Substanz. Da nun der erste von den zuvor bemerkten Schritten bey allen Menschen wirklich vorkommt: so gelten dem gemeinen Verstande die Sachen für das Seyende, und der Name Realität stammt her von res. Die Sachen sind, psychologisch betrachtet, Complexionen von Merkmalen; diesen wird unmittelbar das Seyn zuge- schrieben. Es ist also die erste, gewöhnlichste Täuschung in der Auffassung der Welt, Aggre- gate sinnlicher Merkmale ohne Frage nach dem Princip ihrer Einheit, für wahre Einhei- ten, und diese eingebildeten, durch gar Nichts (auſser durch einen psychologischen Mechanismns) ver- knüpften Einheiten, für real zu halten; während man sie bey einer genauern Untersuchung nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/346
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/346>, abgerufen am 26.04.2024.