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Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.

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ist höchst verschieden bey den Jndividuen, daher auch An-
fangs die praktischen Grundsätze individuel sind. Vestsetzun-
gen dessen, was man lieber wolle, oder was man minder
erträglich finde, verbunden mit empirischen Klugheits-Regeln,
dies ergiebt den größten Theil der ersten Moral, wel-
che durch einen Begriff von wahrer und dauernder Glückse-
ligkeit die Launen zu regieren, die Leidenschaften zu däm-
pfen sucht.

233. Jn der praktischen Philosophie wird gezeigt, daß
die Pflicht auf den praktischen Jdeen beruht. Diese
besitzen eine ewige Jugend; dadurch scheiden sie sich allmäh-
lig von den ermattenden Wünschen und Genießungen als
das einzig Unveränderliche, was dem Bedürfnisse eines Ge-
setzes für den innern Menschen (231) entsprechen kann;
sie tragen überdies den Stempel eines unvermeidlichen
Verhängnisses
an sich, weil der Mensch derjenigen Be-
urtheilung, wovon sie die allgemeine Form bezeichnen,
schlechterdings nicht entgehen kann. Darum findet sich in
ihnen der notwendige Jnhalt, welcher die Form der allge-
meinen Selbst-Gesetzgebung ausfüllen muß.

Anmerkung. Hiemit ist nun erklärt, was für eine
Art von Selbstbeherrschung der Mensch sich anmuthen
soll
(228), und zwar noch ohne Frage, wieviel er davon
ausführen könne; welches letztere im Allgemeinen unbe-
stimmt, und überdies dem Jndividuum stets unbekannt
ist, indem Niemand sich selbst psychologisch genau zu durch-
schauen vermag. Daß nun eine so einfache Vorstellung
von der Pflicht für den gemeinen Gebrauch der Moralisten
nicht nachdrucksvoll genug erscheint, daß sie bald reizende,
bald imponirende Zusätze versuchen, um eindringlicher predi-
gen zu können, ist gar kein Wunder, und in manchen Fäl-
len, wenn es nicht übertrieben wird, sehr zu billigen.
Verwundern aber muß man sich, wenn einige Philosophen

ist höchst verschieden bey den Jndividuen, daher auch An-
fangs die praktischen Grundsätze individuel sind. Vestsetzun-
gen dessen, was man lieber wolle, oder was man minder
erträglich finde, verbunden mit empirischen Klugheits-Regeln,
dies ergiebt den größten Theil der ersten Moral, wel-
che durch einen Begriff von wahrer und dauernder Glückse-
ligkeit die Launen zu regieren, die Leidenschaften zu däm-
pfen sucht.

233. Jn der praktischen Philosophie wird gezeigt, daß
die Pflicht auf den praktischen Jdeen beruht. Diese
besitzen eine ewige Jugend; dadurch scheiden sie sich allmäh-
lig von den ermattenden Wünschen und Genießungen als
das einzig Unveränderliche, was dem Bedürfnisse eines Ge-
setzes für den innern Menschen (231) entsprechen kann;
sie tragen überdies den Stempel eines unvermeidlichen
Verhängnisses
an sich, weil der Mensch derjenigen Be-
urtheilung, wovon sie die allgemeine Form bezeichnen,
schlechterdings nicht entgehen kann. Darum findet sich in
ihnen der notwendige Jnhalt, welcher die Form der allge-
meinen Selbst-Gesetzgebung ausfüllen muß.

Anmerkung. Hiemit ist nun erklärt, was für eine
Art von Selbstbeherrschung der Mensch sich anmuthen
soll
(228), und zwar noch ohne Frage, wieviel er davon
ausführen könne; welches letztere im Allgemeinen unbe-
stimmt, und überdies dem Jndividuum stets unbekannt
ist, indem Niemand sich selbst psychologisch genau zu durch-
schauen vermag. Daß nun eine so einfache Vorstellung
von der Pflicht für den gemeinen Gebrauch der Moralisten
nicht nachdrucksvoll genug erscheint, daß sie bald reizende,
bald imponirende Zusätze versuchen, um eindringlicher predi-
gen zu können, ist gar kein Wunder, und in manchen Fäl-
len, wenn es nicht übertrieben wird, sehr zu billigen.
Verwundern aber muß man sich, wenn einige Philosophen

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[183/0191] ist höchst verschieden bey den Jndividuen, daher auch An- fangs die praktischen Grundsätze individuel sind. Vestsetzun- gen dessen, was man lieber wolle, oder was man minder erträglich finde, verbunden mit empirischen Klugheits-Regeln, dies ergiebt den größten Theil der ersten Moral, wel- che durch einen Begriff von wahrer und dauernder Glückse- ligkeit die Launen zu regieren, die Leidenschaften zu däm- pfen sucht. 233. Jn der praktischen Philosophie wird gezeigt, daß die Pflicht auf den praktischen Jdeen beruht. Diese besitzen eine ewige Jugend; dadurch scheiden sie sich allmäh- lig von den ermattenden Wünschen und Genießungen als das einzig Unveränderliche, was dem Bedürfnisse eines Ge- setzes für den innern Menschen (231) entsprechen kann; sie tragen überdies den Stempel eines unvermeidlichen Verhängnisses an sich, weil der Mensch derjenigen Be- urtheilung, wovon sie die allgemeine Form bezeichnen, schlechterdings nicht entgehen kann. Darum findet sich in ihnen der notwendige Jnhalt, welcher die Form der allge- meinen Selbst-Gesetzgebung ausfüllen muß. Anmerkung. Hiemit ist nun erklärt, was für eine Art von Selbstbeherrschung der Mensch sich anmuthen soll (228), und zwar noch ohne Frage, wieviel er davon ausführen könne; welches letztere im Allgemeinen unbe- stimmt, und überdies dem Jndividuum stets unbekannt ist, indem Niemand sich selbst psychologisch genau zu durch- schauen vermag. Daß nun eine so einfache Vorstellung von der Pflicht für den gemeinen Gebrauch der Moralisten nicht nachdrucksvoll genug erscheint, daß sie bald reizende, bald imponirende Zusätze versuchen, um eindringlicher predi- gen zu können, ist gar kein Wunder, und in manchen Fäl- len, wenn es nicht übertrieben wird, sehr zu billigen. Verwundern aber muß man sich, wenn einige Philosophen

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/191>, abgerufen am 28.04.2024.