läßt sich im Allgemeinen nicht bestimmen, und eben deshalb ist das
Streben dahin unbegränzt.
239. Wie nun die Kraft der Selbstbeherrschung nie- mals das Werk eines
Augenblicks, vielmehr ein Resultat des ganzen verflossenen Lebens ist, so kann
auch nicht jede Zeit des Lebens in Ansehung derselben gleich entscheidend seyn. Ein bedeutender Vorrath von Gedanken und Gefüh- len, der keine
verhältnißmäßig großen Zusätze mehr zu er- warten hat (man erinnere sich der
abnehmenden Empfäng- lichkeit), muß erst vorhanden seyn, ehe eine so
durchgrei- fende Sammlung des Gemüths Statt haben kann, daß der Mensch mit
Erfolg über sich selbst im Allgemeinen zu be- schließen vermöchte. Dann aber,
wenn diese Bedingung erfüllt ist (in der Regel am Ende der Erziehungsjahre),
ist es Zeit zu der tiefsten Besinnung, zu der umfassendsten praktischen
Ueberlegung. Denn von der Jnnigkeit der Ver- bindung, welche die Vorstellungen
nun eingehen, von der genauen Kunde über seine innersten Wünsche, welche der
Mensch nun erlangt, von der rechten Stellung in der Außen- welt, die er
jetzo sich selbst bereitet, hängt sowohl die Stärke als die Richtigkeit der
Führung ab, die er fortan sich geben wird, und eben davon hängt auch die rechte
Aufnahme alles Neuen ab, welches der Lauf des Lebens noch ferner
herbeyführen wird.
Sechstes Capitel. Psychologische
Betrachtungen über die Bestim- mung des Menschen.
240. Die Psychologie bleibt immer einseitig, so lange sie den Menschen als
allein stehend betrachtet. Denn theils
läßt sich im Allgemeinen nicht bestimmen, und eben deshalb ist das
Streben dahin unbegränzt.
239. Wie nun die Kraft der Selbstbeherrschung nie- mals das Werk eines
Augenblicks, vielmehr ein Resultat des ganzen verflossenen Lebens ist, so kann
auch nicht jede Zeit des Lebens in Ansehung derselben gleich entscheidend seyn. Ein bedeutender Vorrath von Gedanken und Gefüh- len, der keine
verhältnißmäßig großen Zusätze mehr zu er- warten hat (man erinnere sich der
abnehmenden Empfäng- lichkeit), muß erst vorhanden seyn, ehe eine so
durchgrei- fende Sammlung des Gemüths Statt haben kann, daß der Mensch mit
Erfolg über sich selbst im Allgemeinen zu be- schließen vermöchte. Dann aber,
wenn diese Bedingung erfüllt ist (in der Regel am Ende der Erziehungsjahre),
ist es Zeit zu der tiefsten Besinnung, zu der umfassendsten praktischen
Ueberlegung. Denn von der Jnnigkeit der Ver- bindung, welche die Vorstellungen
nun eingehen, von der genauen Kunde über seine innersten Wünsche, welche der
Mensch nun erlangt, von der rechten Stellung in der Außen- welt, die er
jetzo sich selbst bereitet, hängt sowohl die Stärke als die Richtigkeit der
Führung ab, die er fortan sich geben wird, und eben davon hängt auch die rechte
Aufnahme alles Neuen ab, welches der Lauf des Lebens noch ferner
herbeyführen wird.
Sechstes Capitel. Psychologische
Betrachtungen über die Bestim- mung des Menschen.
240. Die Psychologie bleibt immer einseitig, so lange sie den Menschen als
allein stehend betrachtet. Denn theils
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0201"n="193"/>
läßt sich im Allgemeinen nicht bestimmen, und eben deshalb<lb/>
ist das
Streben dahin unbegränzt.</p><lb/><p>239. Wie nun die Kraft der Selbstbeherrschung nie-<lb/>
mals das Werk eines
Augenblicks, vielmehr ein Resultat<lb/>
des ganzen verflossenen Lebens ist, so kann
auch nicht jede<lb/>
Zeit des Lebens in Ansehung derselben gleich entscheidend<lb/>
seyn. Ein bedeutender Vorrath von Gedanken und Gefüh-<lb/>
len, der keine
verhältnißmäßig großen Zusätze mehr zu er-<lb/>
warten hat (man erinnere sich der
abnehmenden Empfäng-<lb/>
lichkeit), muß erst vorhanden seyn, ehe eine so
durchgrei-<lb/>
fende Sammlung des Gemüths Statt haben kann, daß der<lb/>
Mensch mit
Erfolg über sich selbst im Allgemeinen zu be-<lb/>
schließen vermöchte. Dann aber,
wenn diese Bedingung<lb/>
erfüllt ist (in der Regel am Ende der Erziehungsjahre),<lb/>
ist es Zeit zu der tiefsten Besinnung, zu der umfassendsten<lb/>
praktischen
Ueberlegung. Denn von der Jnnigkeit der Ver-<lb/>
bindung, welche die Vorstellungen
nun eingehen, von der<lb/>
genauen Kunde über seine innersten Wünsche, welche der<lb/>
Mensch nun erlangt, von der rechten Stellung in der Außen-<lb/>
welt, die er
jetzo sich selbst bereitet, hängt sowohl die<lb/>
Stärke als die Richtigkeit der
Führung ab, die er fortan<lb/>
sich geben wird, und eben davon hängt auch die rechte<lb/>
Aufnahme alles Neuen ab, welches der Lauf des Lebens<lb/>
noch ferner
herbeyführen wird.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div><lb/><divn="3"><head><hirendition="#g"><hirendition="#b">Sechstes Capitel.</hi><lb/>
Psychologische
Betrachtungen über die Bestim-<lb/>
mung des Menschen.</hi></head><lb/><p>240. Die Psychologie bleibt immer einseitig, so lange<lb/>
sie den Menschen als
allein stehend betrachtet. Denn theils<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[193/0201]
läßt sich im Allgemeinen nicht bestimmen, und eben deshalb
ist das Streben dahin unbegränzt.
239. Wie nun die Kraft der Selbstbeherrschung nie-
mals das Werk eines Augenblicks, vielmehr ein Resultat
des ganzen verflossenen Lebens ist, so kann auch nicht jede
Zeit des Lebens in Ansehung derselben gleich entscheidend
seyn. Ein bedeutender Vorrath von Gedanken und Gefüh-
len, der keine verhältnißmäßig großen Zusätze mehr zu er-
warten hat (man erinnere sich der abnehmenden Empfäng-
lichkeit), muß erst vorhanden seyn, ehe eine so durchgrei-
fende Sammlung des Gemüths Statt haben kann, daß der
Mensch mit Erfolg über sich selbst im Allgemeinen zu be-
schließen vermöchte. Dann aber, wenn diese Bedingung
erfüllt ist (in der Regel am Ende der Erziehungsjahre),
ist es Zeit zu der tiefsten Besinnung, zu der umfassendsten
praktischen Ueberlegung. Denn von der Jnnigkeit der Ver-
bindung, welche die Vorstellungen nun eingehen, von der
genauen Kunde über seine innersten Wünsche, welche der
Mensch nun erlangt, von der rechten Stellung in der Außen-
welt, die er jetzo sich selbst bereitet, hängt sowohl die
Stärke als die Richtigkeit der Führung ab, die er fortan
sich geben wird, und eben davon hängt auch die rechte
Aufnahme alles Neuen ab, welches der Lauf des Lebens
noch ferner herbeyführen wird.
Sechstes Capitel.
Psychologische Betrachtungen über die Bestim-
mung des Menschen.
240. Die Psychologie bleibt immer einseitig, so lange
sie den Menschen als allein stehend betrachtet. Denn theils
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-07-05T12:13:38Z)
Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription.
(2013-07-05T12:13:38Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Hannah Sophia Glaum: Umwandlung in DTABf-konformes Markup.
(2013-07-05T12:13:38Z)
Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/201>, abgerufen am 13.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.