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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

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die Menschheit, wo ein entkräftender Müßiggang, eine üppige
Trägheit die Körper lebendig begräbt und sie zu blaßen Lei-
chen oder zu Lasten die sich selbst beschweren, umbildet; in an-
dern und gerade in den härtesten Lebensarten und Ländern blü-
het der kräftigste Wuchs, die gesundeste, schönste Symmetrie
menschlicher Glieder. Gehet die Geschichte der Nationen
durch und leset, was Pages z. E. von der Bildung der Cha-
kla's, der Tega's, vom Charakter der Bissayen, der Jndier,
der Araber sageta); selbst das drückendste Klima macht wenig
Unterschied in der Dauer des Menschenlebens und eben der
Mangel ists, der die fröhlichen Armen zur Gesundheitbringen-
den Arbeit stärket. Auch die Misbildungen des Leibes, die
sich hie oder da auf der Erde als genetischer Charakter oder als
ererbte Sitte finden, schaden der Gesundheit weniger, als un-
ser künstliche Putz, unsre hundert angestrengte, unnatürliche
Lebensweisen: denn was will ein größerer Ohrlappe der Arra-
kaner, ein ausgerupfter Bart der Ost- und Westindier oder
etwa eine durchborte Nase zu der eingedruckten, gequälten
Brust, zum vorsinkenden Knie und mißgebildeten Fuß, zu den
verwachsnen oder rachitischen Gestalten und den zusammenge-
preßten Eingeweiden so vieler seinen Europäer und Europäe-
rinnen sagen? Lasset uns also die Vorsehung preisen, daß da

Ge-
a) Voyages de Pages p. 17. 18. 26. 52. 54. 140. 141. 156. 167.
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die Menſchheit, wo ein entkraͤftender Muͤßiggang, eine uͤppige
Traͤgheit die Koͤrper lebendig begraͤbt und ſie zu blaßen Lei-
chen oder zu Laſten die ſich ſelbſt beſchweren, umbildet; in an-
dern und gerade in den haͤrteſten Lebensarten und Laͤndern bluͤ-
het der kraͤftigſte Wuchs, die geſundeſte, ſchoͤnſte Symmetrie
menſchlicher Glieder. Gehet die Geſchichte der Nationen
durch und leſet, was Pagès z. E. von der Bildung der Cha-
kla's, der Tega's, vom Charakter der Biſſayen, der Jndier,
der Araber ſageta); ſelbſt das druͤckendſte Klima macht wenig
Unterſchied in der Dauer des Menſchenlebens und eben der
Mangel iſts, der die froͤhlichen Armen zur Geſundheitbringen-
den Arbeit ſtaͤrket. Auch die Misbildungen des Leibes, die
ſich hie oder da auf der Erde als genetiſcher Charakter oder als
ererbte Sitte finden, ſchaden der Geſundheit weniger, als un-
ſer kuͤnſtliche Putz, unſre hundert angeſtrengte, unnatuͤrliche
Lebensweiſen: denn was will ein groͤßerer Ohrlappe der Arra-
kaner, ein ausgerupfter Bart der Oſt- und Weſtindier oder
etwa eine durchborte Naſe zu der eingedruckten, gequaͤlten
Bruſt, zum vorſinkenden Knie und mißgebildeten Fuß, zu den
verwachsnen oder rachitiſchen Geſtalten und den zuſammenge-
preßten Eingeweiden ſo vieler ſeinen Europaͤer und Europaͤe-
rinnen ſagen? Laſſet uns alſo die Vorſehung preiſen, daß da

Ge-
a) Voyages de Pagès p. 17. 18. 26. 52. 54. 140. 141. 156. 167.
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[196/0208] die Menſchheit, wo ein entkraͤftender Muͤßiggang, eine uͤppige Traͤgheit die Koͤrper lebendig begraͤbt und ſie zu blaßen Lei- chen oder zu Laſten die ſich ſelbſt beſchweren, umbildet; in an- dern und gerade in den haͤrteſten Lebensarten und Laͤndern bluͤ- het der kraͤftigſte Wuchs, die geſundeſte, ſchoͤnſte Symmetrie menſchlicher Glieder. Gehet die Geſchichte der Nationen durch und leſet, was Pagès z. E. von der Bildung der Cha- kla's, der Tega's, vom Charakter der Biſſayen, der Jndier, der Araber ſaget a); ſelbſt das druͤckendſte Klima macht wenig Unterſchied in der Dauer des Menſchenlebens und eben der Mangel iſts, der die froͤhlichen Armen zur Geſundheitbringen- den Arbeit ſtaͤrket. Auch die Misbildungen des Leibes, die ſich hie oder da auf der Erde als genetiſcher Charakter oder als ererbte Sitte finden, ſchaden der Geſundheit weniger, als un- ſer kuͤnſtliche Putz, unſre hundert angeſtrengte, unnatuͤrliche Lebensweiſen: denn was will ein groͤßerer Ohrlappe der Arra- kaner, ein ausgerupfter Bart der Oſt- und Weſtindier oder etwa eine durchborte Naſe zu der eingedruckten, gequaͤlten Bruſt, zum vorſinkenden Knie und mißgebildeten Fuß, zu den verwachsnen oder rachitiſchen Geſtalten und den zuſammenge- preßten Eingeweiden ſo vieler ſeinen Europaͤer und Europaͤe- rinnen ſagen? Laſſet uns alſo die Vorſehung preiſen, daß da Ge- a) Voyages de Pagès p. 17. 18. 26. 52. 54. 140. 141. 156. 167. 188. u. f.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/208>, abgerufen am 29.04.2024.