vertheilte? Die Klage wäre müßig und ungerecht: denn sie ist der augenscheinlichen Absicht unsres Geschlechts entgegen. Sollte die Erde bewohnbar werden: so mußten Berge auf ihr seyn und auf dem Rücken derselben harte Bergvölker leben. Wenn diese sich nun niedergoßen und die üppige Ebne unter- jochten; so war die üppige Ebne auch meistens dieser Unter- jochung werth: denn warum ließ sie sich unterjochen? warum erschlaffte sie an den Brüsten der Natur in kindischer Ueppig- keit und Thorheit? Man kann es als einen Grundsatz der Geschichte annehmen, daß kein Volk unterdrückt wird, als das sich unterdrücken lassen will, das also der Sklaverei werth ist. Nur der Feige ist ein gebohrner Knecht; nur der Dumme ist von der Natur bestimmt, einem Klügern zu dienen; alsdenn ist ihm auch wohl auf seiner Stelle und er wäre unglücklich, wenn er befehlen sollte.
Ueberdem ist die Ungleichheit der Menschen von Natur nicht so groß, als sie durch die Erziehung wird, wie die Be- schaffenheit eines und desselben Volks unter seinen mancherlei Regierungsarten zeiget. Das edelste Volk verliert unter dem Joch des Despotismus in kurzer Zeit seinen Adel: das Mark in seinen Gebeinen wird ihm zertreten und da seine feinsten und schönsten Gaben zur Lüge und zum Betrug, zur kriechenden Sklaverei und Ueppigkeit gemißbraucht werden; was Wunder,
daß
Jdeen,II.Th. K k
vertheilte? Die Klage waͤre muͤßig und ungerecht: denn ſie iſt der augenſcheinlichen Abſicht unſres Geſchlechts entgegen. Sollte die Erde bewohnbar werden: ſo mußten Berge auf ihr ſeyn und auf dem Ruͤcken derſelben harte Bergvoͤlker leben. Wenn dieſe ſich nun niedergoßen und die uͤppige Ebne unter- jochten; ſo war die uͤppige Ebne auch meiſtens dieſer Unter- jochung werth: denn warum ließ ſie ſich unterjochen? warum erſchlaffte ſie an den Bruͤſten der Natur in kindiſcher Ueppig- keit und Thorheit? Man kann es als einen Grundſatz der Geſchichte annehmen, daß kein Volk unterdruͤckt wird, als das ſich unterdruͤcken laſſen will, das alſo der Sklaverei werth iſt. Nur der Feige iſt ein gebohrner Knecht; nur der Dumme iſt von der Natur beſtimmt, einem Kluͤgern zu dienen; alsdenn iſt ihm auch wohl auf ſeiner Stelle und er waͤre ungluͤcklich, wenn er befehlen ſollte.
Ueberdem iſt die Ungleichheit der Menſchen von Natur nicht ſo groß, als ſie durch die Erziehung wird, wie die Be- ſchaffenheit eines und deſſelben Volks unter ſeinen mancherlei Regierungsarten zeiget. Das edelſte Volk verliert unter dem Joch des Deſpotismus in kurzer Zeit ſeinen Adel: das Mark in ſeinen Gebeinen wird ihm zertreten und da ſeine feinſten und ſchoͤnſten Gaben zur Luͤge und zum Betrug, zur kriechenden Sklaverei und Ueppigkeit gemißbraucht werden; was Wunder,
daß
Jdeen,II.Th. K k
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vertheilte? Die Klage waͤre muͤßig und ungerecht: denn ſie
iſt der augenſcheinlichen Abſicht unſres Geſchlechts entgegen.
Sollte die Erde bewohnbar werden: ſo mußten Berge auf ihr
ſeyn und auf dem Ruͤcken derſelben harte Bergvoͤlker leben.
Wenn dieſe ſich nun niedergoßen und die uͤppige Ebne unter-
jochten; ſo war die uͤppige Ebne auch meiſtens dieſer Unter-
jochung werth: denn warum ließ ſie ſich unterjochen? warum
erſchlaffte ſie an den Bruͤſten der Natur in kindiſcher Ueppig-
keit und Thorheit? Man kann es als einen Grundſatz der
Geſchichte annehmen, daß kein Volk unterdruͤckt wird, als das
ſich unterdruͤcken laſſen will, das alſo der Sklaverei werth iſt.
Nur der Feige iſt ein gebohrner Knecht; nur der Dumme iſt
von der Natur beſtimmt, einem Kluͤgern zu dienen; alsdenn
iſt ihm auch wohl auf ſeiner Stelle und er waͤre ungluͤcklich,
wenn er befehlen ſollte.
Ueberdem iſt die Ungleichheit der Menſchen von Natur
nicht ſo groß, als ſie durch die Erziehung wird, wie die Be-
ſchaffenheit eines und deſſelben Volks unter ſeinen mancherlei
Regierungsarten zeiget. Das edelſte Volk verliert unter dem
Joch des Deſpotismus in kurzer Zeit ſeinen Adel: das Mark
in ſeinen Gebeinen wird ihm zertreten und da ſeine feinſten und
ſchoͤnſten Gaben zur Luͤge und zum Betrug, zur kriechenden
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/269>, abgerufen am 13.05.2024.
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