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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

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Zweitens. Streitet man also, ob die Welt jung oder
alt sei? so haben beide recht, die da streiten. Der Fels uns-
rer Erde ist sehr alt und die Bekleidung desselben hat lange
Revolutionen erfodert, über die kein Streit statt findet. Hier
läßt Moses einem jeden Freiheit, Epochen zu dichten, wie er
will und mit den Chaldäern den König Alorus, das Licht,
Uranus, den Himmel, Gea, die Erde, Helios, die Sonne
u. f. regieren zu lassen, so lange man begehret. Er zählet
gar keine Epochen dieser Art und hat um ihnen vorzubeugen,
sein ineinander greifendes, systematisches Gemälde gerade im
leichtsten Cyklus einer Erd-Umwälzung dahin gestellet. Je
älter aber diese Revolutionen sind und je länger sie daureten,
desto jünger muß nothwendig das menschliche Geschlecht seyn,
das nach allen Traditionen und nach der Natur der Sache
selbst, erst als die letzte Ausgeburt der vollendeten Erde statt
fand. Jch danke also jenem Naturweisen für diesen kühnen
Abschnitt der alten ungeheuren Fabel: denn meinem Fassungs-
kreise gnügt die Natur, wie sie da ist und die Menschheit, wie
sie jetzt lebet.

Auch bei der Schöpfung des Menschen wiederholet die
Sagea), daß sie geschehen sey, da sie der Natur nach gesche-
hen konnte. "Als auf der Erde, fährt sie ergänzend fort,

weder
a) 1 Mos. 2. 5-7.

Zweitens. Streitet man alſo, ob die Welt jung oder
alt ſei? ſo haben beide recht, die da ſtreiten. Der Fels unſ-
rer Erde iſt ſehr alt und die Bekleidung deſſelben hat lange
Revolutionen erfodert, uͤber die kein Streit ſtatt findet. Hier
laͤßt Moſes einem jeden Freiheit, Epochen zu dichten, wie er
will und mit den Chaldaͤern den Koͤnig Alorus, das Licht,
Uranus, den Himmel, Gea, die Erde, Helios, die Sonne
u. f. regieren zu laſſen, ſo lange man begehret. Er zaͤhlet
gar keine Epochen dieſer Art und hat um ihnen vorzubeugen,
ſein ineinander greifendes, ſyſtematiſches Gemaͤlde gerade im
leichtſten Cyklus einer Erd-Umwaͤlzung dahin geſtellet. Je
aͤlter aber dieſe Revolutionen ſind und je laͤnger ſie daureten,
deſto juͤnger muß nothwendig das menſchliche Geſchlecht ſeyn,
das nach allen Traditionen und nach der Natur der Sache
ſelbſt, erſt als die letzte Ausgeburt der vollendeten Erde ſtatt
fand. Jch danke alſo jenem Naturweiſen fuͤr dieſen kuͤhnen
Abſchnitt der alten ungeheuren Fabel: denn meinem Faſſungs-
kreiſe gnuͤgt die Natur, wie ſie da iſt und die Menſchheit, wie
ſie jetzt lebet.

Auch bei der Schoͤpfung des Menſchen wiederholet die
Sagea), daß ſie geſchehen ſey, da ſie der Natur nach geſche-
hen konnte. “Als auf der Erde, faͤhrt ſie ergaͤnzend fort,

weder
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[330/0342] Zweitens. Streitet man alſo, ob die Welt jung oder alt ſei? ſo haben beide recht, die da ſtreiten. Der Fels unſ- rer Erde iſt ſehr alt und die Bekleidung deſſelben hat lange Revolutionen erfodert, uͤber die kein Streit ſtatt findet. Hier laͤßt Moſes einem jeden Freiheit, Epochen zu dichten, wie er will und mit den Chaldaͤern den Koͤnig Alorus, das Licht, Uranus, den Himmel, Gea, die Erde, Helios, die Sonne u. f. regieren zu laſſen, ſo lange man begehret. Er zaͤhlet gar keine Epochen dieſer Art und hat um ihnen vorzubeugen, ſein ineinander greifendes, ſyſtematiſches Gemaͤlde gerade im leichtſten Cyklus einer Erd-Umwaͤlzung dahin geſtellet. Je aͤlter aber dieſe Revolutionen ſind und je laͤnger ſie daureten, deſto juͤnger muß nothwendig das menſchliche Geſchlecht ſeyn, das nach allen Traditionen und nach der Natur der Sache ſelbſt, erſt als die letzte Ausgeburt der vollendeten Erde ſtatt fand. Jch danke alſo jenem Naturweiſen fuͤr dieſen kuͤhnen Abſchnitt der alten ungeheuren Fabel: denn meinem Faſſungs- kreiſe gnuͤgt die Natur, wie ſie da iſt und die Menſchheit, wie ſie jetzt lebet. Auch bei der Schoͤpfung des Menſchen wiederholet die Sage a), daß ſie geſchehen ſey, da ſie der Natur nach geſche- hen konnte. “Als auf der Erde, faͤhrt ſie ergaͤnzend fort, weder a) 1 Moſ. 2. 5‒7.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/342>, abgerufen am 15.05.2024.