Rousseau und andre haben so viel Paradoxien über den Ursprung und das Anrecht des ersten Eigenthums gemacht; und hätte der erste nur die Natur seines geliebten Thiermenschen befragt: so hätte der ihm geantwortet. Warum gehört diese Blume der Biene, die auf ihr sauget? Die Biene wird antworten: weil mich die Natur zu diesem Saugen gemacht hat! mein Jnstinkt, der auf diese und keine andre Blume hinfällt, ist mir Diktator gnug, der mir sie und ihren Garten zum Eigenthum anweise! Und wenn wir nun den ersten Menschen fragen: "Wer hat dir das "Recht, auf diese Kräuter gegeben?" Was kann er antworten, als: die Natur, die mir Besin- nung gab! diese Kräuter habe ich mit Mühe ken- nen gelernt! mit Mühe habe ich sie mein Weib und meinen Sohn kennen gelehrt! Wir alle leben von ihnen! ich habe mehr Recht daran, als die Biene, die darauf summet, und das Vieh, das darauf weidet; denn die haben alle die Mühe des Kennenlernens und Kennenlehrens nicht gehabt! Jeder Gedanke also, den ich darauf gezeichnet, ist ein Siegel meines Eigenthums, und wer mich
davon
Rouſſeau und andre haben ſo viel Paradoxien uͤber den Urſprung und das Anrecht des erſten Eigenthums gemacht; und haͤtte der erſte nur die Natur ſeines geliebten Thiermenſchen befragt: ſo haͤtte der ihm geantwortet. Warum gehoͤrt dieſe Blume der Biene, die auf ihr ſauget? Die Biene wird antworten: weil mich die Natur zu dieſem Saugen gemacht hat! mein Jnſtinkt, der auf dieſe und keine andre Blume hinfaͤllt, iſt mir Diktator gnug, der mir ſie und ihren Garten zum Eigenthum anweiſe! Und wenn wir nun den erſten Menſchen fragen: „Wer hat dir das „Recht, auf dieſe Kraͤuter gegeben?„ Was kann er antworten, als: die Natur, die mir Beſin- nung gab! dieſe Kraͤuter habe ich mit Muͤhe ken- nen gelernt! mit Muͤhe habe ich ſie mein Weib und meinen Sohn kennen gelehrt! Wir alle leben von ihnen! ich habe mehr Recht daran, als die Biene, die darauf ſummet, und das Vieh, das darauf weidet; denn die haben alle die Muͤhe des Kennenlernens und Kennenlehrens nicht gehabt! Jeder Gedanke alſo, den ich darauf gezeichnet, iſt ein Siegel meines Eigenthums, und wer mich
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Rouſſeau und andre haben ſo viel Paradoxien
uͤber den Urſprung und das Anrecht des erſten
Eigenthums gemacht; und haͤtte der erſte nur die
Natur ſeines geliebten Thiermenſchen befragt: ſo
haͤtte der ihm geantwortet. Warum gehoͤrt dieſe
Blume der Biene, die auf ihr ſauget? Die Biene
wird antworten: weil mich die Natur zu dieſem
Saugen gemacht hat! mein Jnſtinkt, der auf
dieſe und keine andre Blume hinfaͤllt, iſt mir
Diktator gnug, der mir ſie und ihren Garten
zum Eigenthum anweiſe! Und wenn wir nun
den erſten Menſchen fragen: „Wer hat dir das
„Recht, auf dieſe Kraͤuter gegeben?„ Was kann
er antworten, als: die Natur, die mir Beſin-
nung gab! dieſe Kraͤuter habe ich mit Muͤhe ken-
nen gelernt! mit Muͤhe habe ich ſie mein Weib
und meinen Sohn kennen gelehrt! Wir alle leben
von ihnen! ich habe mehr Recht daran, als die
Biene, die darauf ſummet, und das Vieh, das
darauf weidet; denn die haben alle die Muͤhe des
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iſt ein Siegel meines Eigenthums, und wer mich
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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/186>, abgerufen am 13.06.2024.
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