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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

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fähig sei, ja wo irgend der Maasstab zu ihr liege? dies lasset
uns jetzo erwägen.

V.
Die Glückseligkeit der Menschen ist allenthalben
ein individuelles Gut; folglich allenthalben
klimatisch und organisch, ein Kind der Ue-
bung, der Tradition und Gewohnheit.


Schon der Name Glückseligkeit deutet an, daß der Mensch
keiner reinen Seligkeit fähig sei, noch sich dieselbe erschaffen
möge; er selbst ist ein Sohn des Glücks, das ihn hie oder da-
hin setzte und nach dem Lande, der Zeit, der Organisation, den
Umständen, in welchen er lebt, auch die Fähigkeit seines Ge-
nußes, die Art und das Maas seiner Freuden und Leiden be-
stimmt hat. Unsinnig-stolz wäre die Anmaaßung, daß die
Bewohner aller Welttheile Europäer seyn müßten, um glück-
lich zu leben: denn wären wir selbst, was wir sind, außer Eu-
ropa worden? Der nun uns hieher setzte, setzte jene dorthin
und gab ihnen dasselbe Recht zum Genuß des irrdischen Le-
bens. Da Glückseligkeit ein innerer Zustand ist: so liegt
das Maas und die Bestimmung derselben nicht außer, sondern

in

faͤhig ſei, ja wo irgend der Maasſtab zu ihr liege? dies laſſet
uns jetzo erwaͤgen.

V.
Die Gluͤckſeligkeit der Menſchen iſt allenthalben
ein individuelles Gut; folglich allenthalben
klimatiſch und organiſch, ein Kind der Ue-
bung, der Tradition und Gewohnheit.


Schon der Name Gluͤckſeligkeit deutet an, daß der Menſch
keiner reinen Seligkeit faͤhig ſei, noch ſich dieſelbe erſchaffen
moͤge; er ſelbſt iſt ein Sohn des Gluͤcks, das ihn hie oder da-
hin ſetzte und nach dem Lande, der Zeit, der Organiſation, den
Umſtaͤnden, in welchen er lebt, auch die Faͤhigkeit ſeines Ge-
nußes, die Art und das Maas ſeiner Freuden und Leiden be-
ſtimmt hat. Unſinnig-ſtolz waͤre die Anmaaßung, daß die
Bewohner aller Welttheile Europaͤer ſeyn muͤßten, um gluͤck-
lich zu leben: denn waͤren wir ſelbſt, was wir ſind, außer Eu-
ropa worden? Der nun uns hieher ſetzte, ſetzte jene dorthin
und gab ihnen daſſelbe Recht zum Genuß des irrdiſchen Le-
bens. Da Gluͤckſeligkeit ein innerer Zuſtand iſt: ſo liegt
das Maas und die Beſtimmung derſelben nicht außer, ſondern

in
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[194/0206] faͤhig ſei, ja wo irgend der Maasſtab zu ihr liege? dies laſſet uns jetzo erwaͤgen. V. Die Gluͤckſeligkeit der Menſchen iſt allenthalben ein individuelles Gut; folglich allenthalben klimatiſch und organiſch, ein Kind der Ue- bung, der Tradition und Gewohnheit. Schon der Name Gluͤckſeligkeit deutet an, daß der Menſch keiner reinen Seligkeit faͤhig ſei, noch ſich dieſelbe erſchaffen moͤge; er ſelbſt iſt ein Sohn des Gluͤcks, das ihn hie oder da- hin ſetzte und nach dem Lande, der Zeit, der Organiſation, den Umſtaͤnden, in welchen er lebt, auch die Faͤhigkeit ſeines Ge- nußes, die Art und das Maas ſeiner Freuden und Leiden be- ſtimmt hat. Unſinnig-ſtolz waͤre die Anmaaßung, daß die Bewohner aller Welttheile Europaͤer ſeyn muͤßten, um gluͤck- lich zu leben: denn waͤren wir ſelbſt, was wir ſind, außer Eu- ropa worden? Der nun uns hieher ſetzte, ſetzte jene dorthin und gab ihnen daſſelbe Recht zum Genuß des irrdiſchen Le- bens. Da Gluͤckſeligkeit ein innerer Zuſtand iſt: ſo liegt das Maas und die Beſtimmung derſelben nicht außer, ſondern in

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/206>, abgerufen am 29.04.2024.