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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

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verdammten keinen Trost läßt, als etwa die letzte Thätigkeit
seiner selbstbestimmenden, freien Seele wie ein geliebtes Kind
zu ersticken und in der Unempfindlichkeit einer Maschine sein
Glück zu finden -- o wenn wir Menschen sind, so laßt uns der
Vorsehung danken, daß sie das allgemeine Ziel der Mensch-
heit nicht dahin setzte. Millionen des Erdballs leben ohne
Staaten und muß nicht ein jeder von uns auch im künstlich-
sten Staat, wenn er glücklich seyn will, es eben da anfangen,
wo es der Wilde anfängt, nämlich, daß er Gesundheit und
Seelenkräfte, das Glück seines Hauses und Herzens, nicht
vom Staat sondern von sich selbst erringe und erhalte. Va-
ter und Mutter, Mann und Weib, Kind und Bruder, Freund
und Mensch -- das sind Verhältniße der Natur, durch die
wir glücklich werden; was der Staat uns geben kann, sind
Kunstwerkzeuge, leider aber kann er uns etwas weit Wesent-
licheres, Uns selbst, rauben.

Gütig also dachte die Vorsehung, da sie den Kunstend-
zwecken großer Gesellschaften die leichtere Glückseligkeit einzel-
ner Menschen vorzog und jene kostbaren Staatsmaschinen, so
viel sie konnte, den Zeiten ersparte. Wunderbar theilte sie die
Völker, nicht nur durch Wälder und Berge, durch Meere und
Wüsten, durch Ströme und Klimate, sondern insonderheit auch
durch Sprachen, Neigungen und Charaktere; nur damit sie
dem unterjochenden Despotismus sein Werk erschwerte und
nicht alle Welttheile in den Bauch eines hölzernen Pferdes

steckte.
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verdammten keinen Troſt laͤßt, als etwa die letzte Thaͤtigkeit
ſeiner ſelbſtbeſtimmenden, freien Seele wie ein geliebtes Kind
zu erſticken und in der Unempfindlichkeit einer Maſchine ſein
Gluͤck zu finden — o wenn wir Menſchen ſind, ſo laßt uns der
Vorſehung danken, daß ſie das allgemeine Ziel der Menſch-
heit nicht dahin ſetzte. Millionen des Erdballs leben ohne
Staaten und muß nicht ein jeder von uns auch im kuͤnſtlich-
ſten Staat, wenn er gluͤcklich ſeyn will, es eben da anfangen,
wo es der Wilde anfaͤngt, naͤmlich, daß er Geſundheit und
Seelenkraͤfte, das Gluͤck ſeines Hauſes und Herzens, nicht
vom Staat ſondern von ſich ſelbſt erringe und erhalte. Va-
ter und Mutter, Mann und Weib, Kind und Bruder, Freund
und Menſch — das ſind Verhaͤltniße der Natur, durch die
wir gluͤcklich werden; was der Staat uns geben kann, ſind
Kunſtwerkzeuge, leider aber kann er uns etwas weit Weſent-
licheres, Uns ſelbſt, rauben.

Guͤtig alſo dachte die Vorſehung, da ſie den Kunſtend-
zwecken großer Geſellſchaften die leichtere Gluͤckſeligkeit einzel-
ner Menſchen vorzog und jene koſtbaren Staatsmaſchinen, ſo
viel ſie konnte, den Zeiten erſparte. Wunderbar theilte ſie die
Voͤlker, nicht nur durch Waͤlder und Berge, durch Meere und
Wuͤſten, durch Stroͤme und Klimate, ſondern inſonderheit auch
durch Sprachen, Neigungen und Charaktere; nur damit ſie
dem unterjochenden Deſpotismus ſein Werk erſchwerte und
nicht alle Welttheile in den Bauch eines hoͤlzernen Pferdes

ſteckte.
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[205/0217] verdammten keinen Troſt laͤßt, als etwa die letzte Thaͤtigkeit ſeiner ſelbſtbeſtimmenden, freien Seele wie ein geliebtes Kind zu erſticken und in der Unempfindlichkeit einer Maſchine ſein Gluͤck zu finden — o wenn wir Menſchen ſind, ſo laßt uns der Vorſehung danken, daß ſie das allgemeine Ziel der Menſch- heit nicht dahin ſetzte. Millionen des Erdballs leben ohne Staaten und muß nicht ein jeder von uns auch im kuͤnſtlich- ſten Staat, wenn er gluͤcklich ſeyn will, es eben da anfangen, wo es der Wilde anfaͤngt, naͤmlich, daß er Geſundheit und Seelenkraͤfte, das Gluͤck ſeines Hauſes und Herzens, nicht vom Staat ſondern von ſich ſelbſt erringe und erhalte. Va- ter und Mutter, Mann und Weib, Kind und Bruder, Freund und Menſch — das ſind Verhaͤltniße der Natur, durch die wir gluͤcklich werden; was der Staat uns geben kann, ſind Kunſtwerkzeuge, leider aber kann er uns etwas weit Weſent- licheres, Uns ſelbſt, rauben. Guͤtig alſo dachte die Vorſehung, da ſie den Kunſtend- zwecken großer Geſellſchaften die leichtere Gluͤckſeligkeit einzel- ner Menſchen vorzog und jene koſtbaren Staatsmaſchinen, ſo viel ſie konnte, den Zeiten erſparte. Wunderbar theilte ſie die Voͤlker, nicht nur durch Waͤlder und Berge, durch Meere und Wuͤſten, durch Stroͤme und Klimate, ſondern inſonderheit auch durch Sprachen, Neigungen und Charaktere; nur damit ſie dem unterjochenden Deſpotismus ſein Werk erſchwerte und nicht alle Welttheile in den Bauch eines hoͤlzernen Pferdes ſteckte. C c 3

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/217>, abgerufen am 29.04.2024.