Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

wicht
zu setzen; die vorangehenden werden durch die nach-
kommenden auf die mechanische Schwelle geworfen, ohne
in diejenigen Verbindungen, deren sie fähig waren, getreten
zu seyn; und aus der mechanischen Schwelle wird gar bald
die statische, wofern der Zufluß neuer Vorstellungen noch
länger dauert. Vermöge dieser übereilten Hemmungen sam-
melt sich eine Menge unverdauten Stoffes, der erst allmäh-
lig verarbeitet wird, wenn ihn nachmalige Reproductionen
wieder ins Bewußtseyn zurückführen.

209. Die spätere Verarbeitung des früher gesammel-
ten Stoffes ist um desto wichtiger, weil die älteren Vor-
stellungen gewöhnlich die stärkeren sind, wegen der abneh-
menden Empfänglichkeit. Diese Verarbeitung wird jedoch,
je später, desto schwieriger, weil durch den steten Zufluß
neuer Wahrnehmungen sich die Gemüthslage, nebst der ent-
sprechenden Disposition des Leibes, fortdauernd ändert, so
daß die älteren Vorstellungen mit ihren früher eingegange-
nen Verbindungen immer weniger dazu passen, folglich die
Reproduction derselben größere Hindernisse antrifft. Hierin
liegt der Grund, weshalb dasjenige, woran nicht manchmal
durch Wiederhohlungen erinnert wird, mehr und mehr in Ver-
gessenheit geräth. Genau genommen aber geht in der Seele
nichts verloren.

210. Die Zweckmäßigkeit der Verarbeitung wird be-
stimmt durch die Zweckmäßigkeit der Reproduction. Denn
welche Vorstellungen zugleich reproducirt werden, diese
eben, und keine andern, gerathen dadurch in neue und inni-
gere Verbindung.

Anmerkung. Hiemit hängen einige von den päda-
gogischen Hauptbegriffen zusammen. Zuvörderst die Unter-
scheidung des analytischen und synthetischen Unter-
richts
. Jener geschieht durch zweckmäßige Reproduction;
dieser sorgt dafür, neue Vorstellungen gleich Anfangs in

wicht
zu setzen; die vorangehenden werden durch die nach-
kommenden auf die mechanische Schwelle geworfen, ohne
in diejenigen Verbindungen, deren sie fähig waren, getreten
zu seyn; und aus der mechanischen Schwelle wird gar bald
die statische, wofern der Zufluß neuer Vorstellungen noch
länger dauert. Vermöge dieser übereilten Hemmungen sam-
melt sich eine Menge unverdauten Stoffes, der erst allmäh-
lig verarbeitet wird, wenn ihn nachmalige Reproductionen
wieder ins Bewußtseyn zurückführen.

209. Die spätere Verarbeitung des früher gesammel-
ten Stoffes ist um desto wichtiger, weil die älteren Vor-
stellungen gewöhnlich die stärkeren sind, wegen der abneh-
menden Empfänglichkeit. Diese Verarbeitung wird jedoch,
je später, desto schwieriger, weil durch den steten Zufluß
neuer Wahrnehmungen sich die Gemüthslage, nebst der ent-
sprechenden Disposition des Leibes, fortdauernd ändert, so
daß die älteren Vorstellungen mit ihren früher eingegange-
nen Verbindungen immer weniger dazu passen, folglich die
Reproduction derselben größere Hindernisse antrifft. Hierin
liegt der Grund, weshalb dasjenige, woran nicht manchmal
durch Wiederhohlungen erinnert wird, mehr und mehr in Ver-
gessenheit geräth. Genau genommen aber geht in der Seele
nichts verloren.

210. Die Zweckmäßigkeit der Verarbeitung wird be-
stimmt durch die Zweckmäßigkeit der Reproduction. Denn
welche Vorstellungen zugleich reproducirt werden, diese
eben, und keine andern, gerathen dadurch in neue und inni-
gere Verbindung.

Anmerkung. Hiemit hängen einige von den päda-
gogischen Hauptbegriffen zusammen. Zuvörderst die Unter-
scheidung des analytischen und synthetischen Unter-
richts
. Jener geschieht durch zweckmäßige Reproduction;
dieser sorgt dafür, neue Vorstellungen gleich Anfangs in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0176" n="168"/>
wicht<lb/>
zu setzen; die vorangehenden
               werden durch die nach-<lb/>
kommenden auf die mechanische Schwelle geworfen, ohne<lb/>
in diejenigen Verbindungen, deren sie fähig waren, getreten<lb/>
zu seyn; und
               aus der mechanischen Schwelle wird gar bald<lb/>
die statische, wofern der Zufluß
               neuer Vorstellungen noch<lb/>
länger dauert. Vermöge dieser übereilten Hemmungen
               sam-<lb/>
melt sich eine Menge unverdauten Stoffes, der erst allmäh-<lb/>
lig
               verarbeitet wird, wenn ihn nachmalige Reproductionen<lb/>
wieder ins Bewußtseyn
               zurückführen.</p><lb/>
            <p>209. Die spätere Verarbeitung des früher gesammel-<lb/>
ten Stoffes ist um desto
               wichtiger, weil die älteren Vor-<lb/>
stellungen gewöhnlich die stärkeren sind, wegen
               der abneh-<lb/>
menden Empfänglichkeit. Diese Verarbeitung wird jedoch,<lb/>
je
               später, desto schwieriger, weil durch den steten Zufluß<lb/>
neuer Wahrnehmungen sich
               die Gemüthslage, nebst der ent-<lb/>
sprechenden Disposition des Leibes, fortdauernd
               ändert, so<lb/>
daß die älteren Vorstellungen mit ihren früher eingegange-<lb/>
nen
               Verbindungen immer weniger dazu passen, folglich die<lb/>
Reproduction derselben
               größere Hindernisse antrifft. Hierin<lb/>
liegt der Grund, weshalb dasjenige, woran
               nicht manchmal<lb/>
durch Wiederhohlungen erinnert wird, mehr und mehr in Ver-<lb/>
gessenheit geräth. Genau genommen aber geht in der Seele<lb/>
nichts verloren.</p><lb/>
            <p>210. Die Zweckmäßigkeit der Verarbeitung wird be-<lb/>
stimmt durch die
               Zweckmäßigkeit der Reproduction. Denn<lb/>
welche Vorstellungen zugleich reproducirt
               werden, diese<lb/>
eben, und keine andern, gerathen dadurch in neue und inni-<lb/>
gere Verbindung.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Anmerkung</hi>. Hiemit hängen einige von den päda-<lb/>
gogischen
               Hauptbegriffen zusammen. Zuvörderst die Unter-<lb/>
scheidung des <hi rendition="#g">analytischen</hi> und <hi rendition="#g">synthetischen Unter-<lb/>
richts</hi>.
               Jener geschieht durch zweckmäßige Reproduction;<lb/>
dieser sorgt dafür, neue
               Vorstellungen gleich Anfangs in<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[168/0176] wicht zu setzen; die vorangehenden werden durch die nach- kommenden auf die mechanische Schwelle geworfen, ohne in diejenigen Verbindungen, deren sie fähig waren, getreten zu seyn; und aus der mechanischen Schwelle wird gar bald die statische, wofern der Zufluß neuer Vorstellungen noch länger dauert. Vermöge dieser übereilten Hemmungen sam- melt sich eine Menge unverdauten Stoffes, der erst allmäh- lig verarbeitet wird, wenn ihn nachmalige Reproductionen wieder ins Bewußtseyn zurückführen. 209. Die spätere Verarbeitung des früher gesammel- ten Stoffes ist um desto wichtiger, weil die älteren Vor- stellungen gewöhnlich die stärkeren sind, wegen der abneh- menden Empfänglichkeit. Diese Verarbeitung wird jedoch, je später, desto schwieriger, weil durch den steten Zufluß neuer Wahrnehmungen sich die Gemüthslage, nebst der ent- sprechenden Disposition des Leibes, fortdauernd ändert, so daß die älteren Vorstellungen mit ihren früher eingegange- nen Verbindungen immer weniger dazu passen, folglich die Reproduction derselben größere Hindernisse antrifft. Hierin liegt der Grund, weshalb dasjenige, woran nicht manchmal durch Wiederhohlungen erinnert wird, mehr und mehr in Ver- gessenheit geräth. Genau genommen aber geht in der Seele nichts verloren. 210. Die Zweckmäßigkeit der Verarbeitung wird be- stimmt durch die Zweckmäßigkeit der Reproduction. Denn welche Vorstellungen zugleich reproducirt werden, diese eben, und keine andern, gerathen dadurch in neue und inni- gere Verbindung. Anmerkung. Hiemit hängen einige von den päda- gogischen Hauptbegriffen zusammen. Zuvörderst die Unter- scheidung des analytischen und synthetischen Unter- richts. Jener geschieht durch zweckmäßige Reproduction; dieser sorgt dafür, neue Vorstellungen gleich Anfangs in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-07-05T12:13:38Z)
Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-07-05T12:13:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Hannah Sophia Glaum: Umwandlung in DTABf-konformes Markup. (2013-07-05T12:13:38Z)
Stefanie Seim: Nachkorrekturen. (2013-07-05T12:13:38Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/176
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/176>, abgerufen am 28.04.2024.